Mindestlohn in Österreich: Wie viel steht mir zu?

98 Prozent der Lohnabhängigen in Österreich haben Anspruch auf einen Mindestlohn. Doch dieser schützt nicht automatisch vor Armut und Unternehmen haben längst Wege gefunden, den Mindestlohn zu umgehen.

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Der Mindestlohn ist in Österreich meist durch den Kollektivvertrag geregelt. © Bild: Elke Mayr

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Was versteht man unter einem Mindestlohn?

Der Mindestlohn ist der niedrigste gesetzlich erlaubte Lohn, den ein:e Arbeitnehmer:in für ihre Arbeit erhalten darf. Dieser darf in keinem Arbeitnehmer:innen-Verhältnis unterschritten werden. Anders als beispielsweise in Deutschland gibt es in Österreich keinen einheitlichen Mindestlohn, der für alle Lohnabhängigen gilt. In Österreich gilt für jede Branche ein anderer Mindestlohn.

Wie ist der Mindestlohn geregelt?

Rund 98 Prozent der Berufe sind in Österreich von einem Kollektivvertrag abgedeckt. Diese werden in der Regel jährlich neu verhandelt. Zentraler Bestandteil der Verhandlungen sind Löhne und Gehälter. Einen Überblick über sämtliche Kollektivverträge finden Sie hier.

Für Berufe, die von keinem Kollektivvertrag reguliert werden, kann durch das Bundeseinigungsamt ein Mindestlohntarif festgelegt werden. Dies betrifft jedoch nur wenige Branchen, beispielsweise Hausgehilf:innen oder Hausbesorger:innen. Sämtliche in Österreich geltende Mindestlohntarife sind hier vermerkt.

Wie viel Mindestlohn steht mir zu?

Ihren Mindestlohn finden Sie im jeweiligen Kollektivvertrag. Vorsicht: Dieser ist abhängig von der Fachgruppenzugehörigkeit Ihres Betriebs bei der Wirtschaftskammer und nicht von dem Beruf, den Sie in diesem Betrieb ausüben. Ein gültiges Exemplar des Kollektivvertrags muss in jedem Unternehmen ausliegen. Außerdem ist der für Sie gültige Kollektivvertrag in Ihrem Dienstzettel vermerkt.

Wie viel Mindestlohn Ihnen konkret zusteht, hängt von der Ihnen zugeteilten Beschäftigungsgruppe und der Berufs- bzw. Dienstjahre ab. Der jeweilige Kollektivvertrag enthält eine entsprechende Lohn- und Gehaltstabelle, aus der die konkrete Summe hervorgeht.

Im Regelfall erhöht sich Ihr Mindestlohn jährlich. Grundlage für die Lohnanpassungen ist die sogenannte Benya-Formel, wonach sich der Lohnzuwachs in etwa an der Summe aus Inflation und Produktivitätszuwachs orientiert.

Erhalten Sie mehr als den kollektivvertraglichen Mindestlohn ("Ist-Lohn"), haben die Kollektivvertragsverhandlungen meistens keinen direkten Einfluss auf Ihren Lohn bzw. Ihr Gehalt. Nicht bei jeder Kollektivvertragsverhandlung werden neben dem Mindestlohn auch die Ist-Löhne verhandelt.

Wichtig ist: Eine Bezahlung unter dem kollektivvertraglich vereinbarten Mindestlohn ist verboten! Bekommen Sie weniger als die darin vorgeschriebene Summe, sollten Sie dies melden. Die Differenz können Sie rückwirkend nachfordern.

Branchen mit hohem Mindestlohn

Traditionell macht die metalltechnische Industrie den Auftakt zu den Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst. Das Ergebnis der Metaller gilt inoffiziell als eine Art Gradmesser für alle folgenden Kollektivvertragsverhandlungen: Schließen die Metaller gut ab, stehen die Chancen auf einen guten Abschluss auch in anderen Branchen nicht so schlecht, lautet eine Faustregel.

