Nationalratswahl Österreich 2024: Die Kandidaten und ihre Chancen

In Österreich wird alle fünf Jahre ein Nationalrat gewählt. Theoretisch. Denn selten hielt eine Koalition so lange durch. Heuer dürfte das aber der Fall sein: Die nächsten Nationalratswahlen finden aller Voraussicht nach planmäßig im Herbst statt. Wer kandidiert? Wie wird ermittelt, wer in den Nationalrat einziehen darf? Und wie lange hält in Österreich im Schnitt eine Koalition? Alle Infos zur Nationalratswahl.

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Der Nationalrat tagt im Parlament. © Bild: Elke Mayr

Inhalt

Termin Nationalratswahl 2024

Herbst 2024 – voraussichtlich September oder Oktober

Was wird gewählt?

Bei der Nationalratswahl werden die 183 Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat gewählt. Die Parteien erstellen dazu Listen mit ihren Kandidaten und Kandidatinnen und im Regelfall entscheidet die Reihung auf diesen Listen darüber, wer ein Mandat im Nationalrat bekommt. Will man als Wähler:in die Reihung ändern, ist es möglich, jemandem eine Vorzugsstimme zu geben.

Die stimmenstärkste Partei erhält nach der Wahl zudem den Auftrag zur Regierungsbildung, die im Anschluss durch den Bundespräsidenten ernannt wird.

Spitzenkandidat:innen und Ausgangslage

ÖVP: Karl Nehammer

Kanzler Karl Nehammer geht zum ersten Mal als Spitzenkandidat in die Wahl. Dabei sind seine persönlichen Umfragewerte schlecht und Nehammer gilt als fehleranfällig (siehe "Burger"-Sager). Dennoch gilt Nehammer, so analysiert Kathrin Stainer-Hämmerle für News, als alternativlos. Die ÖVP-Erzählung lautet derzeit: Alle stehen hinter Nehammer.

SPÖ: Andreas Babler

Bei seiner Übernahme der SPÖ nach dem Rücktritt von Pamela Rendi-Wagner im Frühsommer 2023 hätte Andreas Babler vom Neustarteffekt profitieren können. Dieser Effekt sei inzwischen aber "verpufft", so Politexpertin Katrin Praprotnik zu News. Sie glaubt, dass es für Babler darauf ankommt, dass die Partei hinter ihm steht. "Und das sehe ich derzeit im Burgenland nicht und in Wien zumindest teilweise nicht", so Praprotnik.

FPÖ: Herbert Kickl

Herbert Kickl wird für die FPÖ als Spitzenkandidat ins Rennen gehen. Seine Partei liegt seit über einem Jahr in den Umfragen stabil auf Platz eins. Sie profitiert vor allem von der negativen Grundstimmung im Land – vor allem aufgrund der Teuerung. Kickl selbst wiederum "profitiert davon, dass Nehammer und Babler als Kanzlerkandidaten nicht so viel Strahlkraft haben, wie man es von ÖVP und SPÖ erwarten würde", so Kathrin Stainer-Hämmerle zu News.

Grüne: Werner Kogler

Die Grünen unter ihrem Parteichef Werner Kogler legen in den Umfragen weder zu noch verlieren sie viel. "Man steht nicht so viel schlechter da als 2019, würde ich sagen. Die grüne Wählerschaft bewegt sich offenbar weniger schnell als die anderer Parteien", sagt Katrin Praprotnik. Doch die Regierungsbeteiligung wird mit der Wahl wohl Geschichte sein, prognostiziert die Expertin.

NEOS: Beate Meinl-Reisinger

Für die NEOS wird wohl Parteichefin Beate Meinl-Reisinger als Spitzenkandidatin ins Rennen gehen. Leiden könnten die NEOS unter einem Antreten von Othmar Karas.

