Schwarz-grüne Krise

Die schwarz-grüne Regierung schnürt milliardenschwere Hilfspakete und Strompreisbremsen. Trotzdem ist sie auf dem Tiefpunkt ihrer Popularität. Könnte sich das viele Geld auch einmal in größerer Beliebtheit niederschlagen?

von Regierung Nehammer und Kogler © Bild: IMAGO images/SEPA.Media

Wissen Sie, wann die letzte Steuerreform war und was sie Ihnen gebracht hat?" - Mit dieser Gegenfrage und einem süffisanten Lächeln, wenn keine richtige Antwort kam, konterte die frühere Finanzministerin Maria Fekter in Interviews hartnäckige Fragen nach Steuerlast und fälligen Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Was sie damit sagen wollte: Die Wählerinnen und Wähler merken oft gar nicht so viel davon, wenn die Regierung das Füllhorn über ihnen ausleert. Bei Menschen mit sehr geringen Pensionen oder Einkommen zählt jeder Cent. Andere registrieren hingegen einige Dutzend Euro monatlich mehr nicht wirklich. Egal, wie groß eine Bundesregierung ihre "größten Steuerreformen aller Zeiten" oder ihre Mega-Entlastungspakete bewirbt, im Wahlergebnis oder in Umfragen schlägt sich das nicht immer nieder.

Die türkis-grüne Koalition käme, wären jetzt Nationalratswahlen, gemeinsam nur noch auf 32 Prozent. Dass sie in der Coronapandemie und in der Teuerungskrise Milliardenhilfspakete schnürte und Geld verteilt, macht sie nicht beliebter. Liegt das an schlechter Kommunikation ihrer Arbeit? Oder kann man sich von miserablen Umfragewerten gar nicht freikaufen?

Aus dem Gleichgewicht

"Die Regierung macht ihren Job, für den sie gewählt wurde. Dafür bekommt man keine zusätzlichen Bonuspunkte", sagt Verhaltensökonom Gerhard Fehr. Darüber hinaus ortet er allerdings in Österreich ein nachhaltiges Stimmungstief. Woher das kommt?" Es geht um die Frage: Wer steckt wen an? Jene, die Vertrauen in die Politik haben, die anderen, die keines haben? Oder ziehen jene, die kein Vetrauen in die Politik haben, die Schwankenden auf ihre Seite?" In der Verhaltensökonomie spricht man von "gutem" und "schlechtem Gleichgewicht"."Ein solches Gleichgewicht ändert sich nicht von heute auf morgen."

Dass in Österreich das Vertrauen in die Politik ins Negative umgeschlagen hat, sei das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung, die viel weiter zurückreicht als bis zur erratischen Coronapolitik, Korruptionsskandalen der politischen Episode Kurz oder der Inflationskrise. Für Fehr hat diese Entwicklung nach dem EU-Beitritt Österreichs 1995 ihren Anfang genommen.

"Wir haben den Reformschub aus diesem Ereignis und auch jenen durch den Fall des Eisernen Vorhangs wenige Jahre zuvor mitgenommen und konsumiert. Die Politik hat diesen bestenfalls verwaltet, aber daraus nichts weiterentwickelt."

»Das österreichische System ist nicht resilient«

Über die Jahre habe sie das Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen erodieren lassen. Die gesellschaftlichen Spannungen aufgrund der Pandemie hätten diesen Zustand nur noch verschärft, "denn das österreichische System ist nicht resilient", sagt Fehr. Und: "Auch die nächsten Regierungen werden noch in diesem Vertrauenstief herumhängen. Mit normaler Regierungspolitik hat man keine Chance, sich daraus zu befreien." Das heißt in weiterer Folge: Selbst bei einem Regierungswechsel nach der nächsten Wahl, also etwa einer Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und Neos, bliebe diese politische Stimmung so, wie sie ist. "Eine neue Regierung hätte vielleicht eine 100-Tage-Frist oder einen Kanzlerbonus, aber dann würde rasch wieder der politische Kleinkrieg ausbrechen und sie wäre im System gefangen." Dass sich Parteien selbst bei schweren Krisen, wie zuletzt etwa jener der Wien Energie, in politischem Hickhack ergehen, sei ein Symptom dieses Niedergangs, das zeige, "dass das politische System in den letzten Jahrzehnten nicht auf das Niveau gehoben wurde, das heute notwendig ist", sagt Fehr.

