Borderline: Ursachen, Symptome, Diagnose & Therapie

Ein Leben mit dem Borderline-Syndrom ist ein Leben zwischen den Extremen. Die Psychotherapeutin Mag. Nicole Trummer erklärt, woran man die Krankheit erkennt, wie es sich anfühlt, an ihr zu leiden, und was es braucht, um mit einem Borderliner eine Beziehung leben zu können.

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Inhaltsverzeichnis

Wie verhält sich ein Borderliner?

"Borderliner haben ganz viele instabile zwischenmenschliche Beziehungen. Es kommt auch immer wieder zu Beziehungsabbrüchen", erklärt Trummer. Das liegt unter anderem daran, dass sie stark zum Schwarz-weiß-Denken tendieren. Im einen Moment noch wird eine Person idealisiert, im nächsten total abgewertet. Ebenso abrupt kann sich die Gefühlslage des Betroffenen ändern. Ein Gefühl der Hochstimmung kann im Nu in Wut, Depression oder ein Gefühl der inneren Leere umschlagen. Mit der instabilen Gefühlslage einher geht ein impulshaftes Verhalten, dessen Folgen der Betroffene in der Regel nicht bedenkt. Das Spektrum reicht hier von verbalen bis hin zu körperlichen Übergriffen.

»Gerade im Jugendalter ritzen sie sich häufig - um sich zu spüren«

Ein mitunter schädigendes Verhalten legen Erkrankte aber nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gegenüber an den Tag. "Gerade im Jugendalter ritzen sie sich häufig. Andere wiederum fügen sich Brandwunden zu - um sich zu spüren." Betroffene neigen zu Bulimie, zu exzessivem Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch. Zudem gehen sie oft riskante sexuelle Kontakte ein. "Manche schmeißen auch mit dem Geld nur so um sich oder fahren ganz wild mit dem Auto", veranschaulicht Trummer. Darüber hinaus kommt es nicht nur zu Suizidandrohungen, sondern oft auch tatsächlich zum -versuch.

Wie erfolgt die Diagnose?

Das Borderline-Syndrom gehört zur Klasse der emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen. Hier unterscheidet man zwischen dem impulsiven und dem Borderline-Typus. Um festzustellen, ob eine Borderline-Störung vorliegt, muss in erster Linie eruiert werden, ob eine Persönlichkeitsstörung gegeben ist. Ist dies der Fall, wird untersucht, ob es sich um den impulsiven oder den Borderline-Typus handelt. Hierfür gibt es verschiedene Klassifikationssysteme. Eines der gängigsten ist der sogenannte ICD-10. Damit man von einer Borderline-Störung sprechen kann, müssen mindestens zwei der folgenden fünf Kriterien erfüllt sein.

  • Unsicherheit bezüglich des Selbstbilds, der Ziele und "inneren Präferenzen" (einschließlich sexueller)
  • Neigung zu intensiven, aber instabilen Beziehungen, auf die emotionale Krisen folgen
  • übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden
  • wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstschädigung
  • anhaltende Gefühle von Leere

Wie kommt es zur Erkrankung?

"Es gibt kein Borderline-Gen", betont Trummer. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist demnach nicht vererbbar. Allerdings können Anomalien, die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin betreffend, ein Verhalten begünstigen, das auch für Borderliner typisch ist. "Was wir wissen, ist, dass eine verminderte Aktivität von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn impulsives und aggressives Verhalten verstärkt", erklärt die Psychologin. Was man ebenso weiß, ist, dass gewisse psychosoziale Faktoren das Risiko erhöhen, am Borderline-Syndrom zu erkranken. Ein Risikofaktor wäre zum Beispiel ein inkonsistenter elterlicher Erziehungsstil "mit wenig Lob und viel körperlicher Bestrafung", so Trummer.

Ebenso ungünstig für die psychische Entwicklung ist es, dem Kind die von ihm geäußerten Emotionen abzusprechen. Auf diese Weise verliert es über kurz oder lang das Vertrauen in die eigenen Gefühle, was wiederum die Entstehung des Borderline-Syndroms begünstigen kann. Kann, wie die Expertin betont. Denn nicht jeder Risikofaktor muss auch zwingend zur Erkrankung führen. Weitere Risikofaktoren sind Vernachlässigung und Traumata. Darunter vor allem jene, die Folge eines Missbrauchs sind - sei es ein massiver emotionaler, verbaler, körperlicher oder sexueller Missbrauch.

Wie funktioniert Borderline und Beziehung?

"Der Borderliner will Nähe und braucht Distanz", erklärt Trummer. "Er hat große Angst vorm Alleinsein und ist ständig auf der Suche nach dem richtigen Partner, der ihn umsorgt, ihm gibt, was er braucht. Der die innere Leere füllt, die er empfindet." Oft spürt der Partner die Bedürftigkeit des Erkrankten. Der Versuch, dessen Bedürfnisse zu stillen, nimmt aber derart viel Zeit und Energie in Anspruch, dass er über kurz oder lang seine eigenen Bedürfnisse wie auch seine sozialen Kontakte vernachlässigt. "Das ist keine gesunde Beziehung", warnt die Psychotherapeutin.

