Ludwig unter Zugzwang

Wiens Bürgermeister steht hinter Rendi-Wagner. Letztlich ist aber auch für ihn entscheidend, ob sie die SPÖ zurück ins Kanzleramt bringen kann.

von Ludwig unter Zugzwang © Bild: Privat

Vor bald einem Jahr lag die SPÖ vorne, erhob Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner den Kanzlerin-Anspruch. Heute würde sie sich schwertun, damit ernst genommen zu werden. Im Durchschnitt der Umfragen hält ihre Partei nur noch 24 Prozent und muss befürchten, dass sich weder eine Mehrheit für eine Koalition mit der ÖVP ausgeht noch für eine solche mit Neos und Grünen. Wenn, dann könnte sie vielleicht Juniorpartnerin in einer FPÖ-geführten Regierung werden. Dann wäre Rendi-Wagner Vizekanzlerin, sofern diese Konstellation überhaupt infrage kommen würde.

In einem Jahr könnten die Umfragen schon wieder anders ausschauen. Momentan ist die Perspektive jedoch katastrophal für die SPÖ im Allgemeinen und die Landesorganisation Wien im Besonderen. Was drohen kann, wenn sie auf Bundesebene in der Opposition bleibt, ist in Chats aus dem Jahr 2017 dokumentiert, in denen es um das Projekt Ballhausplatz unter Sebastian Kurz (ÖVP) geht: Zur Budgetsanierung schlug der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, Einsparungen in "SPÖ-Hochburgen" vor. Dort sei viel zu holen. Das war eine Kampfansage an Sozialdemokraten, die in der Bundeshauptstadt das Sagen haben.

Für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ist es wichtig, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Dazu nötig ist ein SPÖ-Triumph bei der nächsten Nationalratswahl. Ob ein solcher mit Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin zu holen ist? Ludwig stärkt ihr den Rücken und beweist damit eine Loyalität, wie sie in der Partei einst die Regel war. Nur: Gerade er muss schon auch darauf achten, was sie schaffen kann. Eine Niederlage und eine blau-türkise Koalition, die gegen das rote Wien vorgeht, muss aus seiner Sicht vermieden werden.

In Alarmbereitschaft

Und viel mehr noch hat er im Auge zu behalten: Was die niederösterreichische ÖVP für die Volkspartei, ist "seine" Wiener SPÖ für die Sozialdemokratie. Umso schwerer traf es sie, als Ex-Kanzler Werner Faymann 2016 durch vermeintlich bedeutungslose Vertreter aus der Provinz gestürzt wurde. Das war ein einschneidendes Erlebnis für sie, das nicht vergessen ist. Entsprechend aufmerksam muss Ludwig nun verfolgen, wie sich die Genossen fernab von Wien gegenüber Rendi-Wagner verhalten. Damit gemeint ist neben dem Burgenländer Hans Peter Doskozil etwa der Salzburger David Egger, der ihr ebenfalls distanziert gegenübersteht. Wenn sich hier etwas zusammenbraut, ist Ludwig gefordert, rechtzeitig einzugreifen, um der Rolle seiner Landesorganisation als bestimmender Faktor in der Partei zumindest diesmal gerecht zu werden.

Auf welcher Seite er dann steht? Relevant für die Wiener SPÖ bleibt am Ende des Tages, dass die Bundespartei wieder zum bestimmenden Faktor der österreichischen Politik wird und ein Kurs verfolgt wird, der ihren Vorstellungen entspricht. Mit wem an ihrer Spitze, ist zweitrangig.

Zahl

FPÖ rückt in die Mitte vor

Die gezielte Radikalisierung, die FPÖ-Chef Herbert Kickl betreibt, um Stimmen zu maximieren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Partei zunehmend auch in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Das zeigen Wahltagsbefragungen. Beim Urnengang in Niederösterreich Ende Jänner hat das Sozialforschungsinstitut SORA zum Beispiel das Wahlverhalten nach formaler Bildung untersucht. Überdurchschnittlich großen Zuspruch fanden Leute wie Udo Landbauer und Gottfried Waldhäusl, die im Sinne von Kickl agieren, demnach nicht nur bei Menschen, die maximal über einen Pflichtschulabschluss verfügen, sowie bei Facharbeitern, sondern auch bei Absolventen einer berufsbildenden mittleren Schule. Im Übrigen waren sie nicht nur bei Jüngeren erfolgreich, sondern kamen in sämtlichen Altersgruppen bis 60 auf ein ähnliches Niveau wie die ÖVP von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die zwar verlor, insgesamt aber klar stärkste Partei blieb.

Mögliche Erklärung: Immer mehr setzt die Inflation auch der Mittelschicht zu. Bei regelmäßigen Erhebungen der Statistik Austria zu Krisenfolgen zeigt sich das: Wohnkosten werden schon fast von einem Viertel der österreichischen Haushalte als "schwere Belastung" bezeichnet. Vor einem Jahr handelte es noch um ein Achtel. Ebenfalls schon ein Viertel gibt an, dass sich regelmäßige Freizeitaktivitäten, die ins Geld gehen, finanziell nicht mehr ausgehen. Dazu zählen etwa Kinobesuche. Das Meinungsforschungsinstitut Integral ortet in Teilen der Mittelschicht schon länger Unzufriedenheit sowie eine Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit.
Hier kommt die FPÖ ins Spiel, die von Mitbewerbern noch immer unterschätzt wird. In Niederösterreich kam fast die Hälfte der Stimmen, die sie vor drei Wochen gewann, von zwei Parteien, sie sich selbst gerne in der Mitte sehen: ÖVP und SPÖ.

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Bericht

Nehammers Not

2015 gab es bei den Landtagswahlen in Wien und Oberösterreich ein bestimmendes Thema: "Flüchtlinge und Asyl". Die ÖVP verlor, reagierte letzten Endes jedoch darauf: Zwei Jahre später machte sie Sebastian Kurz zu ihrem Chef, der das Thema fortan in einer Art und Weise auf der Agenda hielt, dass sie von einem Wahlerfolg zum anderen lief.

Zuletzt war bei den Landtagswahlen in Tirol und Niederösterreich ein neues Thema ähnlich bestimmend: "Inflation und steigende Preise". Die ÖVP verlor, doch Bundeskanzler Karl Nehammer, ihr heutiger Obmann, versucht, bei "Flüchtlingen und Asyl" zu bleiben.

Die Strategie ist gewagt: Bisher ist es ihm nicht gelungen, damit zu punkten. Er kann weder Lösungen vorweisen, die für eine Masse sichtbar sind, noch beherrscht er im Unterschied zu Kurz eine Sprache, die eine Masse auch ohne sichtbare Lösungen überzeugt.

Vor allem aber führt kein Weg daran vorbei, sich mit der Teuerung zu beschäftigen. Auch wenn es anspruchsvoll ist: FPÖ-Chef Herbert Kickl versteht es, mit der Unterstellung zu punkten, dass die Regierung nichts tue und dass die EU-Sanktionen gegen Russland schuld seien an der Misere. In Österreich, wo der Zuspruch zu den Sanktionen gering ist im europäischen Vergleich, kommt das an.

Bittere Erkenntnis eines Regierungsinsiders: Bei all den Maßnahmen, die man gesetzt hat, hat man das Kommunikative vernachlässigt, um zu vermitteln, warum die Sanktionen nötig sind; und um zur Teuerung einen Geist unters Volk zu bringen, dass man es gemeinsam schaffen werde.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at