Forschen Schrittes beförderte die designierte Direktorin fast ein Drittel des Josefstadt-Ensembles ins Freie. Zum Abschiedsinterview trafen wir Katharina Klar und Juliette Larat.
Marianne Nentwich, 83, Doyenne, Identitätsstifterin, 62 Jahre an der Josefstadt. Katharina Klar, 38, sieben Jahre im Ensemble. Juliette Larat, 24, seit Herbst 2023 beider Kollegin. Gern hätten sie gemeinsam eine Freitagnachmittagsstunde lang über das Abschiednehmen gesprochen:
Alle drei werden in einem Jahr das Haus verlassen haben, weil die designierte Direktorin Marie Rötzer ein knappes Drittel des Ensembles kündigt. Alle drei nicht wiederzusehen, will das Kritikerherz nicht umstandslos zur Kenntnis nehmen. Realiter wird es dann ein Doppelgespräch: Marianne Nentwich ist krank, man wird telefonieren.
Scharfkantige Spuren
Die Wienerin Katharina Klar hat im Haus scharfkantige Spuren gezogen, seit sie 2017 in einer Dreipersonenfassung von Ibsens „Rosmersholm“ neben den Kapazundern Herbert Föttinger und Joseph Lorenz mit Glanz bestand. Im Volkstheater endete damals gerade unglücklich die Direktionszeit Anna Badoras, mit der die junge Schauspielerin davor schon neun gute Jahre in Graz verbracht hatte. Als es am Volkstheater eng zu werden drohte, fragte aus heiterem Himmel die Josefstadt an, die sie zuvor kaum durch den Zuschauerraum betreten hatte.
Und dann, gegen alle Stereotype in den Köpfen Unkundiger, die am Haus konservative Abonnentenabfertigung verorten: eine Welt auch der Abenteuer! Schon der Ibsen mit dem Regisseur Elmar Goerden erwies sich als prägend. Zuletzt hat sie sich mit Uraufführungen der jungen Österreicher Lisa Wentz und Thomas Arzt in die Gattungsgeschichte eingetragen: ein Gesicht, eine Anmutung, gesegnet mit jener Unverwechselbarkeit, die man auch Unvergleichlichkeit nennen kann.
Das Ende der Sesshaftigkeit
Und jetzt das Ende der Sesshaftigkeit nach 16 Jahren in drei Festengagements, die schon begonnen haben, als sie noch in Graz studierte. Vor dem Sommer ließ die aus St. Pölten wechselnde Direktorin Marie Rötzer das Ensemble Kopf für Kopf in hohem Tempo antreten – und aus war es. Eine Erklärung hätte schon geholfen, beantwortet Katharina Klar sanft die Frage nach der Enttäuschung.
Marie Rötzer
Marie Rötzer, geboren 1967 in Mistelbach, leitet derzeit mit Erfolg das Landestheater St. Pölten. Im September 2026 übernimmt sie die Josefstadt von Herbert Föttinger, der sich nach 20 Jahren zurückzieht.
„Man kann den Beruf schwer machen, wenn man mit diesen Dingen keinen Frieden hat, mit dieser Unvorhersehbarkeit. Es ist auch in Ordnung, dass etwas Neues kommt. Aber zugleich bin ich mitten im Prozess des Abschiednehmens von diesem Lebenszyklus. Von diesem besonderen Bühnenraum, den ich so gerne bespiele. Von Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind.“
Auf dem Sprung
In ebendiesem Zusammenwachsen war Juliette Larat gerade begriffen, als ihr die neue Direktorin forschen Schritts die Situation auseinandersetzte. Enttäuschung? „Natürlich hat man Zweifel und Unsicherheit. Im ersten Moment ist das eine Ablehnung, die jedem kurz wehtut. Aber“, bestätigt sie die Wahrnehmung der Kollegin, „es ist auch ungeheuer schnell gegangen, und ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Ja gesagt hätte. Für Groll und Wehmut bin ich nicht so empfänglich.“ Eigentlich, so fährt sie fort, sei sie recht zuversichtlich. Nach drei Spielzeiten an ein anderes Haus zu wechseln oder frei zu sein, sei für ihr Alter nicht ungewöhnlich.
