"Es ist ein solcher Schmerz, eine solche Schmach!"

Der Zustand der österreichischen Politik versetzt den einstigen Spitzenmandatar Hans Peter Haselsteiner in Verzweiflung. Auch als milliardenschwerer Unternehmer hat er sich zurückgezogen. Aber als Kunst-Mäzen und scharfblickender Beobachter der Weltläufe ist er einer, dem man zuhören sollte

von Hans Peter Haselsteiner © Bild: Trend Sebastian Reich

Spuren zu hinterlassen, scheint eine Vordringlichkeit zu sein im Leben des Unternehmers, Politikers und Mäzens Hans Peter Haselsteiner, 78. Der Unternehmer leitete bis 2013 den Straßenbaukonzern Strabag, gründete die Westbahn und nimmt mit kolportierten 1,8 Milliarden Euro Vermögen Platz 24 der betuchten Landsleute ein. Der Politiker logierte in Spitzenpositionen für das Liberale Forum im Parlament und half der Nachfolgeformation NEOS auf den Weg. Der Mäzen investierte 100 Millionen in die Gründung der Tiroler Festspiele Erl durch den später über #Metoo-Vorwürfe gestürzten Dirigenten Gustav Kuhn. Heute wird Erl mit je etwa 1,5 Millionen jährlich von Haselsteiners Privatstiftung, der Strabag und René Benkos Signa-Holding unterstützt. Haselsteiner ist zudem Gründer der Expositur Albertina Modern im Künstlerhaus, das er für 40 Millionen Euro renovieren lässt, und finanziert dort auch wesentlich Bogdan Roscic' Kinderoper, die zu Weihnachten 2024 eröffnet wird. Ein Gespräch mit dem bekennenden Freimaurer garantiert somit multiple Wegweisung in unübersichtlichen Zeiten.

Herr Haselsteiner, kann es sein, dass ich mit Ihrem Nokia-Tastenhandy verbunden bin?
Da haben Sie richtig gehört. Äußerst verlässlich und robust, 30 Jahre schon. Und keine Bilder!

Dachten Sie nie daran, es dem Technischen Museum zu stiften? Oder der Albertina Modern?
So eine Installation ließe sich schon ins Auge fassen.

Da sind wir auch schon bei der Kunst. Sind Sie eigentlich ein Sponsor oder ein Mäzen? Und was ist der Unterschied?
Ich bin fast ausschließlich ein Mäzen, weil die Gegenleistung, die ich erwarten, erbitten oder bedingen könnte, nicht vorhanden oder so bescheiden ist, dass sie nicht ins Gewicht fällt. Und die reputativen Benefizien sind einem Mäzen oder Philanthropen ja hoffentlich unbenommen.

Haben Sie durch Ihr Mäzenatentum steuerliche Vorteile?
Die Sponsoren von Erl oder der Albertina Modern können ihre Spenden abschreiben. Aber das ist ja bei mir nicht der Fall, weil die Zuwendungen aus meiner Stiftung kommen. Es gibt allerdings auch seitens der Strabag Unterstützungen für Kunst und Soziales, und die wirken nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern auch bei den Mitarbeitern. Das ist ein Effekt, der diese große Familie zusammenschweißt. Es entwickelt sich ein gewisses Selbstverständnis und ein Stolz, Teil dieses Ganzen zu sein. Das ist der wichtigste Aspekt neben dem eigentlichen Zweck.

Welche sind denn die kulturellen Aktivitäten Ihrer Stiftung?
Das sind sicher zwei Dutzend. Die größten sind Erl und das Künstlerhaus in Wien mit der Albertina Modern. Dazu kommt im Nebengebäude die Kinderoper der Staatsoper. Dann gibt es den Kunstpreis und die Sammlung und die Sommerspiele von Porcia in Spittal an der Drau, etc. etc.

Gustav Kuhn habe ich mehrfach verteidigt und dafür erboste Zuschriften bekommen. Erl war doch ein Erfolgsunternehmen, nicht?
Gustav Kuhn hat seine bleibenden Verdienste als Gründer dieses Festivals, das er mit so großem Erfolg geleitet hat. Er ist ein großartiger Dirigent und in vielerlei Hinsicht auch ein guter Regisseur, und mit den bescheidenen Mitteln technischer Natur war das eine beachtliche Leistung. Dass er sich dann nicht in ein, sondern in beide Knie geschossen hat, ist eine Tragödie, die er selbst erdulden muss.