Sonstige

Ebenfalls antreten wir die Bierpartei, und zwar unter ihrem Vorsitzenden Dominik Wlazny alias Marco Polo. Umfragen rechnen der Partei laut APA durchaus die Chance aus, die Vier-Prozent-Hürde zu schaffen und in den Nationalrat einzuziehen - im Gegensatz zu 2019. Seit der Bundespräsidentenwahl 2022 genießt Wlazny nämlich eine viel größere Aufmerksamkeit.

Auch über ein Antreten des Noch-ÖVP-EU-Mandatars Othmar Karas mit einer eigenen Plattform wird spekuliert. Eine derartige Bürgerplattform mit Menschen aus verschiedenen Bereichen könnte laut Kathrin Stainer-Hämmerle tatsächlich für viele wählbar sein.

Auch die KPÖ könnte dieses Mal mit Rückenwind aus Salzburg und Innsbruck ein respektables Ergebnis erzielen.

Umfragen

Sämtliche Umfragen sehen derzeit die FPÖ klar an der Spitze liegen (Stand Mitte Jänner 2024). Die Freiheitliche Partei liegt dabei mit knapp 30 Prozent vor der SPÖ mit 24 Prozent und der ÖVP mit 21 Prozent. NEOS und Grüne liegen in etwa gleich auf bei rund 9 Prozent. Hier geht es zum aktuellen Wahltrend für Österreich.

FPÖ-Chef Herbert Kickl macht sich angesichts der Umfragewerte große Hoffnungen auf den Kanzlerposten. Auf diesen hofft auch SPÖ-Chef Andreas Babler, der sich als Herausforderer um Platz eins sieht. Am unklarsten sei die Lage für die ÖVP. So analysiert etwa orf.at, die EU-Wahl gelte hier als – auch für Kanzler Nehammer innerparteilicher wichtiger – Stimmungstest.

Was ist der Nationalrat?

Das österreichische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Nationalrat und dem Bundesrat. Im Nationalrat sitzen die 183 gewählten Abgeordneten der Landes- und Regionalwahlkreise. Seit der Nationalratswahl im September 2019 sind im Nationalrat mit ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos fünf Parteien vertreten. Die Abgeordnete Philippa Strache (ehem. FPÖ) ist die einzige Mandatarin ohne Partei und daher auch als "wilde Abgeordnete" bezeichnet.

Die Abgeordneten finden sich im Nationalrat in sogenannten parlamentarischen Klubs zusammen. Um einen Klub bilden zu können, braucht es mindestens fünf Mandatar:innen. Der Klubstatus gewährleistet bestimmte parlamentarische Rechte, zum Beispiel das Recht, Anträge einzubringen.

Die zentrale Aufgabe Nationalrats und der Abgeordneten ist es, Gesetze vorzuschlagen, zu diskutieren und zu beschließen. Wichtig ist zudem die parlamentarische Kontrollfunktion. Durch Anfragen überprüfen sie die Arbeit der Bundesregierung und können einzelnen Minister:innen oder der gesamten Regierung durch ein sogenanntes Misstrauensvotum das Vertrauen entziehen. Das betreffende Regierungsmitglied bzw. die gesamte Regierung wird dann vom Bundespräsidenten des Amtes enthoben.

Ein erheblicher und wichtiger Teil der Arbeit findet hinter den Kulissen statt. In diversen Ausschüssen werden Gesetze vorbereitet, beraten und diskutiert. Außerdem sind die Mandatar:innen angehalten, Kontakt zu ihren Wahlkreisen zu pflegen.

Ein Mitglied des Nationalrats verdient monatlich 10.351,39 Euro (Stand: 15. März 2024).

Wie funktioniert eine Nationalratswahl?

Seit einer Wahlrechtsreform im Jahr 2007 wird der Nationalrat alle fünf Jahre neu gewählt (zuvor alle vier Jahre). Im Zuge dieser Reform wurde auch die Senkung des aktiven Wahlalters von 18 auf 16 Jahre beschlossen. Gewählt werden bei einer Nationalratswahl die Mitglieder des Nationalrats – nicht die Bundesregierung! (Diese wird vom Bundespräsidenten in Übereinstimmung mit dem Nationalrat ernannt).