Eher scheint die neue Direktorin nicht ideal beraten gewesen zu sein, sich in diesem Augenblick von ihr zu trennen: Juliette Larat hat soeben überregionale Aufmerksamkeit erregt, als sie in der heiklen Rolle des Glaubens auf dem Salzburger Domplatz debütierte. Solch eine früh gereifte Aura der Ernsthaftigkeit und des Geheimnisses, wo doch in jedem Satz die Bigotterie lauert! Die Angstfreiheit glaubt man ihr sofort: Keine Frage, dass man es mit der Repräsentantin einer neuen Schauspielergeneration zu tun hat.
Die neue Generation
Schon dass sie den Beruf ergriffen hat, war nicht beabsichtigt. Die Tochter einer deutschen Mutter und eines französischen Vaters wuchs in Straßburg auf, früh vernarrt in klassische Musik, vor allem in die Oper. Die Großmutter, Geigerin, zeigte den Weg: Wenn die junge Dame das Beste vom Besten kennenlernen wolle, müsse sie sommers nach Salzburg fahren.
Die Karten? Unbezahlbar für eine Achtzehnjährige. Aber eine Billeteurin wurde gesucht, und da öffnete sich der Himmel: alles sehen, alles hören zu können! Sie ging dann nach Berlin, um Philosophie und Theaterwissenschaft zu studieren, vielleicht auch Bühnenbildnerin zu werden. Aber die Sehnsucht blieb, „nach dieser Salzburger Blase, wo alles so voller Musik war und alles so international, nicht wissend, dass Salzburg unterm Jahr natürlich ganz anders aussieht. Ich hab geschaut, was man in Salzburg studieren kann, und das Einzige, was zum Sommersemester noch offen war, war Schauspiel. Da dachte ich: Dann machen wir halt Schauspiel“.

Steckbrief
Katharina Klar
Katharina Klar, geboren am 9. April 1987 als Älteste von vier Schwestern in eine freisinnig-antiautoritäre Familie in Wien 21, begann schon im Kindertheater, studierte in Graz Schauspiel und wurde 2008 an das dortige Theater engagiert. 2015 wechselte sie ans Wiener Volkstheater, 2019 an die Josefstadt. Ihre letzte Rolle dort spielt sie ab Jänner im Zweipersonenstück „Die Tanzstunde“ neben dem gleichfalls scheidenden André Pohl an den Kammerspielen. Sie lebt wieder in Wien 21.
Der Weg an die Josefstadt hätte pointierter nicht verlaufen können. Isoliert von Welt und Branche, saß sie zur Corona-Zeit als Neuzugezogene in Salzburg fest. Da informierte sie der am Mozarteum lehrende Elmar Goerden – wieder er! – über etwas für sie nicht Zuordenbares: Die Josefstadt suche jemanden fürs Ensemble! Josefstadt, dachte sie. Wo ist das? Wo liegt diese Stadt?
Eine Woche später, in ungefährer Kenntnis der Verhältnisse, sprach sie in Wien vor, fand eine Wohnung und debütierte als Eve im „Zerbrochnen Krug“, neben Katharina Klar übrigens.
Der Glaube serviert
Und kein Ende der Anekdoten, die folgende hat sich schon in Richtung Medienprominenz entwickelt: Der Sommer gehörte immer Salzburg, sie arbeitete dort während des Studiums als Portier und im Betriebsbüro, kleidete Anna Netrebko an und ging nachher gern auf ein Bier ins nahe „Resch und Lieblich“. Dann begann sie, dort auch zu servieren, um sich das Studium zu finanzieren. In der Corona-Zeit, sagt sie, habe sie dort immer etwas zu essen bekommen. Und deshalb serviert sie dort bis heute, wenn die Bravorufe auf dem Domplatz verklungen sind und die Besucher nicht wissen, ob sie ihren Augen trauen sollen. „Ich mache das aus Dankbarkeit. Das ist so eine Familie geworden, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, im Sommer in Salzburg zu sein und mich da hinzusetzen und ein Bier zu bestellen.“
Katharina Klar ordnet derweil ohne konkrete Ab- und Aussichten die Verhältnisse. Mehr drehen wäre gefragt, selbst Projekte entwickeln wie früher. Klar ist, dass sie in Wien bleiben will. Hier wurde sie als Tischlertochter in den 21. Bezirk geboren, aber das eignet sich mehr als aufhorchenmachender Pflock im Lebenslauf, denn der Betrieb war groß, und die Schule – Waldorf – hat sie in Wien 18 besucht. Jetzt ist sie in Wien verwurzelt, auch persönlich. Käme eine Anfrage aus Bremen – fraglich, ob sie akzeptieren würde.

