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Martina Künsberg Sarre: "Im Bildungsbereich ist nichts Großes weitergegangen"

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Martina Künsberg Sarre
©Bild: Matt Observe/News
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Die Neos-Bildungssprecherin im Nationalrat, Martina Künsberg Sarre, bilanziert die Bildungspolitik der schwarz-grünen Bundesregierung: keine Visionen, keine großen Ansagen. Aber sie ist optimistisch, dass es Veränderung aus dem System heraus geben kann.

Das Thema Bildung ist enorm wichtig, und zugleich interessieren sich viele Menschen kaum dafür. Wir Journalistinnen wissen: Schul- oder Bildungsgeschichten auf der Titelseite kommen meistens nicht sehr gut an. Warum ist das so?
Für viele, die direkt betroffen sind, ist das Thema sehr, sehr wichtig. Aber wenn man weiter weg ist vom Bildungssystem, dann verliert es vielleicht an Bedeutung. Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe der Politik, auch in diesem Bereich Meter zu machen.

Wie erklären Sie jemandem, der selbst keine Kinder und seine eigene Ausbildung bereits abgeschlossen hat, warum er sich für Bildung interessieren sollte?
Es gibt viele Leute, die keine Kinder haben und trotzdem wissen, welche Bedeutung Bildung für das weitere Leben hat. Trotzdem, glaube ich, ist es wichtig, dass Politik das Thema so weit nach vorne pusht, dass das wirklich jedem bewusst wird. Wenn wir es in der Schule oder im Kindergarten vergeigen, sind einfach viele Chancen verloren.

Wird Bildung seitens der Politik genug Bedeutung zugemessen? Es ist ja auch bezeichnend: Es gab in der Geschichte Österreichs eine einzige Finanzministerin, die zweieinhalb Jahre im Amt war. Um Bildungs- und Unterrichtsagenden durften sich ab 1995 20 Jahre lang Frauen kümmern …
Es ist egal, ob ein Mann oder eine Frau Bildungsminister ist. Der Punkt ist, dass es einen Bildungsminister oder eine -ministerin braucht, der oder die Visionen hat, das Thema ernsthaft betreibt und die Probleme, die wir haben, nicht immer nur schönredet. Wir haben auf vielen Ebenen riesige Herausforderungen, beim Lehrermangel, bei der Zufriedenheit der Lehrer oder der Tatsache, dass über 20 Prozent der 15-Jährigen nicht sinnerfassend lesen können, wenn sie die Pflichtschule verlassen. Das ist eine Katastrophe. Es braucht endlich jemanden, der diese Dinge angeht.

Müsste man die Bildungsagenden aufwerten, zur Chefsache machen?
Ja, das muss man. Bei den roten Kanzlern der jüngeren Vergangenheit war Bildung nie ein Thema. Auch unter Sebastian Kurz und Karl Nehammer nicht. Das Bewusstsein, dass Bildung wichtig ist für das Individuum, aber auch für die Gesellschaft, für die Volkswirtschaft, weil wir kluge Köpfe und gute Fachkräfte brauchen, ist unterentwickelt. Dieser Zusammenhang ist offensichtlich nicht vorhanden, vor allem nicht in der ÖVP.

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 © IMAGO/SEPA.Media

Die Regierungszeit der schwarz-grünen Koalition geht zu Ende. Wie sieht Ihre bildungspolitische Bilanz der vergangenen vier Jahre aus?
Kurz und knapp: Im Bildungsbereich ist nichts Großes weitergegangen. Heinz Faßmann, der bis Ende 2021 Bildungsminister war, muss man zugutehalten, dass er sich während der Coronazeit sehr für die Schulöffnungen eingesetzt hat. Aber auch da gab es keine großen Reformen. Und unter seinem Nachfolger Martin Polaschek ist das Ganze endgültig zum Erliegen gekommen. Mir fällt keine einzige Vision oder große Ansage ein, mit der er aufgefallen wäre. Bis auf die Reform der Lehrerinnenausbildung, aber die wird den Lehrermangel auch nicht beheben. Regierungsprojekte wie "100 Schulen – 1000 Chancen" sind ganz klein und wirken nicht in die Breite. Im großen Ganzen hat sich nichts geändert. Die Kinder können heute nicht besser lesen als vor fünf Jahren zum Beispiel.

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Gibt es auch irgendetwas, das man lobend erwähnen könnte? Im Bereich Elementarpädagogik ist einiges weitergegangen, oder?
Positiv ist, dass das Thema Elementarbildung, Kindergarten in der Gesellschaft einen höheren Stellenwert bekommen hat. Das ist sicher durch Corona passiert. Und auch die Politik hat erkannt, dass man in dem Bereich etwas tun muss. Was man aber anmerken muss: Nur viel Geld für die Kindergärten rauszublasen, ist zu wenig. Es braucht auch Ziele. Kein Mensch weiß, wie diese Gelder genau vergeben werden. Wird das in Qualität oder nur in Quantität, also den Ausbau von Plätzen investiert? Andere Länder formulieren konkrete Ziele, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen wollen.