Kommt die Politik aus diesem Tief auch wieder heraus? "Mit normaler Anstrengung nicht", sagt Fehr. Dazu sei wohl eine politische Allianz nötig, die sich in den Dienst einer Zukunftsvision stellt. "Es geht ja den Leuten in Österreich immer noch gut, weil das Land nach dem zweiten Weltkrieg solide aufgebaut wurde. Die Frage ist jetzt: Wurschteln wir uns weiter durch oder machen wir einmal etwas Großes." Und die nächste Frage ist dann: "Mit welcher Person oder welcher Partei?"

»Die Frage ist jetzt: Wurschteln wir uns weiter durch oder machen wir einmal etwas Großes.«

"Schauen Sie nicht auf Umfragen"

Monat für Monat stellt Meinungsforscher Peter Hajek den Österreicherinnen und Österreichern die Sonntagsfrage. Monat für Monat können die Regierungsparteien dabei zusehen, wie ihre Werte zu Beginn der Coronapandemie zunächst stiegen und seit vergangenem Jahr eigentlich nur noch sinken. Ob sich erfolgreiches Krisenmanagement irgendwann in den Umfragen niederschlagen würde? "Die Bundesregierung kann erst profitieren, wenn diese Krise durchschritten ist", sagt der Experte, "dann greift vielleicht ein ,So schlecht war das gar nicht'." Allerdings gibt es in jüngerer Vergangenheit auch Beispiele dafür, dass gelungene politische Krisenbewältigung nicht belohnt wird. "Österreich ist unbestritten extrem gut durch die Finanzkrise 2008 gekommen. Das wird im Ausland gelobt. In Österreich war das den Menschen egal, wenn es um die Beliebtheit der damaligen Regierung ging." Die "große" Koalition aus SPÖ und ÖVP wurde damals hauptsächlich mit Streit und Blockade assoziiert. Und auch die SPÖ war ihres erfolgreichen Kanzlers Werner Faymann wenige Jahre später überdrüssig und jagte ihn mit üblen Szenen beim Mai-Aufmarsch aus dem Amt.

Ausgerechnet der Meinungsforscher rät allerdings dazu, Umfragen im politischen Alltag nicht überzubewerten. "Politiker werden ja nicht gewählt, um Umfragen zu gewinnen, sondern im Interesse der Menschen Politik zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass sich die handelnden Personen maximal eine Minute po Tag Gedanken über politische Strategiespiele machen und sonst die ganze Zeit daran arbeiten, wie das Land durch die Krise kommt." Zusatz: "Wäre ich Minister, würde ich mir Umfragen gar nicht anschauen. Was zählt, ist das Ergebnis am Wahltag. Es ist wie an der Börse. Umfragen sind wie Kursbewegungen von Aktien, die echten Gewinne oder Verluste gibt es erst beim Verkauf."

Und so ist auch für die SPÖ Platz eins in den Umfragen noch gar kein echter Grund zur Genugtuung. Sie hat früh auf das Thema Teuerung gesetzt, mit dem Vorteil, nichts beweisen zu müssen. "Wie lange ihr Aufwärtstrend anhält, wird man sehen", sagt Hajek, noch sei etwa nicht klar, wie sehr das Thema Wien Energie der Bundes-SPÖ schade. Klar sei, dass die derzeitige Themenlage den Roten normalerweise helfe. "Eigentlich müsste die SPÖ in den Umfragen viel höher liegen", sagt der Meinungsforscher. "Das zeigt, wie groß die Unsicherheit in der Bevölkerung ist. Es gibt wenig, wo man sich anhalten kann. Man weiß nicht, wer es in der derzeitigen Lage wirklich besser machen würde. Es fehlen sowohl in der Regierung als auch in der Opposition Personen, die vorangehen."

