So kann man Bindungsängste überwinden

Wenn es mit den Beziehungen nicht so recht klappen will, könnten Bindungsängste dahinterstecken. Woran man erkennt, dass sie im Hintergrund wirken, und wie man sie wieder loswird.

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Bindungsangst © Bild: Elke Mayr

Inhaltsverzeichnis

Wie äußert sich Bindungsangst?

Menschen, die an Bindungsangst leiden, sind emotional nicht in der Lage, sich auf tiefe, verbindliche Beziehungen einzulassen. Das gilt insbesondere auch für Liebesbeziehungen. Anstatt eine enge, vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, reagieren Betroffene mit Flucht und Rückzug. Auch oder gerade dann, wenn der/die Partner:in den Wunsch nach Verbindlichkeit äußert. Nicht selten findet der/die Betroffene dann Ausreden, wie angeblich unaufschiebbare berufliche Verpflichtungen, um sich dem/der Partner:in zu entziehen.

Weitere Anzeichen einer Bindungsangst sind häufiger sozialer Rückzug, plötzliche Kontaktabbrüche und Emotionslosigkeit anderen gegenüber, ebenso wie Unentschlossenheit und ein geringes Maß an Verantwortungsgefühl. Die Tatsache, dass bindungsängstliche Personen ihre:n Partner:in stets auf Distanz halten und keine emotionale Nähe zulassen können, ist für das Gegenüber oft extrem belastend.

Wie entstehen Bindungsängste?

Bindungsängste entstehen bereits in der Kindheit, genauer gesagt in jener Lebensphase, in der das Individuum lernt, anderen Menschen zu vertrauen. Macht das Kind wiederholt die Erfahrung, dass es sich auf seine Bezugspersonen nicht verlassen kann, so kann es auch kein Grundvertrauen entwickeln. Stattdessen lernt es, dass es auf sich alleine gestellt ist, Nähe - vermeintlich zwingend - mit Abhängigkeit und diese wiederum mit Kränkungen und Verletzungen verbunden ist.

Um derartige negative Erfahrungen fortan zu unterbinden, entwickelt das Kind eine Schutzstrategie: Es lässt gleich gar niemanden an sich heran. Diese Strategie wird in der Regel bis ins Erwachsenenalter beibehalten. Selbst dann, wenn sie nicht mehr zweckmäßig ist, die persönliche Weiterentwicklung behindert und die Person sich insgeheim nach einer vertrauensvollen Beziehung sehnt. Ebenso bei der Entstehung von Bindungsängsten eine Rolle spielen können frühkindlich erworbene Minderwertigkeitskomplexe sowie die Angst, wichtige Bezugspersonen zu verlieren.

Welche Bindungstypen gibt es?

Der britische Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby gilt als einer der Begründer der Bindungstheorie. Ihm zufolge haben Menschen ein angeborenes Bedürfnis nach Bindung, die wiederum eine Grundlage der menschlichen Existenz darstellt. Er unterschied zwischen vier Bindungstypen:

Sichere Bindung (Typ B)

Kinder, die sich bei ihren Eltern geborgen fühlen und eine sichere, liebevolle Beziehung erleben, sind in der Lage, Nähe und Distanz zu Bezugspersonen angemessen zu regulieren. Sie entwickeln eine große Zuversicht in die Verfügbarkeit enger Bezugspersonen und können vertrauensvolle Beziehungen aufbauen. Auf diese Weise profitieren Sie ein Leben lang von den in der Kindheit gemachten Beziehungserfahrungen.

Unsicher-vermeidende Bindung (Typ A)

Bei der unsicher-vermeidenden Bindung zeigen Kinder ihren Eltern gegenüber eine sogenannte Pseudo-Unabhängigkeit, die sich in einem auffälligen Kontaktvermeidungsverhalten äußert. Die Kinder negieren ihre Eltern, indem sie sich trotz deren Anwesenheit etwas anderem wie Spielzeug oder Büchern widmen. Bei dieser Verhaltensweise handelt es sich um eine erlernte Stress-Kompensationsstrategie.

Unsicher-ambivalente Bindung (C-Typ)

Hier verhalten sich Kinder widersprüchlich-anhänglich in Bezug auf enge Bezugspersonen. Bei einer vorübergehenden Trennung wirken sie zwar verunsichert, weinen, schlagen mitunter um sich und lassen sich von anderen Personen, beispielsweise den Kindergartenpädagogen oder -pädagoginnen, kaum beruhigen. Haben sie sich erst einmal an die Abwesenheit der Bezugsperson gewöhnt, zeigen sie bei deren Rückkehr ein klammerndes und zugleich aggressiv-abweisendes Verhalten.

Desorganisierte Bindung (D-Typ)

Betroffene Kinder reagieren auf die Bezugsperson mit nicht zuordenbaren Verhaltensweisen wie Erstarren, Sich-im-Kreis-Drehen oder anderen sich ständig wiederholenden Bewegungen. Das kann verschiedene Gründe haben. Einer davon sind wiederholte Bindungsabbrüche zu wichtigen Bezugspersonen, beispielsweise durch häufige Krankenhaus- oder Heimaufenthalte. Ebenso zur desorganisierten Bindung kann es kommen, wenn die Bezugsperson, die dem Kind eigentlich Schutz bieten sollte, für ebendieses eine Bedrohung darstellt.

Wenngleich Erwachsene ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten haben, ihr Verhalten zu kompensieren, prägen frühkindliche Erfahrungen das Beziehungsverhalten eines Menschen ein Leben lang.

Wodurch wird Bindungsangst getriggert?