Im Nationalrat sitzen 183 Abgeordnete aus 9 Landes- und 39 Regionalwahlkreisen. Je nach Bevölkerungsgröße können in einem Landeswahlkreis nur eine bestimmte Anzahl an Mandaten vergeben werden. Die meisten Mandate, 37, werden in Niederösterreich vergeben, gefolgt von Wien mit 33 Mandaten. Auf das Burgenland entfallen lediglich sieben Mandate. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Zahl der Abgeordneten im österreichischen Nationalrat konstant. In Deutschland variiert die Größe des Bundestags beispielsweise von Wahlperiode zu Wahlperiode.

Wähler:innen können am Tag der Nationalratswahl wählen oder bereits im Vorhinein eine Wahlkarte beantragen. Mit einer Wahlkarte kann auch außerhalb der Heimatgemeinde und vorm eigentlichen Wahltag gewählt oder im Inland und Ausland die Briefwahl ausgeübt werden. In Österreich besteht keine Wahlpflicht.

Wahlzettel für die Nationalratswahl
© Elke Mayr

Gewählt wird bei Nationalratswahlen eine Parteiliste. Auf dieser Liste sind sämtliche Wahlkandidat:innen einer Partei gereiht. Je weiter vorne ein:e Kandidat:in steht, desto größer sind gemeinhin die Chancen auf einen Einzug in den Nationalrat. Wähler:innen können auch Vorzugsstimmen vergeben. Eine Verpflichtung besteht jedoch nicht. Durch die Vergabe einer Vorzugsstimme kann ein:e Kandidat:in auf der Parteiliste besonders hervorgehoben werden. Erhält der oder die betreffende Kandidat:in genügend Vorzugsstimmen, kann er oder sie unabhängig vom eigentlichen Listenplatz in den Nationalrat einziehen. Insgesamt können drei Vorzugsstimmen vergeben werden, auf Bundes-, Landes- und Regionalebene.

Stimmabgabe – und dann?

Um ins Parlament einzuziehen, muss eine Partei mindestens vier Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten bzw. die sog. Vier-Prozent-Hürde überspringen. Anders als in den USA oder in Großbritannien, die nach dem Mehrheitswahlrecht wählen, wird in Österreich nach dem Verhältniswahlrecht entschieden. Das bedeutet, die abgegebenen Stimmen werden möglichst genau auf die zugewiesenen Mandate umgerechnet. Soziale und politische Gruppierungen sollen so möglichst nach ihrem Stimmenanteil repräsentiert werden. Zum Beispiel: Erhält Partei x bei einer Wahl 20 Prozent der Stimmen, soll sie auch im Nationalrat 20 Prozent der Sitze erhalten (zumindest im Idealfall, in der Realität kommt es aufgrund verschiedener Faktoren meist zu geringfügigen Abweichungen).

Beim Mehrheitswahlrecht bekommt jene Person bzw. Partei das Mandat, das die meisten Stimmen erhält. Alle anderen gehen leer aus. Bei Wahlen zum deutschen Bundestag kommen sowohl Mehrheits- als auch Verhältniswahlrecht zum Einsatz.

Welche:r Kandidat:in letztlich in den Nationalrat einzieht, wird in einem dreistufigen – mitunter sehr komplexen – Verfahren ermittelt. Das Ergebnis setzt sich aus den Einzelergebnissen der Regional- und der Landeswahlkreise, des Bundesergebnisses und der Vorzugsstimmen zusammen. Insgesamt gibt es dafür über 200 mathematische Verfahren. Weitere Details dazu finden Sie hier.

Wer darf wählen und gewählt werden?

