Messen wird man ja noch dürfen

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil fordert, die SPÖ möge nach der Wahl auch die FPÖ mit ihrem "Wertekompass" messen. Recht hat er

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Wenn man in der Familie etwas auszustreiten oder zu diskutieren hat, macht man das im Wohnzimmer und geht dazu nicht auf den Balkon. So lautet ein Ratschlag, den der frühere Wiener Bürgermeister Michael Häupl seiner Partei schon mehrfach gegeben hat. Sein Wort mag in der SPÖ Gewicht gehabt haben. Aber halt nicht immer und schon gar nicht in diesem Fall. Seit Jahren streitet die SPÖ auf dem Balkon. Das ist nicht erst seit der Führungskrise rund um Pamela Rendi-Wagner und ihre Ablöse im Vorjahr so. Unter Rendi-Wagners Vorgänger Christian Kern etwa diskutierte man inbrünstig und auch öffentlich, wie die SPÖ nach Wahlen mit der FPÖ verfahren solle. Seit Franz Vranitzky galt, mit den Blauen, damals geführt von Jörg Haider, wolle man nicht regieren. Für die ÖVP war das in Koalitionsverhandlungen recht angenehm. Sie schloss und schließt die FPÖ als Partner nicht aus und kann damit auch heute noch ihren Preis in die Höhe treiben. Wolfgang Schüssel wurde auf diese Art als Dritter bei der Nationalratswahl Kanzler und fuhr mit Haider im Porsche spazieren.

Während der kurzen Amtszeit Kerns erkannte man in der SPÖ diese strategische Sackgasse und beschloss im Juni 2017 in den Parteigremien, eben nach längeren Debatten, einen "Wertekompass", der bei Gesprächen nach einer Wahl an alle anderen Parteien anzulegen sei. "Unverbrüchliche Bedingungen" für eine Zusammenarbeit sind unter anderen Bekenntnisse zur Neutralität, zur Sozialpartnerschaft und zur EU, die Abgrenzung von rechtsextremen, faschistischen oder anderen demokratiefeindlichen Haltungen sowie von jeder Form der Diskriminierung, die Einhaltung der Menschenrechte, ein faires Steuersystem, die Gleichstellung von Mann und Frau sowie noch einige andere Punkte. Bei jeder Wahl können laut SPÖ-Beschluss weitere Bedingungen formuliert werden. Federführend bei der Erstellung des Papiers war der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und damit jener Mann, der heute, lange vor der Nationalratswahl, bereits von einer Koalition mit der ÖVP schwärmt.

»Die SPÖ-ÖVP-Koalition stand für Stillstand und Kleinkrieg. Sie ist nicht zu 'verkaufen'«

Hans Peter Doskozil hat in einem Interview mit der "Presse" auf die geltende Beschlusslage der SPÖ verwiesen. Auch an die FPÖ sei der Wertekompass anzulegen. Was dabei herauskommt, lässt sich zwar erahnen. Dennoch vermeidet man so eine vorzeitige Festlegung auf nur einen größeren Verhandlungspartner. Damit sorgt der burgenländische Landeshauptmann wieder einmal für Aufregung. Aber er hat recht.

Denn noch ein zweites Argument spricht dafür, nicht schon vor der Wahl von einer rot-schwarzen oder schwarz-roten Koalition zu träumen. Diese war, als es sie das letzte Mal gab - und bevor die aktuelle Regierung sie noch unterbot -, in Umfragen die unbeliebteste Regierungsvariante. Sie stand für Stillstand, tägliche Kleinkriege und Proporz. Sie ist in einem Wahlkampf nicht zu "verkaufen". Überlegungen wie diese geben Herbert Kickl zudem Gelegenheit, sich noch stärker als Gegenpol zu einem Einheitsbrei mehrerer Parteien (es muss ja noch mindestens eine der beiden Kleinparteien zu einer solchen Koalition dazu) zu positionieren. Auf Platz eins in den Umfragen liegt er schon ohne diese Wahlhilfe.

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