Wird Rendi-Wagner die nächste Kanzlerin?

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner macht der Regierung mit populistischen Teuerungsansagen Tempo, Meinungsumfragen weisen der SPÖ mittlerweile einen komfortablen Vorsprung aus. Wahrscheinlicher Hinweis auf einen anstehenden Machtwechsel im Land oder nur ein momentanes Ventil teuerungsgeplanter Emotionen?

von Der Sommer der Sozialdemokratie - Wird Rendi-Wagner die nächste Kanzlerin? © Bild: imago images/SEPA.Media

Es läuft gut. Endlich. Jahrelang werkelte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im Schatten der übermächtigen Kurz-ÖVP und übergroßer Männer-Egos aus der eigenen Partei vor sich hin. Jetzt: Morgenluft.

Die Fotos von der Sommer-Tour durch die Bundesländer, die sie diesen Sommer unternimmt, sehen nach Wahlkampf aus. Rendi-Wagner lässig-smart im cremefarbenen Hosenanzug bei einem Betriebsbesuch. Rendi-Wagner im Gespräch am Wirtshaus-Tisch, prominent im Vordergrund ein volles Bierglas, und an der Grillstation. Die Message ist klar: Diese Frau ist eine von euch. Also wählt sie auch. Wenn ihr könntet. Das ist der kleine Schönheitsfehler an diesem roten Sommermärchen.

In den Umfragen ist die Sache klar: Seit Wochen liegt die SPÖ stabil vorne. Bei ungefähr 30 Prozent, mit großem Abstand vor der Kanzler-Partei ÖVP, die manche Meinungsforscher schon hinter der FPÖ sehen. Die Themenlage ist, so zynisch es klingt, gut für die Sozialdemokratie. Erst recht in Opposition. Während die schwarz-grüne Koalition sich zwischen Parteiskandalen, koalitionsinternen Konflikten, Corona-Politik und der Lösung der Inflationsproblematik zerspragelt, bleibt der SPÖ-Chefin viel Raum für mahnende Zwischenrufe. Sie hat das Tempo deutlich erhöht.

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Rendi-Wagner wirkt diesen Sommer weniger zögerlich als früher, sie fährt einen scharfen Oppositionskurs. Versucht, die Regierung vor sich herzutreiben, auch wenn sie dabei immer radikalere Vorschläge machen muss, weil Schwarz-Grün - verunsichert und von schlechten Umfragewerten getrieben -ohnehin vieles aufnimmt, was an Inflationsmaßnahmen im Raum steht. Hauptthema von Rendi-Wagners Bemühungen: den "Teuerungswahnsinn" stoppen. Den Lebensstandard der "Menschen", in diesem Fall solcher, die Auto fahren und sich nicht schnell mal eine Wärmepumpe oder Pelletsheizung einbauen lassen können, der typischen SPÖ-Klientel also, sichern.

Teuerung Thema Nummer 1

Inhaltlich liegt die SPÖ-Chefin damit richtig: Denn die Teuerung ist derzeit unbestritten das Thema, das die Österreicherinnen und Österreicher aktuell am meisten beschäftigt, sagt auch Christoph Haselmayer, Chef des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) :"Wie damit umgegangen wird, ist aktuell eindeutig die wahlentscheidende Frage", so der Meinungsforscher, der dabei die Sozialdemokraten in der Poleposition sieht.

»Die SPÖ hat in letzter Zeit mehr aufgelegte Elfer verwandelt und Tore geschossen als in der Vergangenheit«

Christoph Haselmayer

Bei der Frage, wer die glaubwürdigsten Konzepte gegen die Teuerung habe, liege die SPÖ mit rund 29 Prozent klar vorne - deutlich vor der FPÖ mit 20, der ÖVP mit elf bis zwölf, den Neos mit acht und den Grünen mit sechs Prozent. Haselmayer: "So gesehen ist die Ausgangslage ganz anders als noch vor einem Jahr und ausgesprochen gut für die SPÖ." Sogar angesichts dessen, dass in der sozialdemokratischen Hochburg Wien die Preise für Fernwärme exorbitant erhöht und zahlreiche Gebühren - von Kanal und Müll bis zum Parken - spürbar angehoben wurden. "Dazu gibt es natürlich kritische Stimmen, im Endeffekt wirkt sich das für die SPÖ in Wien und auf Bundesebene bislang aber nicht sehr stark aus", so der IFDD-Chef.