»Der Borderliner ist ständig auf der Suche nach dem richtigen Partner«

Es kann vorkommen, das der Borderliner seine negativen Gefühle auf den Partner projiziert, der dann tatsächlich - anstelle des Erkrankten - wütend oder hilflos reagiert. "Der Partner spürt oft das, was der Borderliner nicht spüren will", so Trummer. Zudem können Betroffene sehr herrschsüchtig sein. "Sie wollen alles kontrollieren und im Griff haben. Nur dann fühlen sie sich sicher." Drohungen seien keine Seltenheit. Auch Gewalt sei möglich. Verbale wie physische. Droht ein Beziehungsende, versucht es der Erkrankte mit aller Kraft abzuwenden. Mitunter droht er dem Partner sogar mit Suizid, sollte dieser ihn verlassen.

Wie fühlt sich der Borderliner?

"Einsamkeit", so Trummer, "ist nahezu unerträglich für den Borderliner. Betroffene haben große Angst vorm Alleinsein, weil die innere Leere, die sie empfinden, dann ein bedrohliches Ausmaß annimmt. Oft überkommt sie ein starkes Gefühl der Sinnlosigkeit. Zudem fühlen sie sich innerlich zerrissen. Habe ich den richtigen Job? Den richtigen Partner? "Es gibt keine Konstante in ihrem Leben. Stattdessen immer nur diese Unsicherheit", erklärt die Psychologin. Selbst die sexuelle Ausrichtung betreffend herrscht oft Zweifel.

»Einsamkeit ist nahezu unerträglich für den Borderliner«

Die Selbstverletzung verschafft dem Betroffenen dann eine gewisse Erleichterung. Sie hilft ihm, Druck abzubauen, den seelischen Schmerz zu lindern und ins Hier und Jetzt zurückzukommen. Die Erkrankung bringt ein Wechselbad der Gefühle mit sich. Der Borderliner ist sich seiner permanenten Aufs und Abs bewusst - nicht jedoch über deren Ursache. "Sie wissen, sie kommen mit dem ganzen Chaos nicht zurecht", so Trummer. All das schafft einen großen Leidensdruck.

Wie geht man mit einem Borderliner richtig um?

Der Erkrankte dazu neigt, den Partner anfangs stark zu idealisieren, was jedoch schon bei der kleinsten Kränkung in extreme Abwertung und Ablehnung umschlagen kann. Darüber hinaus fällt es dem Borderliner schwer, Nähe zuzulassen. Und auch die immer wiederkehrenden Stimmungsschwankungen stellen eine große Herausforderung für den Partner dar. Eine Beziehung mit einem Borderliner zu führen, ist, so die Expertin, "sehr, sehr schwierig", aber nicht unmöglich.

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Wichtig ist, dass der Partner über die Erkrankung aufgeklärt ist. Allein schon das Wissen um die Symptome erlaubt ihm an der richtigen Stelle die notwendige Distanz. Nur so kann es ihm gelingen, negative Gefühle des Gegenübers nicht auf sich zu beziehen, sondern deren Ursache in der Krankheit zu finden. Zudem muss er sehr gut Grenzen setzen können und wohlwollend gelassen mit dem Erkrankten umgehen. "Das sind die wichtigsten Verhaltensweisen", resümiert Trummer, um mit einem Menschen, der an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, leben zu können.

Kann man das Borderline-Syndrom heilen?

Das Borderline-Syndrom begleitet den Betroffenen für gewöhnlich ein Leben lang. Er kann aber lernen, mit der Erkrankung gut zurechtzukommen. Dazu bedarf es einer Therapie, die zu realisieren allerdings nicht immer einfach ist. "Mit einem Borderliner zu arbeiten ist deshalb schwierig, weil Kontaktabbrüche ja zu seinem Krankheitsbild gehören", erklärt die Psychologin. "Das Gegenüber wird zuerst idealisiert, dann abgewertet. Das kommt auch in der Therapie zum Tragen." Wichtig sei daher in erster Linie, eine tragfähige Beziehung zum Patienten aufzubauen. Ihn anzunehmen, wie er ist, ihn wertzuschätzen und seine Gefühle und Gedanken zu respektieren.

Ist erst einmal die Basis geschaffen, geht es ums Um- und Neu-Lernen. Gemeinsam mit dem Therapeuten entwickelt der Betroffene soziale Kompetenzen und erlernt Strategien zur Krisen- und Stressbewältigung. Achtsamkeits-, Emotions- und Entspannungstrainings sollen ihm dabei helfen, sich selbst besser wahrnehmen, die eigenen Emotionen steuern und negative Spannungen abzubauen zu können, ohne sich dabei verletzen zu müssen. Mit der Fähigkeit, Situationen differenziert bewerten zu können, kann der Erkrankte schließlich auch sein Schwarz-weiß-Denkmuster ablegen.

© Privat

MMag. Nicole Trummer ist Psychotherapeutin, klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Arbeitspsychologin mit Schwerpunkt u.a. auf Depression, Stress, Ängste, Zwänge und Phobien, traumatische Erlebnisse sowie Gefühle von Sinn- und Hoffnungslosigkeit. Hier geht es zu ihrer Homepage.

Wenn Sie sich selbst von Suizid betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte die Psychiatrische Soforthilfe unter 01/31330. Auch die österreichweite Telefonseelsorge ist jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.
www.suizid-praevention.gv.at
www.bittelebe.at

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