Das neue „Tatort“-Paar lehrt viel über die Defizite der Ensemblepolitik an den Großbühnen: Laurence Rupp musste die Burg verlassen, für Miriam Fussenegger reichte nicht einmal die Popularität der Buhlschaft. Kunstferne Diktate und Intendanten-Hybris zerstören den österreichischen Ton.
Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser nach 15 Jahren ins „Tatort“-Format zu folgen, ist keine Kleinigkeit. Vergleichbar etwa mit den Herausforderungen des „Jedermann“-Paars (wobei zumindest in vereinzelten Fällen beim „Tatort“ das Buch besser ist). Warum ich Ihnen das erzähle? Weil man am eben bekanntgegebenen „Tatort“-Paar Laurence Rupp – Miriam Fussenegger doch einiges lernen kann.
Vor allem darüber, wie an Wiener Bühnen der österreichische Ton veruntreut wird, ohne den sich ein identitätsstiftendes Repertoire – von Nestroy bis Turrini, von Schnitzler bis Barbi Markovic – bald verabschieden wird müssen.
Die Oberösterreicherin Fussenegger führt uns gleich auf den Domplatz zurück, wo sie 2016 die Unpartie der Buhlschaft verkörpert hat. Da war nun eine hervorragende, auch noch rasch prominent gewordene österreichische Schauspielerin, deren Potenzial aber erstaunlicherweise nur von Bundesländer- und Alternativbühnen genutzt wurde.
Einen authentisch besetzten Nestroy wird man bald am Würstelstand casten müssen
Und erst der Wiener Laurence Rupp! Er war kaum dem Reinhardt-Seminar entkommen, da bauten ihn der Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann und dessen Nachfolgerin Karin Bergmann zum alles versprechenden Komödianten auf. Zu Zeiten, in denen man einen authentisch besetzten Nestroy bald am Würstelstand wird casten müssen, war Rupp schnell ein Atout des Hauses.
Ensembleverwüster
Dann kam Martin Kusej und war durch keine Vorhaltungen seiner erfolgreicheren Vorgängerin zu beeindrucken: Rupp musste mit vielen Schicksalsgefährten weichen und ging nach Berlin. Kusej ist allerdings zugutezuhalten, dass er Felix Kammerer entdeckt hat. Dass sich der österreichische Spitzenschauspieler Florian Teichtmeister selbst in die Luft gesprengt hat, kann man seinem Förderer nicht vorhalten (wohl aber den inferioren Umgang mit der sich anbahnenden Katastrophe).
Aber insgesamt steht Kusej für ein Konzept, das ganze Ensembles und markante Repertoirebestandteile zerstört: Unter kunstfernen Diversitätsdiktaten wurde ein unorganisches, unbetreutes Konglomerat an Zufallsspielern verpflichtet, die sich kaum bewusst waren, wo sie sich aufhielten, und vielfach nach einem Jahr gingen. Burgschauspieler zu sein, war nichts mehr Besonderes.
Zur nämlichen Zeit hatte Kusej im Gefolge eines alten Zerwürfnisses das Ensemble-Atout Nicholas Ofczarek derart provoziert, dass sich der Düpierte für zwei Jahre ins Seriengeschäft teilkarenzierte. Unter der neuen Direktion füllen Ofczarek und die aus Berlin heimgeholte Österreicherin Stefanie Reinsperger teils mit aufwandlosen Soli das Haus.
Rückzugsort Josefstadt
Noch größeres Verwüstungspotenzial entfaltete der Volkstheaterdirektor Kay Voges, der mit Katastrophenfolge dem Wunderhorn der Wiener Kulturpolitik entwichen war. Und zwar unter Desavouierung höchstqualifizierter ortsansässiger Mitbewerber.
Voges hatte das Volkstheater nie betreten, als ihn der Ruf am Dienstort Dortmund rammte. Klar, dass er in Unkenntnis hiesigen Bedarfs das fast komplette Ensemble feuern und durch Ruhrpottprimadonnen ersetzen musste, die jetzt mit ihm nach Köln weitergezogen sind, ohne auch nur Erinnerungsspuren zu hinterlassen. Dafür flogen österreichische Unterschiedspieler wie Isabella Knöll und Günter Franzmeier.
Letztgenannter wurde vom Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger aufgefangen und reüssiert seither fabulös am zweiten Wiener Haus. Da Föttinger selbst ein österreichischer Spitzenschauspieler ist, konnte er an seinem Haus einen vergleichslosen Rückzugsort österreichischer Dramatik etablieren. Hier leuchten Raimund, Schnitzler, Turrini, Thomas Arzt und Lisa Wentz.
Wer an der Josefstadt soeben den vom Österreicher Josef Ernst Köpplinger inszenierten „Sommernachtstraum“ gesehen hat, so alt, dass er schon wieder Avantgarde ist, den überwältigten die legendenbesetzten Rüpelszenen. Aber von ihnen bleibt verbindlich nur Franzmeier im Ensemble, wenn im September die neue Direktorin Marie Rötzer antritt. André Pohl muss in Pension, Johannes Seilern ebenfalls, und die olympischen Gäste Wolfgang Hübsch und Robert Meyer wurden dem Vernehmen nach für Künftiges nicht angefragt.
Und die Zukunft?
Überhaupt Meyer! Jeder nicht von allen guten Geistern verlassene österreichische Theaterdirektor hätte die Tage bis zu seinem Direktionsende an der Volksoper von der Wand abstreichen müssen. So dachte man, denn mehr als den letzten großen Nestroy-Spieler, einen Komödianten und Tragöden auf Augenhöhe mit sich selbst, kann man sich nicht wünschen. Aber Kusej machte keine Anstalten, den vor 18 Jahren an den Gürtel Emigrierten an die Burg heimzuholen. Föttinger hat hoch erfreut zugegriffen und es nicht bereut. Meyer spielt im Akkord und füllt das Haus.
Und jetzt? Ich halte Marie Rötzer für eine vorzügliche Theaterdirektorin. Noch größer scheint allerdings ihre Unerschrockenheit zu sein: Einen österreichischen Spielplan, der den Namen verdient, kann schon mit dem vorhandenen Personal nur ein Meisterlogistiker bestreiten. Aber ohne die Obgenannten, ohne Marianne Nentwich, Katharina Klar, das Ehepaar Föttinger-Cervik, und all das auch noch freiwillig? Das schau ich mir an, und zwar eidesstattlich unvoreingenommen.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2025 erschienen.