Regierung nicht mehrheitsfähig

Würde jetzt gewählt, so hätte die derzeitige Koalition von ÖVP und Grünen keine Chance, von der Bevölkerung bestätigt zu werden. Aktuell käme die Koalition je nach Meinungsforschungsinstitut auf lediglich auf rund 31 bis 33 Prozent. Eine Stimmungslage, die sich auch bei den kommenden Landtagswahlen in Tirol und Niederösterreich niederschlagen werde, sagt der Meinungsforscher.

Mit vorgezogenen Neuwahlen auf Bundesebene rechnet Haselmayer so wie alle seine Branchenkollegen aber nicht - außer es käme bei der Präsidentschaftswahl zu einem völlig unerwarteten und unwahrscheinlichen Ausgang und der amtierende Amtsinhaber Alexander Van der Bellen würde nicht gewählt. Haselmayer: "Das würde dann wohl massive politische Auswirkungen nach sich ziehen."

Aus Sicht des Meinungsforschers ist es jedenfalls wichtig, dass die Politik alles unternimmt, um das Thema Teuerung in den Griff zu bekommen: Deshalb würden gewisse Maßnahmen durchaus Sinn ergeben, etwa die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel oder Sprit für bestimmte Zeit - z. B. eineinhalb Jahre - auszusetzen. Gleichzeitig müssten auch die Aufschläge der Energieversorger und Mineralölkonzerne genau beobachtet werden, sonst könnten solche Maßnahmen leicht verpuffen.

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Konkrete Maßnahmen

Anfang August hat Rendi-Wagner fünf Maßnahmen vorgelegt, mit denen sie die Inflation bekämpfen will: Konkret fordert die SPÖ einen Spritpreisdeckel mit einem Zielpreis von 1,50 Euro an den österreichischen Tankstellen sowie eine temporäre Streichung der Mehrwertsteuer auf Sprit. Bei Lebensmitteln des täglichen Bedarfs sollen die Preise um zehn Prozent durch eine befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer gesenkt werden. Für Gas und Strom soll es ebenfalls eine Deckelung geben - sozial gestaffelt nach drei Tarifstufen - und beim Wohnen wiederum wird eine Rücknahme der Erhöhung der Kategorie- und Richtwertmieten (Bundesgesetz) sowie Einfrieren dieser Mietpreise bis ins Jahr 2025 für eine Million Haushalte gefordert. Um diese Maßnahmen zu finanzieren, sollen die Übergewinne von Energieerzeugern und Energielieferanten abgeschöpft werden. Eine Forderung, der sich im Übrigen auch Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler anschließt, Immerhin machen die "Übergewinne" der Konzerne nach derzeitiger Schätzung bis zu sechs Milliarden Euro aus.

Skepsis der Wirtschaftsforscher

Aus Konsumentensicht klingt das alles gut. Doch heimische Wirtschaftsforscher bewerten diese Forderungen überwiegend kritisch, ökonomisch als nicht sinnvoll und als "Populismus". Klaus Neusser, der Chef des Instituts für höhere Studien (IHS), etwa steht einem Spritpreisdeckel oder einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel "sehr skeptisch" gegenüber. Die Senkung der Treibstoffpreise habe in Ungarn nicht funktioniert, sei sozial nicht treffsicher und zudem kontraproduktiv in Hinblick auf die Klimaziele. Ähnlich ist seine Einstellung zur diskutierten Senkung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel: Bei der sei es fraglich, ob sie auch eins zu eins bei den Konsumenten ankomme. Und auch von einem Abschöpfen sogenannter Übergewinne von Energiekonzernen hält der IHS-Chef "sehr wenig": "Für mich ist das eine willkürliche Maßnahme und ich halte es nicht für in Ordnung, einfach eine Steuer für eine bestimmte Branche einzuführen, nur weil plötzlich ein moralischer Aspekt ins Spiel gebracht wird." Neusser plädiert vielmehr dafür, die Haushalte mit finanziellen Problem zu identifizieren und diese direkt über höhere Transferzahlungen zu unterstützen. Das würde eine hohe Treffsicherheit bringen und den Betroffenen mehr dienen, als wenn man versuche, ganz bestimmte Produkte herauszugreifen. Der Präsident des Fiskalrats, Christoph Badelt, spricht sich gegenüber News ebenfalls dafür aus, "dass es Unterstützungen für jene Einkommensgruppen gibt, die wegen der Teuerung an den Rand einer ökonomischen Krise gedrängt werden".

