Ein blauer Brief an viele Medien

Während die FPÖ den ORF ins Visier ihres Wahlkampfs nimmt, schreibt Parteiobmann Herbert Kickl geradezu einen Liebesbrief an die Chefs der Zeitungen. Das ist nicht so lächerlich, wie es vorerst scheint, sondern eine gefährliche Finte

von Medien & Menschen - Ein blauer Brief an viele Medien © Bild: Gleissfoto

Schreiben Sie noch Briefe? Es ist selten geworden. Darum gilt allein schon die Anwendung dieser Mitteilungsform als Ausdruck von Respekt – des Absenders für den Empfänger. Aber es gibt Briefe und Briefe. Jene von Lesern landen nahezu ausschließlich per E-Mail in den Redaktionen. Ihr bester Antrieb ist Aufmüpfigkeit, ihr größtes Ziel Öffentlichkeit. In Zeiten von Social Media birgt auch dieser Weg ungewöhnlichen Respekt. Die Verfasser unterziehen sich der Auswahl und Redaktion. Für manche Autoren bleibt das ein Adelsschlag. Für Journalisten wirkt es wie Balsam in der Ära von Augenhöhe-Kommunikation. Der Leserbrief ist die Schmalkostvariante des großkotzigeren offenen Briefs.

Herbert Kickl hat soeben einen Brief geschrieben, von dem nicht klar wird, wie offen oder persönlich er gemeint ist. Sein Text ging an Österreichs Chefredakteure und Verleger. Diese Adressaten lassen einen wahrhaft blauen Brief vermuten – die ultimative Kündigung des Verhältnisses zu herkömmlichen Medien, dem Lieblingsfeindbild der FPÖ. Doch auf rot-weiß-rotem Papier beteuert der Möchtegern-„Volkskanzler“ das Gegenteil. Er umgarnt jene, die er sonst als Mainstream-Medien und Lügenpresse diffamieren lässt. Urplötzlich ist ihm wichtig, „Medienvielfalt und Medienfreiheit zu gewährleisten“, die „Arbeitsbedingungen in den Redaktionen zu verbessern“ und „politischen Druck abzuhalten“.

Des Parteichefs neue Hochachtung gipfelt im Lob der „Freiheit und Unabhängigkeit der Medien“. Sie seien „Garanten einer Berichterstattung“, „auf deren Kompetenz und investigative Kraft“ das Volk sich verlassen könne. Das klingt wie ein Gegenentwurf zu Kickls Reden über den öffentlich-rechtlichen, per „Zwangsgebühren“ finanzierten Journalismus und seinen Träger, der zum „Grundfunk“ zurechtgestutzt werden müsse. Aber es ist weitgehender gemeint: „Im Hinblick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs nach den Nationalratswahlen 2024 ist es mir ein Anliegen, Ihre Überlegungen in die Gestaltung politischer Konzepte maßgeblich einfließen zu lassen.“ Noch nicht am Futtertrog der Macht, spielt der Parteichef also schon ein „Teile und herrsche“ in seiner infamsten Form. Denn die angeschriebenen Chefredakteure und Verleger stehen in Konkurrenz zum ORF, der durch die jüngste Gesetzesänderung noch mehr Wettbewerbsvorteile erhalten hat. Sie sind aber auch so gesellschaftlich verantwortungsvoll, die Existenz des allzu staatsnahen Marktführers nicht in Frage zu stellen. Das aber tut uneingestanden die FPÖ. Ihr Wahlkampfschlager gegen die Haushaltsabgabe ist nur die Ouvertüre zur Domestizierung und Demontage des ORF. Dabei geht es nicht um die notwendigen Reformen, sondern um die inhaltliche Kandare. Macht will keine Kontrolle.

Diese Einstellung grassiert auch in anderen Parteien. Sonst hätten sie den Öffi-Rundfunk längst vom nicht ausreichend unabhängigen Stiftungsrat befreit, dessen Konstellation der Verfassungsgerichtshof in Teilen als verfassungswidrig aufgehoben hat. Trotzdem verzögert die türkis-grüne Koalition sogar die bis 1. April 2025 fällige Paragrafenkorrektur. Eine notwendige grundsätzliche gesetzliche ORF-Reform verweigert sie ohnehin. Unter dieser medienpolitischen Inkompetenz der Regierung leidet niemand mehr als jene Verleger und Chefredakteure, die vor einem Jahr ihre Blätter mit weißen Titelseiten erscheinen ließen und einen offenen Protestbrief an Kanzler Karl Nehammer schrieben.

Das Schriftstück und die leeren Cover waren nicht die beste Idee, denn sie enthüllten letztlich bloß die aktuelle Ohnmacht einer Spezies, die einst dem ORF zur relativen Unabhängigkeit verholfen hatte. Mit dieser Hilflosigkeit spekuliert nun Kickl. Nicht von ungefähr haben bis dato nur Gerold Riedmann und Hubert Patterer, die Chefredakteure von „Standard“ und „Kleiner Zeitung“, den blauen Chefbrief in ihren
Blättern thematisiert. Früher war es Lachen, heute ist Transparenz der Hoffnung letzte Waffe.

Das Schreiben bringt die Adressaten in eine Zwickmühle. Weisen Sie seine dreiste Anbiederung barsch zurück, bedienen sie die blaue Selbststilisierung zu Opfern: „Die Medien sind gegen uns.“ Gehen sie nicht darauf ein, kann die FPÖ im Regierungsfall erklären: „Wir haben Hilfe angeboten, ihr habt nicht gewollt.“ Also ist die dritte Möglichkeit, Kickl klare medienpolitische Forderungen auszurichten, die beste.

Er wird sie kaum umsetzen, gewinnt aber kommunikativ. Das liegt an der türkis-blauen Koalition, die ihm die Tür zur Fallenlegung entsperrt hat. Sperrangelweit offen wird sie durch eine Sozialdemokratie, die kein alternatives Konzept vorlegt, sondern nun wieder Diskussionsbedarf zur Haushaltsabgabe ortet. Apropos SPÖ: Von ihr stammt ein historisches Briefbeispiel an Medien. 2008 schrieben der designierte Parteichef Werner Faymann und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer allerdings im Duo an nur einen Verleger: Hans Dichand von der „Krone“. Solch politische Unterwürfigkeit ist Kickl fern. Er gewährt eine Gnade(nfrist). Wer sie schweigend hinnimmt, gerät in den Verdacht, es sich jetzt schon für allfällig Künftiges richten zu wollen. Kalkül statt Werthaltung? So wird das nichts mit der Medienzukunft.