Aber es ist doch gerichtlich gar nichts übrig geblieben.
Gerichtlich ist überhaupt nichts anhängig gewesen. Aber der Vorwurf lautet, dass er belästigt hat. Ein Gutachten der Gleichbehandlungskommission hat das festgestellt. Seine Verteidigung lautete "Es war ja eh nichts". Aber da täuscht er sich. Die Zeiten haben sich geändert, und man kann auch mit Worten und Taten, die nicht strafrechtlich relevant sind, belästigen.

Gibt es eine Möglichkeit, ihn nach Erl zurückzuholen?
Sie mag bestehen, ist aber nicht realistisch, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Im Rahmen der Festspiele würde es mich überraschen, weil die öffentlichen Hände Stifter sind und große Widerstände entstünden.

Aber dass er aus der Branche verschwunden ist, halten Sie das für gerechtfertigt?
Das sehe ich als äußerst problematisch. Ein Vergewaltiger mit schwerer Körperverletzung bekommt einige wenige Jahre Gefängnis, wird nach ein bis zwei Jahren wegen guter Führung entlassen, und vor der Tür steht schon die Kommission, die ihm die Wiedereingliederung ins Leben und den Beruf ermöglicht. Aber die Verurteilung durch das Internet sieht so ein Verfahren nicht vor.

Hans Peter Haselsteiner
© Trend Sebastian Reich Hans Peter Haselsteiner

Gehört das Internet nicht viel schärfer reguliert?
Social Media müssten halt Media sein und nicht Freibeuter. Sie dürfen sich Medien nennen, unterliegen aber nicht dem Mediengesetz. Das ist ein Fehler, der immer mit dem Totschlagargument gerechtfertigt wird, dass man mit Regulierungen die politische Opposition ausschalten würde. Man würde aber doch glauben, dass es auch ein Recht auf Persönlichkeitsschutz gibt. Das Thema ist wohl noch zu jung, und es ist so rasant gegangen, dass die Gesellschaft und die Politik nicht in der Lage waren, adäquat zu reagieren. Das Pendel schlägt jetzt schon langsam zurück. Es ist nicht mehr so selbstverständlich, Hass zu verbreiten. Aber da ist noch viel zu tun. Es gibt z. B. Hacker-Angriffe, die Betroffenen zahlen ihre Lösegelder in Bitcoins, und die Behörden müssen zuschauen. Sie können weder vor Hacker-Angriffen schützen noch die Bitcoins in den Griff kriegen. Wir müssen wegen 10.000 Euro bei der Bank Geldwäscherichtlinien unterschreiben. Und dort zahlen Sie 50 Millionen Bitcoin-Lösegeld, und es zuckt jeder mit den Achseln.

Was kann man da tun?
Bitcoins gehören verboten, aus vielerlei Gründen, u. a. weil sie Energieverschwender erster Ordnung sind und weil sie dem organisierten Verbrechen zur Geldwäsche dienen.

Und der Fall Teichtmeister? Vom Gesetz her ist das ein Vergehen mit minimaler Strafe, ohne dass man hier etwas zu entschuldigen hätte. Aber für seinen Beruf? Ist da eine Rückkehr jemals möglich?
In meinen Augen nicht. Pädophilie ist eine Krankheit, und soviel ich weiß, war der Herr Teichtmeister in Behandlung. Das ändert aber nichts daran, dass er sich schuldig gemacht hat. Anschauen wäre ja die eine Sache, aber es muss ja auch in irgendeiner Form entstehen, und das ist mit schwerstem Kindesmissbrauch verbunden. Wer das ansieht, leistet Beihilfe zu einem schweren Verbrechen. Aber es stimmt schon: Wenn der Herr Teichtmeister ein kleiner Beamter im Bezirk Lilienfeld wäre, würde das keinerlei Wellen schlagen. Aber er ist halt ein Star, und was jetzt geschieht, ist die Kehrseite des Ruhms, der Privilegien und der Bewunderung. Da besteht schon die Forderung nach Vorbildwirkung, und was ihm jetzt geschieht, ist entsprechend unbarmherzig. Jeder fragt sich, wie er das tun konnte. Aber die wenigsten fragen, was mit dem kranken Menschen passiert. Ich finde, auch das ist eine Tragödie. Den Beruf kann er jedenfalls vergessen.