Steckbrief
Juliette Larat
Juliette Larat wurde 2001 in Heidelberg als Tochter einer deutschen Mutter und eines französischen Vaters geboren. Aufgewachsen in Straßburg. Studium am Mozarteum in Salzburg, 2023 wurde sie überraschend an die ihr unbekannte Josefstadt engagiert. In Salzburg begann sie als Billeteurin, spielte dann in einer Kinderproduktion der Festspiele und im Sommer 2025 den Glauben im „Jedermann“. Letzte Produktionen an der Josefstadt: „Sommernachtstraum“ ab 20. 11., Turrinis „Was für ein schönes Ende“ im April. Sie lebt in Wien.
Ein Jahr ist das erst her, dass der nun scheidende Erfolgsdirektor Herbert Föttinger plötzlich rüder Amtsgebarung beschuldigt wurde.
Da verweist Katharina Klar auf den sich wandelnden Theaterbegriff: „Was sich sehr stark verändert hat, ist die Vorstellung davon, wer für die Einhaltung von Grenzen verantwortlich ist. Es ist eine stille Revolution in der Folge von #MeToo. Es ist so viel benennbar geworden, was vorher nur diffuses Unbehagen war. Vorher warst du allein. Du hast es geschafft, deine Grenzen zu verteidigen, oder eben nicht. Aber die Idee, dass dein Umfeld, insbesondere Leute in höher gestellten Positionen, dafür verantwortlich sein könnten, ein Klima zu schaffen, in dem du überhaupt in die Lage versetzt wirst, angstfrei deine Grenzen zu setzen – das ist eine revolutionäre Idee.“
Der sichere Raum
Ein sicherer Raum sei für das künstlerische Arbeiten sehr förderlich, kommt sie dem Anlassfall näher. „Und in der Josefstadt waren diese Dinge noch nicht angekommen, in den Strukturen, auch in den Köpfen. Ich hatte für mich selber so ein Gefühl, dass ich in zwei Welten lebe: mein queer-feministisches Privatumfeld und die Josefstadt. Ich hab Witze gemacht, dass ich arbeiten gehe ins Patriarchat. Aber ich habe letztes Jahr verstanden, dass es für manche Leute nicht witzig war, sondern sehr unangenehm und bedrohlich. Und ich möchte solidarisch sein mit diesen Leuten.“
Sie selbst habe immer gut für sich eintreten können. Aber Kämpfe – die habe es gegeben. „Einmal hat ein Regisseur mein Gesicht auf ein Porno-Foto montieren lassen, und das wurde dann auf der Bühne eingeblendet, ohne dass irgendwer vorher mit mir geredet hat. Und dann war ich die Blöde, weil ich die Probe unterbrochen habe. Diese Dinge haben sich wirklich total verbessert. Und es stimmt nicht, dass dadurch weniger möglich wäre. Es geht einfach um Einvernehmlichkeit. Ich habe zum Beispiel überhaupt kein Problem mit Nacktheit, wenn ich es fühle und wenn es für mich künstlerisch Sinn macht. Aber das möchte ich selbst entscheiden.“
Aber die Giganten der Vergangenheit? Peter Zadek, der genialste Sadist der Theatergeschichte? Da meldet sich Juliette Larat: „Ich glaube nicht, dass er deshalb gutes Theater gemacht hat, weil er ein schlechter Mensch war.“
Der nicht mehr blutjunge Kritiker hat das oft so gehört. Jetzt glaubt er es sogar.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2025 erschienen.