© imago images/Müller-Stauffenberg Die Österreicherinnen und Österreicher spüren die gestiegenen Preise überall - besonders stark aber bei den täglichen Einkäufen von Lebensmitteln

Teures Gießkannenprinzip

Aber mit genau denselbem Nachdruck ist Badelt "dagegen, dass dabei nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen wird". Mehrwertsteuersenkungen auf Lebensmittel oder auf Treibstoffe seien nicht sozial gestaffelt und daher auch nicht treffsicher. "Eine gestützte Mindestmenge für Strom und Gas kann ich mir dagegen schon vorstellen, aber auch dabei müsste es eine soziale Staffelung geben", so Badelt. Aus datentechnischen bzw. Datenschutzgründen sei das aber kein leichtes Unterfangen. Alle anderen Unterstützungsmaßnahmen, die über die genannten hinausgehen, sind aus Sicht des Fiskalratspräsidenten nicht zu finanzieren: "Das geht sich nicht aus." Auf deren genauen Kosten will er sich nicht festlegen - ein zweistelliger Milliardenbetrag sei es aber jedenfalls. Allein die zuletzt beschlossenen Antiteuerungsmaßnahmen kosteten bereits 15 Milliarden Euro, sagt Badelt: "Geld, das durch eine zusätzliche Verschuldung aufgenommen werden muss." Die Folge sei ein um 0,9 Prozent höheres Budgetdefitzit bzw. vier Milliarden Mehrbelastung jährlich für den Bund. Badelt fordert mehr Realismus ein: "Der Staat kann nicht nur an einer Schraube drehen und dann ist alles geregelt."

Widersprüche zu Wien

Mit ihrem Fünf-Punkte-Plan zur Inflationsbekämpfung steht die Bundes-SP auch in immer augenfälligerem Widerspruch zu den SPÖ-geführten Bundesländern. Wien erhöht mit 1. September die Strom- und Gaspreise, was für einen eher kleinen Haushalt (drei Personen, 50 Quadratmeter) Mehrkosten von rund 120 Euro pro Monat bedeutet, ähnlich hoch fällt der Preisanstieg bei der Fernwärme aus. Dazu kommen als jüngste Hiobsbotschaft für Bezieher kleiner Einkommen die Tarifsteigerungen für Wasser, Kanal, Müll und Parken.

Mit Entlastungspaketen will die Wiener Stadtregierung die Teuerungen abfedern. Aber: Wo ist der Unterschied zu jener Gutschein-Politik, die Rendi-Wagner im Bund so leidenschaftlich kritisiert? Die SPÖ gibt dieser Tage ein uneinheitliches Bild ab, so der Tenor vieler Politbeobachter. Da die Parteivorsitzende im oppositionellen Angriffsmodus, dort der Wiener Realo-Kurs. Und irgendwo ganz anders das Burgenland, die Welt, widewide wie sie dem wahlkämpfenden Landeshauptmann Hans Peter Doskozil gefällt.

»Der Staat kann nicht nur an einer Schraube drehen und dann ist alles geregelt«

Christoph Badelt

"Klare Botschaft fehlt"

Zwar wird parteiintern gebetesmühlenartig von Granden wie dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (siehe Interview) oder Kärntens Landeschef Peter Kaiser wiederholt, dass alles in bester Ordnung sei, die Partei sich ihren sozialdemokratischen Idealen verpflichtet fühle und geschlossen sei wie nie - die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle vermisst dennoch die klare Botschaft. Und eine klare Rollenzuteilung.

"Man kann nicht eine potenzielle Kanzler-Kandidatin aggressive Oppositionspolitik machen lassen. Ich finde, sie wechselt viel zu sehr zwischen diesen Rollen." Dass Rendi-Wagners politische Vorschläge mit der Wiener Realpolitik kollidieren und sie auf Nachfrage - wie Anfang August in der ZiB2 - eingestehen muss, Wien nichts anschaffen zu können, sei "für ihre Autorität schon schädlich", meint Stainer-Hämmerle.