Kommen wir zu Erl zurück. Der Intendant Bernd Loebe will nicht verlängern, stimmt das?
Stimmt.

Hört man richtig, dass Sie an einem Dirigenten der Höchstliga interessiert sind?
Jetzt ist einmal ausgeschrieben, in sechs Wochen werden wir hoffentlich zahlreiche Bewerbungen haben, und auf der hoffentlich spannenden Shortlist werden hoffentlich auch ausübende Künstler sein. Ich habe mehrere Personen gebeten, eine Bewerbung in Erwägung zu ziehen.

Man hört, um denkmöglichst hoch zu beginnen, von Christian Thielemann? Der geht gerade von Dresden, Bayreuth und Salzburg weg.
Er wird wohl Generalmusikdirektor in Berlin und damit leider vergeben sein. Wenn er aber an uns Interesse zeigen würde, wäre das für Erl sehr schmeichelhaft.

Auch Welser-Möst verlässt bald Cleveland.
Auch er ist ein weltberühmter Dirigent.

Wenn wir die Gedanken schweifen lassen: Teodor Currentzis verliert gerade wegen nicht existenter Putin-Nähe viele Dirigate im Westen. Man hat schon lang versucht, ihn, sein Orchester und seinen Chor etwa in Italien anzusiedeln, damit sie von Russland wegkommen und von einem neuen Stützpunkt weiterarbeiten können. Ist so etwas für Erl vorstellbar?
Wir haben in Erl den Grundsatz, dass wir Russen nicht diskriminieren, nur weil sie Russen sind. Sondern dass wir sie nicht einladen, wenn sie Putins politische Richtung unterstützen oder dulden. Das tut Currentzis nicht, beziehungsweise enthält er sich jeglichen Kommentars, und das ist sein gutes Recht, denn er hält daran fest, seinen Musikern in Petersburg verpflichtet zu sein. Für russische Künstler ist es ja eine Katastrophe, in Russland zu leben, dort Familie zu haben und praktisch nicht emigrieren zu können. Ich halte es also für bewundernswert, dass sich Currentzis seinen Musikern, die ihm von Ostsibirien nach Perm und von dort nach St. Petersburg gefolgt sind, verpflichtet fühlt.

Und das gesamte Ensemble?
Die haben doch alle Familien, und es ist schwer vorstellbar, dass 1.000 Russen nach Tirol zuwandern.

Mateschitz hat für Currentzis ein neues Orchester gegründet, war überhaupt vielfach aktiv. Wenn nun etwa Servus TV in Bedrängnis geriete, würden Sie einspringen?
Zwischen dem Herrn Mateschitz und mir liegt eine Null. Er hat in einer anderen Liga gespielt. Das beantwortet wohl Ihre Frage.

Dass man Anna Netrebko vielfach nicht mehr engagieren wollte, sahen Sie das auch als Bösartigkeit?
Ja. Alle Neidgenossen haben sich da zusammengefunden, und sie hat sich ungeschickt verhalten.

Und Valery Gergiev?
Der ist ein Teil des Apparats, ein Staatskünstler.

Dem alle hineingekrochen sind.
Wie dem Putin. Ich war mehrfach bei Weltwirtschaftsgipfeln, zum Beispiel in Sotschi. Alle wollten mit Russland ein Geschäft machen.

War das ein Fehler?
Sich mit der komplexen Persönlichkeit des Herrn Putin auseinanderzusetzen, hätte nicht geschadet.

Hatten Sie mit ihm oder Russland wirtschaftliche Kontakte?
Ich habe ihm dreimal im Defilee die Hand gegeben. Ich habe auch Freunde in Russland und eine russische Schwiegertochter und eine halbukrainische Gegenschwiegermutter. Und die Strabag hat noch eine Filiale, die Strabag Moskau. Die ist in Abwicklung, aber sowas dauert und ist nicht so einfach, wie die Menschen sich das vorstellen.

Lassen Sie uns zur Kunst zurückkehren. Klaus Albrecht Schröder will an der Albertina nicht verlängern. Ist die Albertina Modern im Künstlerhaus gesichert?
Ich halte sie für einen unverzichtbaren Bestandteil der Albertina. Alles andere würde mich überraschen, um nicht zu sagen entsetzen. Zwischen der Albertina und mir besteht eine Vereinbarung: Beide müssen wollen. Ich will.

