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Warum will sie geschlagen werden?

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Liebes Leben - Warum will sie geschlagen werden?
©Bild: Nathan Murrell
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Markus hatte in Lina seine Traumfrau gesehen, bis, ja bis sie ihm ihre sexuellen Wünsche verriet. Sie kam nur zum Höhepunkt, wenn er das tat, was ganz und gar gegen seine Vorstellungen von einem glücklichen Liebesleben ging. Andererseits war sie gefühlt seine große Liebe. So weit, so gut. Und jetzt?

Markus saß verzweifelt in meiner Praxis, vergrub das Gesicht in den Händen. Ja, er habe es getan. Das getan, was er nie, nie, nie im Leben hätte tun wollen. Seine Stimme brach. Was hatte ihn so aus der Fassung gebracht? Es ging um Lina. Jene Frau, in die er sich Hals über Kopf verliebt und von der er "so etwas" nie im Leben erwartet hätte. Ihr bereitete es ein geradezu unbändiges Vergnügen, sich mit dem Thema Schmerz zu befassen - was für ihn absolutes Neuland und befremdlich war. Beim Liebesakt habe sie ihn irgendwann zuerst gebeten, dann aufgefordert -und schließlich angefleht -, sie zu schlagen, da sie nur so zum Höhepunkt komme. Ihr mit seinen Händen Gewalt anzutun, hatte er standhaft verweigert. Nun lag ein Sortiment von Peitschen im Schlafzimmerschrank griffbereit, von seiner Freundin selbst liebevoll arrangiert.

Was geht in einem Menschen vor, der geschlagen werden will? Der Schmerz für mehr Lustempfinden einfordert, ja für unverzichtbar hält? Diese Frage stellte sich nicht nur Markus: Spätestens seit "Fifty Shades of Grey" sind sadomasochistische Unterwerfungsspiele in der Sexualität mehr als gesellschaftsfähig geworden. Sie gelten als Zeichen für Offenheit, Einfallsreichtum und Vertrauensfähigkeit in Sachen erotischer Spielarten. Warum Markus ohne Lina eine Sexualtherapie aufsuchte, hatte mit seiner Sorge zu tun, sie zu kränken, wenn er ihr seinen Widerwillen mitgeteilt hätte, sie zu schlagen. Auslöser war der moralische Konflikt, in den ihn ihre sexuellen Wünsche versetzten. Zunächst ging es hier um die zentralen Fragen: Waren das krankhafte Perversionen, an denen sie litt? Musste er ihren Forderungen Folge leisten? Und war seine Abscheu vor Gewalt ein Ausschlusskriterium dauerhaften Glücks mit Lina? Wie weit konnte er noch gehen, wenn sie von ihm ein Verhalten erwartete, welches gegen seine Überzeugung war?

Menschen, die sich nicht nur freiwillig, sondern buchstäblich "liebend gern" schlagen lassen, geben dabei die Kontrolle auf. Sie wiederholen häufig Situationen, die ihnen meist nicht bewusst, aber in den tieferen Schichten ihres Unterbewusstseins wohlvertraut sind: Was früher Ohnmacht und Kontrollverlust bedeutete, verletzend und erniedrigend war, steigert sich nun zum Machtgefühl. Zur Selbstermächtigung des Masochisten, der sich mit seinem Sadisten identifiziert. Markus hatte zunächst auf Linas Betreiben ihren Erwartungen entsprochen, um seinen Glauben an die Liebe nicht aufzugeben. Andererseits entfernte ihr sexueller Kick sie von ihm.

Fakt war: Beide hatten völlig unterschiedliche Erwartungen an ihr Liebesleben. Was auf ihn "abartig", ja krank wirkte, war offenbar Linas höchstes Glück. Als Führungskraft im Job sehnte sie sich privat nach nichts mehr als erotischen Höhenflügen, in denen sie die Verantwortung vollkommen abgeben konnte.

Was geschieht in Beziehungen wie dieser? Traumatische Schmerzerfahrungen der Kindheit werden in der Sexualität -auf paradoxe Weise -umgekehrt. Solang weder bei der betroffenen Person noch bei anderen Menschen dadurch irgendein Leidensdruck entsteht, ist die Lust am Schmerz innerhalb gesunder Grenzen nicht nur "im grünen Bereich", sondern möglicherweise eine Art Selbsttherapie. Pech, wenn der Partner dies verstörend findet! Nachdem Markus keinerlei Freude an Linas Sexualpraktiken hatte, wurde von beiden vergeblich nach einem gemeinsamen Nenner im Liebesleben gesucht.

Schließlich wandte sich Lina von Markus ab, als er Gewalt beim Sex verweigerte. Und er fand eine neue Liebe. Paula, die erfüllend fand, was für Lina Blümchensex war, für Paula und Markus jedoch ein unendlich buntes Frühlingsblumenmeer.

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