Kickls Albtraum

Ein halbes Jahr vor der Nationalratswahl im September wirkt alles wie angerichtet für FPÖ-Chef Herbert Kickl: Im Durchschnitt der Umfragen, die Qualitätskriterien des Verbands der Markt- und Meinungsforschungsinstitute gerecht werden, liegt seine Partei bei 30 Prozent und damit weit vor SPÖ und ÖVP, die jeweils nur 21 Prozent erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er nach der Wahl Kanzler wird, ist jedoch kleiner, als man da glauben könnte.

von Politische Analyse - Kickls Albtraum © Bild: Privat

ANALYSE

Für den 55-Jährigen reicht es nicht, die FPÖ nach vorne zu bringen. Natürlich: Wenn ihm das gelingt, wird er den Anspruch erheben, eine Regierung bilden zu dürfen. Aus seiner Sicht wesentlich ist jedoch, dass es auch eine blau-türkise Mehrheit auf parlamentarischer Ebene gibt.

Blau-Türkis ist die einzige Variante, die es ihm ermöglichen würde, seine Vorstellungen einigermaßen umzusetzen. Die ÖVP steht ihm inhaltlich in zahlreichen Fragen am nächsten: Sie tritt ebenfalls für eine restriktive Asylpolitik ein, geht wie er gegen Klimakleber vor und ist neuerdings auch bereit, über eine Ausdehnung der Strafmündigkeit auf Kinder zu reden.

Eine blau-türkise Mehrheit ist Voraussetzung dafür, dass Kickl Druck auf die ÖVP machen kann, doch eine Koalition unter seiner Führung einzugehen, was sie derzeit ja ausschließt. Es wäre aber auch Voraussetzung dafür, dass er allenfalls Plan B aktivieren kann. Das bedeutet, dass er sich dann, wenn sich die ÖVP trotzdem auf eine Koalition mit der SPÖ sowie Neos oder Grünen einlässt, zum Opfer einer Ausgrenzungspolitik erklären und mit Blick auf weitere Wahlen noch stärker für sich mobilisieren könnte.

Das alles geht nicht so einfach, wenn es keine blau-türkise Mehrheit gibt. Dann wäre es schier unmöglich für Kickl, eine Regierung zu bilden: Mit – aus seiner Sicht – linken Roten, Grünen oder Neos? Es wäre ein Albtraum für ihn. Er hätte dann wohl keine Koalitionsoption vorzuweisen und könnte sich daher auch kaum als Ausgrenzungsopfer inszenieren.

Derzeit existiert eine blau-türkise Mehrheit. Sie ist mit 51 Prozent jedoch hauchdünn – und könnte schnell weg sein. Und zwar auch in Mandaten, wenn neue Parteien den Sprung ins Hohe Haus schaffen. Die Wählerpotenziale dafür sind so groß wie noch nie.

Solche Parteien können auch Freiheitlichen Stimmen abnehmen, wie Kay-Michael Dankl in Salzburg oder Dominik Wlazny bei der Bundespräsidentenwahl 2022 gezeigt haben. Vor allem aber würden Mehrheitsfindungen durch sie in einem Parlament mit sechs, sieben Fraktionen erschwert werden. Insofern ist selbst für Kickl nichts sicher.

BERICHT

Freiheitliche Arbeitnehmer legen zu

Das Superwahljahr ist längst angelaufen. In Oberösterreich, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg sind bereits AK-Wahlen geschlagen. Zwischenstand, ehe es im April in den übrigen Ländern weitergeht: Freiheitliche sind alles in allem Gewinner. In Kärnten zum Beispiel haben sie ihren Stimmenanteil um fast die Hälfte auf 18,6 Prozent ausgeweitet.

Sozialdemokraten haben, Salzburg ausgenommen, durchwegs verloren. Das ist jedoch von begrenzter Aussagekraft und muss SPÖ-Chef Andreas Babler im Hinblick auf EU- und Nationalratswahlen nicht weiter beunruhigen: In Summe reicht es in den fünf Ländern, in denen bisher gewählt wurde, noch immer für mehr als 50 Prozent und damit ein Niveau, das auch im langjährigen Vergleich beträchtlich ist. Es ist eher so, dass die Genossen vor fünf Jahren außerordentlich erfolgreich waren. In Oberösterreich etwa kamen sie damals auf 71 Prozent. Jetzt schafften sie 66,1 Prozent.

Hier hat umgekehrt der ÖAAB, eine Teilorganisation der ÖVP, der Bundesparteiobmann Kanzler Karl Nehammer angehört, weiter abgebaut. 2009 erreichte er mit 25,4 Prozent noch einmal ein Zwischenhoch bei AK-Wahlen im Land. Jetzt musste er sich mit 11,1 Prozent begnügen und damit mit weniger als die Freiheitlichen (15 Prozent). Das steht für einen Bedeutungsverlust in der Arbeitnehmervertretung eines großen Industrielandes und ist daher schmerzlich für die gesamte Partei. Schwacher Trost für sie: In Tirol und Vorarlberg ist der ÖAAB in der AK führend geblieben.

Summa summarum leicht verloren haben die Grünen. Der kommunistische Linksblock ist in Salzburg mit 2,6 Prozent auf sein bestes Ergebnis gekommen. Stark zugelegt hat er damit jedoch nicht – im Unterschied zur KPÖ Plus von Kay-Michael Dankl, die bei der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg auf 23,1 Prozent kam.

ZAHL

Warum Österreich zum Asyl-Transitland wurde

In der Asyl-Statistik des Innenministeriums, die monatlich aktualisiert wird, scheint eine "Pro-Kopf-Belastung" auf. Damit gemeint ist die Zahl der Anträge gemessen an der Bevölkerung. Im EU-Vergleich befindet sich Österreich diesbezüglich im Spitzenfeld. Genauer: Knapp 60.000 Anträge von Jänner bis Dezember des vergangenen Jahres entsprachen 651 pro 100.000 Einwohner. Ausschließlich in Zypern waren es mehr. Und zwar deutlich (1.294).

Was in der Statistik nicht weiter ausgeführt wird, ist, dass sich Österreich auch in einem anderen Zusammenhang im Spitzenfeld befindet, der die "Belastung" relativiert: Es ist das EU-Mitgliedsland, das die meisten Verfahrenseinstellungen verzeichnet. 2023 handelte es sich um mehr als 30.000. In Bulgarien, dem Land mit den zweitmeisten, waren es nur gut halb so viele. Derartige Einstellungen erfolgen meist, weil die Antragsteller weitergezogen und daher nicht mehr verfügbar sind. Seit 2022 sei Österreich ein Transitland für Geflüchtete, bestätigt Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der Asylkoordination, einer Nichtregierungsorganisation. Ein Blick auf die Entwicklung der Verfahrenseinstellungen bestätigt dies: Sie haben sich vervielfacht.

Zurückzuführen ist das laut Gahleitner-Gertz darauf, dass gerade 2022 sehr viele Menschen über Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen sind und "Österreich das erste halbwegs funktionierende Land in puncto Registrierung ist". Vor allem afghanische Staatsangehörige halte das jedoch nicht davon ab, weiterzuziehen: "Das ist deswegen verwunderlich, weil sie eigentlich zu 100 Prozent Schutz bekommen und höhere Sozialleistungen erhalten würden." Sie bevorzugen jedoch andere Länder, insbesondere Deutschland, das aus ihrer Sicht offenbar attraktiver ist.

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Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at