Wer soll Schröder folgen? Angela Stief von der Albertina Modern wird von ihm selbst ins Gespräch gebracht.
Sie ist eine erstklassige Museumsfrau, die das hervorragend könnte. Bedauerlicherweise sind Hausbesetzungen oft verpönt. Bei der Strabag ist das anders: Da wäre eine Besetzung von außerhalb unvorstellbar, denn die Besten kommen fast immer aus dem eigenen Haus.

Kommen wir zur Politik. Was sagen Sie zum Ansehensverlust der Parteien?
Auch das hat mit der neuen Medienwelt zu tun. Wenn sich in der Medienwelt etwas Grundsätzliches, Revolutionäres verändert hat, hat sich auch die Gesellschaft verändert, beginnend mit dem Buchdruck und der Kirchenspaltung und dem Radio und dem Fernsehen ... Jetzt wirkt sich die hundertprozentige Durchleuchtung des Politikers unheilvoll aus. Er hat keinerlei Rückzugsgebiet mehr, andererseits bedient sich die Politik der Social Media. Das ist eine unglückliche Symbiose, die für die Demokratie nicht einfach ist. Wie sich die Gewählten und die Wähler auf ein Regelwerk einigen, das noch demokratisch ist: Das ist eine der großen Herausforderungen. Und nicht nur bei uns. Man muss nur auf die USA blicken, was dort durch Trump möglich war, um zu wissen, dass es so nicht weitergehen kann.

War es also nicht gerechtfertigt, dass Kurz gehen musste?
Zumindest retrospektiv gibt es da schon ein Sittenbild, das ihn nicht als den idealen Kanzler ausweist. Für junge, intelligente, ehrgeizige Menschen war er kein Vorbild. Um das Strafrecht geht es da gar nicht in erster Linie. Auch in der Politik haben Prominenz, Macht und Einfluss ihren Preis, nämlich ein strenges Anforderungsprofil hinsichtlich der moralisch-ethischen Eignung.

Gab es die denn früher in solchem Maß?
Den Bundeskanzlern, an die ich mich erinnern kann, muss man schon eine gewisse Integrität zugestehen, auch in dem Sinn, dass sie dem Land einen Dienst leisten wollten. Beim Kurz kommt halt schon der Eindruck zustande, dass das nicht immer im Vordergrund stand.

Na ja, Ihr Aufsichtsrat Gusenbauer, über den Sie mit Benko verbunden sind? Waltet da keine Grauzone?
Ich hab weder bei Gusenbauer noch bei Benko den Verdacht, dass sie etwas getan hätten, was sie nicht vertreten könnten. Der Gusi ist ein Uraltfreund von mir. Ich schätze ihn sehr, und auch wenn er aus sozialdemokratischer Sicht das eine oder andere Mandat angenommen hat, das angeblich nicht passt: Einem Menschen, den man in den Hintern getreten und aus dem Amt entfernt hat, vorschreiben zu wollen, was er zu tun hat, kommt mir nicht ganz schlüssig vor.

»Der Machterhalt rechtfertigt nicht jede Maßnahme, es sei denn, man will Kickl-Leitner genannt werden«

Wir schätzen doch alle Erwin Pröll für sein kulturpolitisches Wirken. Wie sehen Sie denn die Situation jetzt?
Der Machterhalt rechtfertigt nicht jede Maßnahme, es sei denn, man will Kickl-Leitner genannt werden.

Und der Aufstieg der FPÖ, unbeirrt durch wiederkehrende Selbstzerstörung?
Die anderen Parteien sind schwach und die Menschen in einer Krise. Das hat mit der Pandemie begonnen und sich durch die wirtschaftliche Entwicklung enorm verstärkt. Es wird schwierig, Regierungen ohne Einbindung der FPÖ zu bilden. Bedauerlicherweise entwickeln die Parteien so wenig Respekt voreinander und versuchen nicht einmal, irgendwelche Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Der Vorschlag des politischen Mitbewerbers ist immer schlecht.

Dass Van der Bellen Kickl nicht angeloben würde ...
... ist erfreulich, so wie Van der Bellen als Bundespräsident. Aber nach wie vor besteht ja die Hoffnung, dass keine der Parteien, auch die ÖVP nicht, sich mit der FPÖ ins Bett legen will. Frau Mikl-Leitner hat jedenfalls eine politische Verantwortung zu tragen, die in der Geschichte schwer wiegen wird.