Eine schwierige Trennung der Eltern kann ebenso als Auslöser der Bindungsangst fungieren wie ein Übermaß an elterlicher Kontrolle. So oder so lernt das Kind, dass Verbundenheit mit negativen Erfahrungen einhergeht, möglicherweise erdrückend, im schlimmsten Fall sogar bedrohlich ist. Sobald es zu einem Näheverhältnis im Erwachsenenalter kommt, wird die Bindungsangst aktiviert. Um das in der Kindheit Erlebte nicht erneut durchleben zu müssen, unternimmt der/die Betroffene alles Erdenkliche, um die vermeintlich gefährliche Nähe zu unterbinden.

Wie geht man mit Bindungsängstlichen um?

Wiederholte Zurückweisungen machen es dem/der Partner:in eines bindungsängstlichen Menschen oft nicht leicht, die Beziehung aufrecht zu erhalten. Eine große Portion an Geduld, Selbstvertrauen und Zuversicht sind notwendig. Ebenso die Bereitschaft des bindungsängstlichen Parts, an der Bindungsangst zu arbeiten. Unter diesen Voraussetzungen ist es aber durchaus möglich, dass die Bindungsangst überwunden und eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut werden kann.

Tipps für den/die Partner:in

  • Machen Sie Ihrem/Ihrer Partner:in keine Vorwürfe. Akzeptieren sie seine/ihre Angst und seien Sie fürsorglich.
  • Vermitteln Sie Ihrem/Ihrer Partner:in, dass Sie ihn/sie lieben, ohne dass er/sie dafür eine Leistung erbringen muss.
  • Geben Sie Ihrem/Ihrer Partner:in Zeit, Vertrauen zu Ihnen aufzubauen. Dieser Prozess hilft, frühkindliche Erfahrungen zu heilen.
  • Helfen Sie Ihrem/Ihrer Partner:in, die eigene Angst zu erkennen und anzunehmen. Nur so hat er/sie die Möglichkeit, sie aufzuarbeiten.
  • Versuchen Sie gemeinsam, die hinter der Angst liegenden Gründe herauszufinden und dieser schrittweise entgegenzuwirken.
  • Helfen Sie Ihrem/Ihrer Partner:in durch Zuverlässigkeit, Akzeptanz und Liebe, den eigenen Selbstwert zu steigern.
  • Bleiben Sie geduldig. Der Prozess des Vertrauensaufbaus braucht Zeit.
  • Machen Sie Ihre:n Partner:in auf positive Veränderungen aufmerksam. Aufgrund der langjährigen negativen Erfahrungen sieht er/sie sie oft nicht gleich.

Sind mehr Männer oder Frauen betroffen?

Da die frühkindlichen Erfahrungen bei der Entstehung von Bindungsängsten einen wesentlichen Faktor spielen, ist eine Pauschalisierung, die geschlechtsspezifische Verteilung betreffend, wenig zielführend. Abgesehen davon können Frauen, wenn sie selbst Mütter und auf neue Art mit dem Thema Bindung konfrontiert werden, die Ängste oftmals besser verarbeiten. Unabhängig vom Geschlecht muss die Bindungsangst aber erst einmal erkannt und zugelassen werden. Nur so kann man trotz früherer negativer Erlebnisse lernen, dass man Nähe zulassen und Vertrauen aufbauen darf.

Wie wird man Bindungsängste wieder los?

Eine Verhaltenstherapie kann helfen, Bindungsängste zu überwinden. Hierfür eignet sich insbesondere der Ansatz der Schematherapie. Basierend auf verschiedenen psychologischen und psychotherapeutischen Ansätzen wie etwa der kognitiven, der Stressverarbeitungs- oder der Gestalttherapie, der Transaktionsanalyse und der Bindungstheorie dient die Schematherapie der Behandlung chronischer, charakterologischer Aspekte psychischer Störungen. Führt die Bindungsangst wiederholt zu Problemen in der Partnerschaft, kann man auch mit einer Paartherapie gute Erfolge erzielen.

Tipps gegen Bindungsangst

  • Lernen Sie, die Angst zuzulassen und anzunehmen.
  • Geben Sie sich Zeit, neue, positive Erfahrungen zu machen.
  • Sprechen Sie mit Ihrem/Ihrer Partner:in offen über Ihre Befürchtungen und Ängste.
  • Lassen Sie sich sukzessive mehr und mehr auf Nähe und Zuwendungen ein.
  • Holen Sie sich therapeutische Unterstützung, um frühere, mitunter unbewusste negative Erfahrungen aufzudecken und durch neue positive kognitiv zu überschreiben.

Wann liegt Bindungsangst vor und wann nicht?

Bindungsphobiker bevorzugen unverbindliche Beziehungen. Nicht selten entscheiden sie sich für eine Fernbeziehung, zumindest aber für getrennte Wohnungen. Sie suchen von sich aus keine körperliche Nähe, wollen weder kuscheln noch Händchen halten. Oftmals stoßen sie ihre/n Partner:in auch vor den Kopf - eine (unbewusste) Taktik, um ihn bzw. sie auf Distanz zu halten. Nicht immer aber steckt hinter der Tendenz, verbindliche Beziehungen zu vermeiden, eine Bindungsangst. Mitunter wurzelt sie auch nur in einem ausgeprägten Freiheitsdrang, der sich mit partnerschaftlicher Treue nicht vereinbaren lässt. Liegen weder die für eine Bindungsangst typischen Symptome noch eine entsprechende Entwicklungsgeschichte vor, so ist die Diagnose "Bindungsangst" aus psychologischer Sicht jedenfalls unwahrscheinlich.

ZUR AUTORIN

Univ.-Prof. DDr. Sabine Viktoria Schneider ist klinische Psychologin, Wirtschaftspsychologin und Doktorin für Public Health. Hier geht es zu ihrer Homepage.

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