Insgesamt werden österreichweit rund 450 Kollektivverträge pro Jahr verhandelt. Der öffentliche Fokus auf den Abschluss der Metaller ist auch deswegen so groß, weil deren Kollektivvertrag als einer der üppigsten gilt. Seit 1. Jänner 2023 gilt im Metallgewerbe ein Mindestlohn von 2.234,52 Euro brutto pro Monat für "Arbeitnehmer ohne Zweckausbildung". Spitzenfacharbeiter:innen und Techniker:innen erhalten mindestens 3.309,12 bzw. 3.614,47 Euro monatlich.

Mit ein Grund für die hohen Abschlüsse ist auch der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad innerhalb der Branche. Ihre Verhandlungsmacht ist dadurch höher, etwa da sie leichter Streiks organisieren und sich besser vernetzen können. Anders sieht es in Berufen aus, die gewerkschaftlich kaum organisiert sind und dementsprechend weniger Verhandlungsmacht haben, etwa im Einzelhandel oder den Sozialberufen.

Branchen mit niedrigem Mindestlohn

Angestellte im Handel erhalten seit Jahresanfang einen Mindestlohn von 1.817 Euro pro Monat. Das entspricht einen Nettolohn von 1.465,98 Euro. Ähnlich sieht es in der Sozialwirtschaft aus, hier beträgt der Mindestlohn 1.893,20 Euro brutto pro Monat.

Überwiegend migrantisch geprägte Berufe sind ein Beispiel dafür, dass ein kollektivvertraglich garantierter Mindestlohn nicht automatisch ein wirksamer Schutz vor Armut ist. So erhalten beispielsweise Erntehelfer:innen in Niederösterreich 2023 einen Mindestlohn von 1.573,84 Euro brutto, für eine Vollzeitstelle erhalten sie also rund 1.300 Euro netto.

Politische Debatten um den Mindestlohn

Geht es nach den Gewerkschaften, sollen alle Lohnabhängigen Anspruch auf ein Einkommen von mindestens 2.000 Euro haben. Dieser Mindestlohn soll allen Arbeitenden zustehen, unabhängig vom jeweiligen Kollektivvertrag. Im Juni forderte der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) Wolfgang Katzian daher einen "Generalkollektivvertrag" für 2.000 Euro Mindestlohn für alle Lohnabhängigen.

In Deutschland existiert ein solcher Mindestlohn, unabhängig vom jeweiligen Kollektivvertrag (in Deutschland: Tarifvertrag) erhalten Lohnabhängige zwölf Euro pro Stunde, also etwa 2.080 Euro pro Monat.

Auch wenn in Österreich 98 Prozent aller Berufe von einem Kollektivvertrag abgedeckt sind, arbeiten viele Menschen hierzulande (weit) unter dem Mindestlohn. Denn es gibt Mittel und Wege, den Kollektivvertrag zu umgehen. Zum Beispiel liefern Paketdienste und Essenszusteller in vielen Fällen als formal "Selbständige" aus. Dabei arbeiten sie nur im Auftrag eines einzigen Unternehmens, sind von diesem vollständig abhängig und tragen auch dessen Kleidung. Es ist also fraglich, ob es sich tatsächlich um selbständige Unternehmer handelt oder eher um Scheinselbständige. Doch solche Konstruktionen ermöglichen es, den Mindestlohn zu umgehen, weil dieser für Unternehmer:innen nicht gilt. Laut Medienberichten arbeiten Betroffene in der Paketdienst- und der Essenzustellbranche teils für wenige Euro pro Stunde.

In der Land- und Forstwirtschaft, in der Erntearbeit oder in der Gebäudereinigung kommt es regelmäßig zu Fällen von illegaler Beschäftigung. Meist handelt es sich bei den Beschäftigten um Migrant:innen, die die Sprache kaum sprechen und mit ihren Rechten wenig vertraut sind. Das macht sie zu leichten Opfern von Lohn- und Sozialdumping.