Ein zivilisierterer FPÖ-Kanzler als Kickl wäre demokratisch zu akzeptieren?
Wenn er genug Stimmen bekommt und eine Parlamentsmehrheit zusammenbringt, wird man ihm eine demokratische Legitimierung nicht absprechen können. Allerdings gibt es Beispiele, dass Parteien demokratisch legitimiert wurden und dann die Demokratie ausgehebelt haben, 33 in Deutschland und vorher in Italien. Nicht alle Diktaturen sind durch Putsch zustande gekommen.

Welche Koalition würden Sie sich nach dieser Wahl wünschen?
Ich hätte eine Schwäche für eine Ampel, aber in Anbetracht dessen, was vor uns liegt, kann ich mir auch eine Konzentrationsregierung vorstellen. Ohne FPÖ, mit der die Neos niemals koalieren würden. Ihr gegenüber muss eine Grenze gesetzt werden: Diese Art Politik wollen wir nicht. Eine so große Koalition wäre allerdings schwierig, und wenn ich mir die bescheidene Leistung dieser Regierung anschaue, frage ich mich, was die noch gemeinsam haben. Und wie weit sie sich noch verbiegen. Es ist ein solcher Schmerz und eine solche Schmach, wenn man diese Versuche verfolgt, zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist. Insbesondere von den Grünen. Ich weiß allerdings nicht, wie es meiner Partei ginge, wenn sie mit Rot, Schwarz und Grün in einer Regierung säßen. Und worauf man sich dann überhaupt einigen könnte! Das müsste ein sehr detailliertes Regierungsprogramm sein, das man dann abzuarbeiten hätte. Nicht wie jetzt, wo es das Wichtigste ist, in den Positionen zu verharren und möglichst viele Posten zu besetzen.

Sie stehen vollkommen zu den Neos?
In Abwägung aller Fakten sind sie mir am nächsten.

Dann lassen Sie uns ins Detail gehen. Sie stellen auch die Neutralität infrage?
Ich teile diesen Standpunkt nicht, aber das hat wohl damit zu tun, dass ich älter bin und glaube, dass die Neutralität immer einen Wert hat.

Der Nato sollen wir uns annähern, wie die Neos empfehlen?
Ich glaube, dass die Nato für Europa ein Danaergeschenk ist. Wir waren nach dem Krieg nicht in der Lage, uns von den Amerikanern zu emanzipieren. Daher sind wir ihre Vasallen geworden, und ich habe keine Sympathie für einen Hegemon. Eine Nato, die unter dem Diktat einer einzigen Nation steht, die auf Grund ihrer militärischen und wirtschaftlichen Macht alles erzwingen kann, was sie will, lehne ich ab.

Und die Atomkraft, für die sich die Neos engagieren?
Es ist unverantwortlich, geradezu eine Perversion, dass man Atomkraftwerke abschaltet und Braunkohle verfeuert. Die Begründung vieler deutscher Grünen, sie hätten 40 Jahre gegen die Atomkraft gekämpft und würden sich jetzt nicht den Sieg wegnehmen lassen, indem sie einer Verlängerung zustimmen, halte ich für verantwortungslos. Ob man neue Atomkraftwerke bauen soll, würde ich gerne als Diskussionspunkt gelten lassen, auch hinsichtlich neuer Technologien mit kleineren Einheiten. Aber wenn wir die Klimakatastrophe wenigstens abfedern wollen, kommen wir an der Atomkraft nicht vorbei. Oder wir gehen den Weg breiter Einschränkungen in unseren Gewohnheiten und breiter Einkommensverluste in den Industrieländern.

»Der Atomkrieg ist nicht auszuschließen, wenn nicht zu befürchten«

Wie sehen Sie denn das Friedensmanifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht? Als naiv, wie es vielfach verspottet wird?
Es sollte nicht als naiv und schon gar nicht als negativ eingestuft werden, wenn jemand für den Frieden eintritt. Die Frage ist allerdings: Welcher Friede, und wie soll er zustande kommen? Wenn einer Angreifer ist und einer Angegriffener? Unsere Solidarität muss natürlich dem Angegriffenen gelten. Aber auch hier halte ich den Shitstorm, die Unbarmherzigkeit im Urteil, diesen Mangel an Bereitschaft, Argumente abzuwägen und Lösungsmöglichkeiten auszuloten, für unheilvoll. "Nein, geht nicht, aus, die Ukraine wird auf keinen Quadratmeter ihres Territoriums verzichten, und dazu gehört auch die Krim, und darüber wollen wir nicht diskutieren!" Das halte ich für äußerst problematisch.