Ohnmächtige Sündenböcke

Strategieberaterin Heidi Glück hat in ihrer Zeit als Pressesprecherin des früheren Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel selbst ein Sparpaket "verkauft". Sie ortet bei der heutigen Regierung handwerkliche Fehler, wenn es darum geht, die Lorbeeren der Hilfspakete abzuholen. "Wenn ich 28 Milliarden Euro auf den Weg bringe, muss ich auch Geld für eine kreative Kommunikationsarbeit ausgeben", sagt sie. "Die Anti-Teuerungspakete wurden schlecht kommuniziert, inhaltlich und vom Timing her. So große Summen, verpackt in Einzelmaßnahmen, kann niemand verarbeiten und sich merken." Geld komme erst Monate später aufs Konto, "da wissen die Leute vermutlich gar nicht mehr, wem sie das zu verdanken haben." Und selbst, wenn: "Einmalzahlungen werden auch schnell wieder vergessen."

Karl Nehammer müsse mehr kommunizieren, sagt die ehemalige Kanzlerberaterin. "Er kann es -das hat er beim Sommergespräch gezeigt. Aber er müsste stärkere Medienpräsenz haben und die notwendige Hegemonie in der Krisenkommunikation gewinnen. Nur so kann er Leadership aufbauen. Er muss zeigen, dass er das Staatsschiff durch den Sturm navigiert. Diese Rolle ist zu wenig erkennbar."

Glück relativiert die Kritik an schlechter Kommunikation der Regierungsparteien aber auch wieder. Es ist derzeit nicht einfach, die Wählerinnen und Wähler zu erreichen. "Die Leute sind verunsichert, weil die Zukunft unklar ist, es gibt keinen Anlass für Optimismus." Die Menschen wüssten aber auch, so Glück, dass viele der Probleme durch Inflation und Ukraine-Krieg gar nicht auf nationaler Ebene gelöst werden können. Die Expertin ortet aber auch eine gewisse Zwiespältigkeit: "Die Menschen spüren sehr wohl die Ohnmacht der Politik, machen aber dennoch die Politiker zu Sündenböcken." Das Ansehen der Politiker sei auf einem Tiefpunkt angelangt, sagt Glück.

»Die Menschen suchen immer die Fehler bei den anderen, nie bei sich selbst. «

"Die Menschen suchen immer die Fehler bei den anderen, nie bei sich selbst. Deswegen erkennen sie auch die Leistungen der Politiker nicht an. Es gibt keine faire Beurteilung dessen, was gelingt, auch verstärkt durch die mediale Berichterstattung." Das Klima sei zudem durch die Aggressivität in den soziale Medien vergiftet. "Dagegen hilft auch keine Kampagne oder Kommunikationsstrategie."

Augen zu und durch

Was bleibt dem Regierungsteam um Nehammer und seinem grünen Vizekanzler Werner Kogler also? Glück: "Jetzt hilft nur konsequentes Durcharbeiten. Was nach dem Wahltag passiert, ist völlig offen, denn auch die Oppositionsparteien haben keine Lichtgestalten zu bieten und überzeugen nicht durch eindrucksvolle Vorschläge." Und, ergänzt Hajek: "SPÖ, Neos und Grüne haben derzeit in den Umfragen zusammen gerade einmal 50 Prozent. Und da wissen wir noch nicht einmal, ob es nicht auch neue Parteien ins Parlament schaffen. Viel Spaß!" Wenn das kein Trost für diese Regierung ist

» Was nach dem Wahltag passiert, ist völlig offen, denn auch die Oppositionsparteien haben keine Lichtgestalten zu bieten und überzeugen nicht durch eindrucksvolle Vorschläge«

Der Niedergang

Bald nach ihrer Angelobung im Jänner 2020 setzt die Regierung, damals noch unterr dem ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, zu einem Höhenflug in den Umfragen an. Die erste Unsicherheit der Coronapandemie vereinte die Menschen hinter ihren Krisenmanagern. Dann kamen ÖVP-Skandale, Rücktritte und die Sorgen durch die steigende Inflation. Wären demnächst Wahlen, gäbe es für ÖVP und Grüne keine Mehrheit mehr.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 36/2022.