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Warum Kickl radikalisiert

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Politische Analyse - Warum Kickl radikalisiert
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Der FPÖ-Chef mobilisiert seine Anhängerschaft gegen Regierende, aber auch gegen Medien - und sorgt bei alledem schon einmal für die Zeit nach der kommenden Nationalratswahl vor.

ANALYSE

Uneinholbar weit vorne liege die FPÖ von Herbert Kickl, sind sich Funktionäre der Partei sicher. Kickl selbst ist gerade auf einer "Heimat-Tour" unterwegs. An die 20 Veranstaltungen gibt es im blauen Herbst pro Wochenende, vom "Ganslessen" bis zum vorgezogenen " Adventzauber". Andere Parteien sind froh, wenn sie ein solches Programm kurz vor Wahlen zusammenbringen. Zwischendurch schaffen es bei Weitem nicht alle.

Ob Herbert Kickl in gut einem Jahr das Kanzleramt beziehen kann, ist jedoch offen. Natürlich führt die FPÖ in Umfragen klar mit 30,32 Prozent vor der SPÖ, die im Durchschnitt auf keine 25 Prozent kommt, geschweige denn der ÖVP, die zunehmend froh sein muss, über 20 Prozent zu bleiben. Gewählt wird sehr wahrscheinlich aber erst in zehn Monaten. Da kann noch viel passieren. Das ist das eine. Das andere: Selbst wenn die FPÖ am Ende auf Platz eins landen sollte, muss Kickl erst eine Regierung zusammenbringen.

Dem 55-Jährigen ist das alles bewusst. Daher radikalisiert er. Ausgangspunkt seines bisherigen Aufstiegs war eine Protestbewegung gegen Coronamaßnahmen. Er setzte sich an die Spitze von Menschen, die aus allen Lagern gekommen waren und die zunächst ausschließlich der Protest gegen Lockdowns und die vorübergehende Impfpflicht einte. Eine solche Bewegung über den Anlass hinaus zusammenzuhalten, ist eigentlich unmöglich. Kickl schafft es. Er kanalisiert einen verbreiteten Unmut. Und zwar so, dass es auch bei der Teuerung und vielen anderen Problemen der Zeit wirkt: Regierenden sind die Menschen demnach vollkommen egal - und Medien seien ihnen dabei auch noch behilflich. Kickl mobilisiert hier gegen ein "System", fordert, den ORF zu einem "Grundfunk" zusammenzustutzen, oder ermuntert dazu, eine Zeitung wie die "Kleine" mit Scheren, die auf der "Heimat-Tour" frisch geschliffen werden, zu zerschnipseln.

Dabei geht es ihm nicht nur darum, Teile einer funktionierenden Demokratie zu vernichten. Eine Überlegung ist, eine Anhängerschaft bei Laune zu halten, die herkömmlichen Politikern wie Journalisten seit der Pandemie mehr denn je ablehnend gegenübersteht. Zum Zweiten aber ist es auf mögliche Entwicklungen nach der kommenden Nationalratswahl ausgerichtet.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird alles tun, damit Kickl auch im Falle eines Wahlsieges nicht Kanzler wird. Die ÖVP von Amtsinhaber Karl Nehammer hat eine Zusammenarbeit mit ihm ausgeschlossen. Da könnte es eng werden für ihn. Doch genau darauf bereitet Kickl seine Anhänger bereits vor: Es wäre sozusagen logisch, dass "Eliten" einen "Volkskanzler" verhindern wollen. Frei nach dieser Erzählung hätten sie ja nur Angst vor einem solchen: "Zu recht!" Es wäre eine Ermunterung, über 2024 hinaus umso mehr für ihn zu kämpfen - um aus einer Enttäuschung einen Sieg zu machen.

ZAHL

Geburtenknick

Geburtenknick

Es werden noch viele Bücher geschrieben werden zu dem, was in der Phase multipler Krisen seit 2020 passiert. Zum Beispiel: Es gibt einen Geburtenknick. In Österreich sind heuer von Jänner bis Juni gerade einmal 37.998 Kinder zur Welt gebracht worden. Zum zweiten Mal in Folge gab es damit einen Rückgang. Im Vergleichszeitraum 2021 hatte es sich noch um 41.746 gehandelt. Und im vergangenen Jahr waren es mit 39.835 bereits deutlich weniger gewesen. Auffallend ist, dass die Entwicklungen in der Schweiz und in Deutschland sehr ähnlich sind wie in Österreich. Zunächst, nach Beginn der Coronapandemie, blieb die Zahl der Geburten bis 2021 auf sehr hohem Niveau, dann brach sie ein. Alles in allem um gut ein Zehntel bisher.

Das ist kein Zufall: Unsichere Zeiten haben Einfluss auf die Familienplanung. Nicht wenige Frauen und Männer würden ihren Kinderwunsch aufgrund der globalen Krisen zurückstellen, berichtet das Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Neben dem Ukraine-Krieg dürfte vor allem auch die Teuerung dazu geführt haben.

Hier kommt wirklich sehr viel zusammen. Besonders gestiegen sind etwa Mieten sowie unabhängig davon Zinsen. Ausreichend großen Wohnraum für eine Familie zu finanzieren ist damit für eine Masse noch schwieriger geworden.

Das Ganze ist hochpolitisch: Eine wachsende Zahl jüngerer Leute glaubt nicht mehr an eine gute Zukunft und setzt daher einen Kinderwunsch zumindest aus. Das sagt viel aus über die Stimmungslage in der Gesellschaft im Allgemeinen und in der Wählerschaft im Besonderen: Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass Regierende verloren sind, wenn sich die Überzeugung durchsetzt, dass sich die Verhältnisse verschlechtern. Wobei: Bei ÖVP und Grünen wäre das nur eine Erklärung dafür, dass sie zusammen nur noch rund 30 Prozent halten. Bei ihnen kommt schon mehr dazu.

BERICHT

Asyl: Politik schlichter Signale

Asyl: Politik schlichter Signale

Die Vorarlberger Volkspartei von Landeshauptmann Markus Wallner hat es bundesweit in die Schlagzeilen geschafft. Vor allem die "Kronen Zeitung" ist angetan von ihrer Ankündigung, einen "Kodex" einzuführen, der Asylwerber zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten soll. Vorerst handelt es sich aber nur um ein Signal im Hinblick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr: Das Thema wird nicht Freiheitlichen allein überlassen. Der "Kodex" selbst liegt noch nicht vor, und dafür gibt es Gründe.

Schon im September haben sich Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und die Flüchtlingsreferenten der Länder für eine Arbeitspflicht ausgesprochen. Eine solche einzuführen, ist jedoch schwierig: Nicht nur, dass sie dem "Verbot der Zwangsarbeit" widersprechen könnte, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist. Dazu kommt, dass Asylwerber de facto Anspruch auf die Grundversorgung haben, die ihnen derzeit gewährt wird. Diese Leistung kann man ihnen nicht beliebig kürzen. Im Klartext: Die Pflicht wäre nicht durchsetzbar.

Im bestehenden Grundversorgungsgesetz steht zwar, dass Flüchtlinge gemeinnützige Tätigkeiten ausüben können. Das setzt aber ausdrücklich ihr Einverständnis voraus. Abgesehen davon könnte man die Sache auch ganz anders anlegen und Asylwerbern freien Zugang zum regulären Arbeitsmarkt gewähren. Das wäre auch durch die europäische Aufnahmerichtlinie gedeckt. In der österreichischen Politik gibt es jedoch keine Mehrheit dafür. Hierzulande ist der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit auch zu Integration daher weitgehend blockiert.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at

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