Aktiv wahlberechtigt sind österreichische Staatsbürger:innen, die spätestens am Tag der Wahl ihr 16. Lebensjahr vollenden. Vom Wahlrecht ausgeschlossen sind Staatsbürger:innen, die wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder wegen bestimmter Delikte, wie zum Beispiel Landesverrat, Wahlbetrug, NS-Wiederbetätigung oder Terror, zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind.

Passiv wahlberechtigt sind bei einer Nationalratswahl Bewerber:innen, die am Stichtag der Wahl die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und spätestens am Tag der Wahl das 18. Lebensjahr vollenden. Ausgeschlossen sind wiederum Personen, die durch ein Gericht rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder zu einer bedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurden.

Nationalratswahlen 2019

Die Nationalratswahlen 2019 fanden früher als geplant statt. Der Grund dafür ist den meisten wohl noch in Erinnerung: Der damalige Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Parteiintimus Johann Gudenus wurden 2017 auf Ibiza dabei gefilmt, wie sie mit einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte dubiose Deals aushandelten. Nach Veröffentlichung des Videos im Mai 2019 beendete die ÖVP die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner FPÖ. Nach dem sogenannten "Ibiza-Skandal" wurden im Juni 2019 Neuwahlen ausgerufen, die am 29. September 2019 stattfanden.

An der Wahl teilgenommen haben 75,6 Prozent der insgesamt 6.396.812 Wahlberechtigten. Mit 37,5 Prozent erreichte die ÖVP Platz 1, dahinter folgte die SPÖ mit 21,2 Prozent auf Platz 2. Nach "Ibiza" erwartungsgemäß schwächer schnitt die FPÖ ab. Sie erreichte mit 16,2 Prozent den dritten Platz. Deutlich zulegen im Vergleich zur Wahl 2017 konnten die Grünen mit 13,9 Prozent. Außerdem schafften die NEOS mit 8,1 Prozent den Einzug ins Parlament.

Nach mehrwöchigen Koalitionsverhandlungen einigten sich schließlich die ÖVP und die Grünen auf einen Koalitionspakt. Mit Anfang Jänner 2020 wurde die neue Regierung von Bundespräsident Alexander van der Bellen angelobt. Auch diese Regierung erwies sich bis dato allerdings alles andere als stabil. Aufgrund diverser Korruptionsskandale der ÖVP kam es bereits mehrmals zu großen personellen Veränderungen innerhalb der Regierung. ÖVP-Kanzler Karl Nehammer ist nach Sebastian Kurz und Alexander Schallenberg bereits der dritte Kanzler in der laufenden Legislaturperiode.

Nationalratswahlen historisch

Erste politische Bestrebungen nach demokratischer Beteiligung in Österreich gehen auf die Märzrevolution von 1848 zurück. Dieses erste demokratische Aufbäumen endete jedoch frühzeitig, weil die Revolution nach anfänglichen Erfolgen im Herbst 1848 blutig niedergeschlagen wurde. Die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts erfolgte erst im Jahr 1907. Aktiv wahlberechtigt waren alle männlichen Staatsbürger ab 24 Jahren. Mit 1918 erlangen auch die Frauen das allgemeine und gleiche Wahlrecht (ausgeschlossen bleiben bis zum Jahr 1923 Sexarbeiterinnen).

Die ersten Wahlen zum Nationalrat der Zweiten Republik fanden am 25. November 1945 statt. Die ÖVP brachte es damals auf 49,8 Prozent (85 Mandate), die SPÖ auf 44,6 Prozent (76 Mandate) und die KPÖ auf 5,4 Prozent (4 Mandate). Mit 0,2 Prozent verpasste die Demokratische Partei Österreichs den Einzug. Letztlich koalierten ÖVP, SPÖ und KPÖ gemeinsam, wobei Letztere 1947 aus der Regierung ausschied.

Insgesamt wurde in Österreich in Zweiten Republik 27 mal ein Nationalrat gewählt. Im Schnitt hält eine Koalition ca. zweieinhalb Jahre.