"Solche Dinge sollten in der Kommunikation nicht passieren. Das ist handwerklich einfach schlecht gemacht."

Wiederkehrendes Grundproblem

Und es rührt an einem Grundproblem, das immer wieder aufbricht. Die parteiinternen Angriffe auf die SPÖ-Chefin haben abgenommen. Aber Rendi-Wagner punktet auch im Krisensommer 2022 weniger mit Strahlkraft und ökonomischem Fachwissen als mit Hartnäckigkeit und Fleiß. "Sie ist nicht die große Gewinnerin, in dem Sinne, dass ihre Persönlichkeit Schwächen der Partei überstrahlt", urteilt Stainer-Hämmerle. "Sie wird von einer guten Themenkonjunktur für sozialdemokratische Parteien generell getragen. Und sie profitiert von der Schwäche der anderen."

Ähnlich auch Meinungsforscher Haselmayer: "Die SPÖ hat in letzter Zeit mehr aufgelegte Elfmeter verwandelt und Tore geschossen als in der Vergangenheit. Ihre politischen Mitbewerber haben dagegen zuletzt völlig ausgelassen. ÖVP und FPÖ sind zudem mehr mit sich selbst beschäftigt." Und was den Parteichef betrifft, gebe es in der SPÖ aktuell keine wirklichen Alternativen zu ihr: "Insofern gibt die SPÖ im Moment ein recht stabiles Bild ab."

»Man kann nicht eine potenzielle Kanzler- Kandidatin aggressive Oppositionspolitik machen lassen«

Kathrin Stainer-Hämmerle

Stainer-Hämmerle findet indes auch Positives an Rendi-Wagner: "Was für sie spricht, ist, dass sie bereits durch viele Krisen gegangen ist und dadurch sicher auch gelernt hat. Das ist mir immer lieber als jemand, der quer einsteigt."

So wie einst Christian Kern. Der frühere Kanzler, der sich nach der Wahlniederlage gegen Sebastian Kurz 2017 als Parteichef zurückzog und Rendi-Wagner die Mühen der Opposition überließ, lässt jetzt, pünktlich zur Themenkonjunktur der Sozialdemokratie, wieder Interesse an der Politik erkennen. Immerhin 19 Prozent, ergab eine Market-Umfrage für den Standard, würden sich wünschen, dass er wieder "eine starke Rolle" einnimmt. Ein Befund, der zeigt, dass die Sehnsucht nach einem smarten Machertypen mit ökonomischer Kompetenz aus dem linken Spektrum nach wie vor vorhanden ist.

Erste gewählte Kanzlerin?

Wird Pamela Rendi-Wagner also Österreichs nächste, Österreichs erste gewählte Kanzlerin? Die ungeliebte Regierungskoalition von ÖVP und Grünen macht derweil keine Anstalten, sich freiwillig ins politische Nirvana zu begeben. Und bis es dann doch irgendwann so weit ist, kann viel passieren. Zum Beispiel bei der FPÖ, die derzeit wegen interner Konflikte und der eingeschränkten Strahlkraft ihres Frontmanns Herbert Kickl ihr Potenzial nicht voll ausschöpft, sich in Umfragen aber auf stetigem Aufwärtskurs befindet und, im Unterschied zur SPÖ, bei der Bundespräsidentenwahl im Herbst mit eigenem Kandidaten einen Platz im Scheinwerfer hat.

Und Umfragen sind volatil. Es sei zum Beispiel noch nicht klar, ob die derzeit guten Werte der SPÖ nur damit zusammenhängen, dass sie ihre Anhänger derzeit besser mobilisieren kann, oder ob tatsächlich ein Wechsel von anderen Parteien stattfindet, gibt Kathrin Stainer-Hämmerle zu bedenken. "Ich glaube, dass man dieses Ergebnis auch einfahren kann, wenn die Leute das Gefühl haben, dass die SPÖ beim Thema Teuerungen eine gerechte Antwort gibt. Aber Rendi-Wagner muss das glaubhaft vertreten."

Kein "g'mähte Wies'n" für die SPÖ also. Sondern ein erfreuliches Zwischenergebnis in einem Spiel, von dem keiner so genau weiß, ob und wie sich die Regeln ändern und wann es vorbei sein wird. Rien ne va plus, das gibt's nur im Casino.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 34/2022.