ANALYSE
Es wäre jedoch ein Fehler, den Bundesparteivorsitzenden abzuschreiben. Es mag schon sein, dass es noch mehr Entwicklungen gibt, die seine Erfolgsaussichten weiter trüben. Vor gar nicht allzu langer Zeit war es beispielsweise undenkbar, dass die Kommunisten in den Nationalrat einziehen könnten. Heute liegt es im Bereich des Möglichen. Ausgerechnet die Kommunisten: Für den bekennenden Linken Andreas Babler sind das lästige Konkurrenten. Sie könnten gerade auch ihm Stimmen abnehmen.
Im Übrigen naht die EU-Wahl. Da ist es für die SPÖ und ihren Chef wichtig, zumindest vor der ÖVP zu landen. Ob sie selbst einen Beitrag dazu leisten können, ist fraglich. Wenige Wochen vor dem Urnengang am 9. Juni ist es aber durchaus in ihrem Sinne, dass medial eher nur noch die Krise der Volkspartei im Fokus steht: dass sich diese unter Führung von Bundeskanzler Karl Nehammer mit eigenen Vorstößen wie jener für eine "Leitkultur" verzettelt, dass sie bei den Gemeinderatswahlen in Salzburg (Stadt) und Innsbruck abgestürzt ist und dass ihr das auch bei den kommenden Wahlen droht – bis hin zu den Landtagswahlen in Vorarlberg und in der Steiermark im Spätherbst.
Babler kann aufatmen: Plötzlich sind Negativschlagzeilen nicht mehr ihm und der SPÖ, sondern Nehammer und der ÖVP gewidmet. Das ist das eine. Das andere: Die FPÖ ist auf dem Weg zur stärksten Partei, nicht aber zu einer Regierungsbeteiligung. Davon entfernt sie sich eher: Ihr zweifelhaftes Verhältnis zu Wladimir Putins Russland macht es auch Kräften in der ÖVP schwer, sich auf eine Zusammenarbeit mit ihr einzulassen, die an sich dafür zu haben wären. Der Vorwurf des türkisen Abgeordneten Andreas Hanger, sie habe Landesverrat begangen, ist jedenfalls mehr als nur Wahlkampfgetöse, das hinterher einfach so vergessen ist.
Es könnte einem Szenario B von Andreas Babler entspringen: Dass er die SPÖ zur Nummer eins machen kann, glaubt er wohl selbst nicht mehr. Sie kann aber gute Zweite werden, wenn sich die ÖVP nicht erfängt. Besser für ihn: Weil sich die FPÖ eben von einer Regierungsbeteiligung entfernt, könnte er dann auch zur Chance kommen, eine rot-türkis-grüne oder -pinke Koalition zu bilden und ins Kanzleramt einzuziehen.
BERICHT
Ist die FPÖ gar nicht so stark?
Ist die FPÖ gar nicht so stark?
Schon zwei Wahlen sind jetzt enttäuschend ausgegangen für die Freiheitlichen: In der Stadt Salzburg mussten sie sich Anfang März mit knapp elf Prozent begnügen, in Innsbruck am vergangenen Sonntag mit rund 15 Prozent. Umfragen hatten sie hier vor wenigen Monaten noch vorne gesehen. Ihrem Spitzenkandidaten Markus Lassenberger waren sogar Chancen auf das Bürgermeisteramt attestiert worden. In die Stichwahl kamen nun jedoch der grüne Amtsinhaber Georg Willi und der Ex-ÖVP-Mann Johannes Anzengruber.
Kein Wunder, dass in sozialen Medien wie X (Twitter) spekuliert wird: Könnte es sein, dass die FPÖ auch auf Bundesebene überschätzt wird und Herbert Kickl und Co. gar nicht auf Platz eins liegen? Die Antwort: Vorsicht.
Erstens: Mehr denn je sind Stimmungswähler entscheidend. Das sind Menschen, die grundsätzlich offen sind für mehrere Parteien oder Kandidaten und jeweils zu denen tendieren, die aus ihrer Sicht dem entsprechen, was ihnen gerade wichtig ist. Das schafft Chancen für viele. In Salzburg sind diese Chancen von den Kommunisten am besten genützt worden, auch in Innsbruck konnten sie stark zulegen.
Zweitens: Stimmungswähler sind wesentlich für Freiheitliche. Im Unterschied zu seinen Freunden in den Städten gelingt es Kickl auf Bundesebene, vielen von ihnen gerecht zu werden. Thematisch hat er sich sogar Monopolstellungen erarbeitet: Mit seinem Ruf nach einer "Festung Österreich", einer Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland, seinem Corona-Kurs und seiner Absage an die politischen Verhältnisse entspricht allein er Vorstellungen einer Masse. Hier können ihm alles in allem weder Kommunisten noch eine Bierpartei gefährlich werden. Bei einem Urnengang am kommenden Sonntag würde er daher mit größter Wahrscheinlichkeit triumphieren.
ZAHL
Mehrheit für stärkere Vermögensbesteuerung
Mehrheit für stärkere Vermögensbesteuerung
Die Österreicher sind für einen radikalen Umbau des Steuersystems. Derzeit werden vor allem Arbeit und Konsum belastet. Jeweils ein Drittel der staatlichen Steuereinnahmen kommt allein durch die Lohn- und die Umsatzsteuer zusammen. Das entspricht nicht den Vorstellungen einer Mehrheit. Genauer: Es missfällt ihr.
Darauf lassen Befragungsergebnisse schließen, die die Nationalbank in einem Beitrag im jüngsten Sozialbericht des Sozialministeriums veröffentlicht hat. "Über alle Einkommens- und Vermögensgruppen hinweg wünschen sich die Menschen am ehesten eine Besteuerung von Vermögen und umweltschädigendem Verhalten", heißt es darin. Insgesamt würden 45,1 Prozent der Österreicher am ehesten Vermögen besteuern, damit der Staat seine Ausgaben finanzieren kann. 33,9 Prozent würden umweltschädlichem Verhalten den Vorzug geben. 10,9 Prozent würden zunächst bei Unternehmen ansetzen, 4,8 Prozent bei Erbschaften und nur 2,7 Prozent bei Konsum sowie gerade einmal 1,6 Prozent bei Arbeit.
Die Autoren des Beitrags, die Nationalbank-Ökonomen Pirmin Fessler und Martin Schürz, würden dem Rechnung tragen. Sie schlagen einen Totalumbau des Steuersystems vor – inklusive Besteuerung der Bodenrente, Wiedereinführung der Erbschaftssteuer und einer Steuer auf Vermögen ab 50 Millionen Euro.
Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann lehnt eine solche Umverteilung ab. Laut Fessler und Schürz würde es sich jedoch auch um eine Rückverteilung handeln. Beispiel Bodenrente, die bei Grundstückswertsteigerungen ansetzen würde: Solche Wertsteigerungen könnten sich ohne Zutun, aber zugunsten eines Eigentümers ergeben. Etwa wenn es in Wien durch einen U-Bahn-Ausbau zu einer besseren Anknüpfung ans öffentliche Verkehrsnetz komme, die von allen Steuerzahlern finanziert werde.
Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at