Soll man nun unbegrenzt Waffen liefern?
Wenn man den Krieg am Leben halten will, wird man das tun. Wobei unbegrenzt ohnehin nicht geht.

Bringen uns die Lieferungen in die Nähe des Atomkriegs?
Das ist nicht auszuschließen, wenn nicht zu befürchten. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Putin erleidet gesundheitliche Schwächen, sodass er abgelöst wird. Oder er wird gestürzt. Ich kann mir das nicht vorstellen und schon gar nicht, dass er von einem lupenreinen Demokraten gestürzt würde. Somit bleibt die jetzt machthabende Struktur aufrecht. Und dass die eine Niederlage hinnehmen oder die Krim räumen würden - nach der Devise: Wir haben uns geirrt! Die Krim gehört zur Ukraine, weil sie ihr Chruschtschow 1954 geschenkt hat -, das halte ich für unwahrscheinlich. Bevor das geschieht, wird es eine Eskalation geben. Zuerst die Generalmobilmachung in Russland mit noch mehr Opfern und dann, wenn die Ressourcen an Menschen und die finanziellen Mittel ausgehen . . .

Kommen wir zu Ihnen. Haben Sie sich ganz aus den operativen Geschäften zurückgezogen?
Vor ziemlich genau zehn Jahren. Ich habe keine Aufgaben im Baugeschäft mehr. Diese nimmt nunmehr mein Sohn Klemens war. Alles andere mache ich, weil ich sonst zugeben müsste, dass ich alt werde.

Klar, wenn man sich etwa vergegenwärtigt, wie rasch es mit Mateschitz gegangen ist. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Dass wir sterben müssen, wissen wir, und wenn man so wie ich Ende 70 ist, dann ist jedes Jahr in Gesundheit und Tatkraft ein Geschenk. Ich hoffe, dass ich noch möglichst lange beschenkt werde.

Sind Ihre Kulturprojekte in der Stiftung auf lange Zeit abgesichert?
Mein Stiftungsstatut besagt, dass die kulturellen und die sozialen Projekte mit 51 Prozent der Erträgnisse zu fördern sind. 49 sind der Familienversorgung gewidmet, die wurden aber seit Jahren kaum in Anspruch genommen. Solange die Stiftung existiert und die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, ist alles abgesichert. Wenn es einmal schlecht liefe, könnte die Stiftung auch nichts mehr zuwenden.

Ist das realistisch?
Na ja, auch die Rothschilds hatten einmal ein unermessliches Vermögen, das dann weg war. Wobei zwischen den Rothschilds und mir nicht eine Null, sondern zwei Nullen liegen. Anders gesagt: "Es sind schon Hausherrn g'storben."

Dann lassen Sie mich zum Schluss persönlich werden: Sie sind deklarierter Freimaurer? Warum?
Ich bin zu Zeiten von Jörg Haider aus der Deckung gegangen, um mich bewusst gegen seine Hetze und seine Andeutungen in Opposition zu setzen. Für den Politikertypus, den er verkörpert hat, ist die Freimaurerei ein rotes Tuch. Wobei ich sagen muss: Wenn die Freimaurer das Toleranzprinzip nicht so hochhielten, hätten sie mich schon ausgeschlossen, weil ich so selten dort bin. Ich bin diesbezüglich ein schlechter Bruder, im Herzen aber ein hoffentlich guter.

ZUR PERSON

Hans Peter Haselsteiner wurde am 1. Februar 1944 in Wörgl, Tirol, geboren, ist studierter Handelswissenschaftler und wurde über den Baukonzern Strabag ein Wirtschaftskapitän überregionaler Bedeutung, auch als Gründer des ÖBB-Konkurrenten Westbahn. Als Spitzenmandatar des Liberalen Forums bereitete er auch den Neos den Weg. 2013 zog er sich aus dem Unternehmen zurück. Haselsteiner ist verheiratet und hat vier Söhne. Er lebt in Kärnten.

Dieses Interview ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/2023 erschienen.