Das Thema Kindergärten ist interessant, weil man hier den Eindruck hat, dass die Politik den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Bildungspolitik begriffen hat. Stichwort Fachkräftemangel: Frauen stehen dem Arbeitsmarkt nur zur Verfügung, wenn ihre Kinder betreut sind. Sehen Sie auch in anderen Bereichen so ein Umdenken?
Im Schulbereich erkenne ich das nicht. Wir wissen seit 20 Jahren, dass viel zu viele 15-Jährige nicht sinnerfassend lesen können. Wir wissen, dass die Zahl der Schüler mit außerordentlichem Status, die nicht nach dem regulären Lehrplan unterrichtet werden, weil sie dem Unterricht nicht ausreichend folgen können, extrem steigt. Aber ich sehe das große Umdenken nicht.

Es wird einfach immer über die Köpfe der Lehrer hinweg entschieden

Das Thema Bildungsungleichheit ist ein großes Problem in Österreich. Es gibt Kinder mit sehr guten Zugängen zu Bildungsmöglichkeiten und Kinder, die fast keine Chancen haben. Gibt es für dieses Thema Bewusstsein?
Wir haben dazu immer wieder Anträge gemacht, zur Einführung eines Chancenindex etwa. Es wird einfach immer über die Köpfe der Lehrer hinweg entschieden Sie wurden immer vertagt. Es ist zwar das Bewusstsein dafür vorhanden, dass es Kinder gibt, die nicht gut Deutsch können, und dass das ein Problem ist. Aber der Minister wird nicht tätig. Schulen mit besonderen Herausforderungen müssen anders budgetiert werden. Sie brauchen mehr Unterstützung. Aber ich sehe nicht, dass es dahingehende Überlegungen gibt.

Halten manche Parteien an dieser Ungleichheit absichtlich fest, vordergründig im Interesse ihrer eigenen privilegierten Wählerschaft?
Es gibt mittlerweile in allen Parteien Leute, die das sehr wohl wahrnehmen und wissen, dass man hier umdenken muss. Aber es passiert zu wenig.

Angenommen, es kommt, wie Sie es vorher gefordert haben, ein Bildungsminister ins Amt, der die Dinge angeht. Welche großen Weichenstellungen wären notwendig?
Was man sofort machen kann – und wir Neos fordern das seit jeher –, ist, den Schulen mehr Autonomie zu geben. Wir haben großes Vertrauen in die Lehrpersonen und Direktoren. So, wie es jetzt ist, werden die Schulen mit Verordnungen und Vorgaben zugemüllt, dabei ist jeder Schulstandort anders. Das Motto des Ministeriums scheint zu sein: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das macht ja was mit den Menschen. So will keiner mehr arbeiten. Es ist einfach veraltet. Und man muss eine neue Art der Finanzierung finden. Nicht jeder Schulstandort ist gleich.

Warum ist dieser Autonomieaspekt wichtig?
Ich fahre viel durch Österreichs Schulen und frage die Leute, wie es geht, was gut und was schlecht läuft – denn es laufen auch viele Sachen gut, das darf man nicht vergessen. Eines höre ich immer: "Endlich kommt einmal jemand vorbei und fragt." Es wird einfach immer über die Köpfe der Lehrer hinweg entschieden. Bestenfalls ist die Lehrergewerkschaft im Spiel, von der sich viele Lehrerinnen und Lehrer aber auch nicht vertreten fühlen.

Man müsste den Lehrpersonen mehr auf Augenhöhe begegnen?
In Finnland sagt das Ministerium: "Wir sind dazu da, damit es den Lehrerinnen und Lehrern gut geht." Es gibt ein Verständnis dafür, dass es sich um eine Zusammenarbeit handelt. Denn, wofür gibt es denn das alles? Schule ist eigentlich für Kinder gemacht. Dafür, dass Kinder dort etwas lernen und dass es ihnen gut geht. Das muss man im Blick behalten. Ich habe dem Minister einmal gesagt, wenn er neue Projekte plant, soll er sich die Frage stellen: Ist das für die Kinder gut? Und wenn er sie nicht sofort mit Ja beantworten kann, dann soll er es lassen.

Damit wir nicht immer nur über Probleme reden. Was läuft denn gut in Österreichs Bildungssystem?
Die Lehre und die duale Ausbildung sind international immer noch hoch angesehen. Und das läuft auch wirklich gut. Es ist aber wichtig, dass die Kinder in der Pflichtschule ausreichend rechnen, schreiben und lesen lernen, um eine Lehre machen zu können. Das Schulsystem läuft deswegen, weil es viele engagierte Lehrer und Elementarpädagogen gibt, die sich wirklich einen Haxn ausreißen. Und für jene, die nicht so gern mit Kindern zusammen sind, braucht es Exit-Strategien.

Ist es manchmal frustrierend, als Oppositionspolitikerin permanent mit den Problemen des Bildungssystems befasst zu sein, aber nicht viel tun zu können?
Manchmal, ja. Aber was mich immer wieder total motiviert, sind die Leute, die in den Bereichen arbeiten. Tolle Leute, die etwas verändern wollen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Es wird nicht ewig so weitergehen, dass man sich Reformen völlig verwehrt und die Dinge schönredet.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 14/2024.

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