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Reinhold Ponesch: „Die Abstraktion ist eine unendliche Geschichte“

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©Patrick Schuster

Intuitiv aufgetragene Schichten aus Farbe formen das Fundament der abstrakten Bildwelten von Reinhold Ponesch. In einem steten Dialog mit der Leinwand dechiffriert er sich zufällig ergebende figurative Formen und begründet sein Narrativ, das den Menschen im Mittelpunkt sieht

Atelierbesuch bei Reinhold Ponesch

© VGN | Osama Rasheed

„Immer den Farbspuren nach“, ruft Reinhold Ponesch ins Stiegenhaus. Der Farbabrieb an den Wänden des schmalen, sich wendenden Treppenaufgangs führt in den dritten Stock eines Altbaus in Wien-Simmering. Ein aufgespanntes Großformat hat vor Jahren die wegweisenden Markierungen hinterlassen. Seit 2009 kommt er jeden Tag hierher, um zu malen. „Der Weg ins Atelier ist schließlich ein kurzer – da gibt es keine Ausreden“, scherzt er. Gewohnt wird in der Wohnung unterhalb. Damals, als er die kleine Wohnung oberhalb anmietet, reduziert er Stunden bei der Polizei, um sich verstärkt seinem künstlerischen Schaffen zu widmen. Ponesch ist Künstler auf zweitem Bildungsweg.

Dabei wäre ihm die Kunst tatsächlich in die Wiege gelegt gewesen. Sein Vater war malerischer Kopist – ein Ausgleich zum Brotberuf als Elektroinstallateur. „Er war ein sehr gebildeter Mensch“, erinnert sich Ponesch. „Gerade im künstlerischen Kontext war mein Vater wahnsinnig belesen und hat immerzu Geschichten erzählt. Etwa über Goya – als Kind hat mich das aber eher gelangweilt.“ Gemalt und gezeichnet habe er hingegen immer gerne. Dass er sich jedoch zunächst gegen die Kunst entscheidet, ist einem Schlüsselerlebnis verschuldet. „Ein eher negatives“, resümiert er: Beim Zeichnen in der Schule habe er intuitiv begonnen zu abstrahieren. „Ein abschätziger Kommentar des Lehrers hatte mich damals dermaßen schockiert, dass die Lust an der Kunst erst einmal dahin war.“

Über Umwege

Früh verliert Ponesch seine Mutter und damit kurzfristig den Sinn des Seins. Im Kampfsport findet er schließlich Halt und kämpft sich zurück ins Leben: Sechs Jahre tritt der elffache Staatsmeister im österreichischen Karate-Nationalteam bei Europa- und Weltmeisterschaften an. In ihm wächst zusehends der Wunsch nach Karriere bei der Polizei – mit einem klaren Ziel: eines Tages Mitglied der Antiterroreinheit COBRA zu werden. 1987 beginnt Ponesch, damals noch als Gendarmeriebeamter, seinen Dienst in seiner Heimat Vorarlberg. Bereits fünf Jahre später übersiedelt er nach Wien und startet schließlich seine Ausbildung zum COBRA-Beamten. Die folgenden Jahre werden sowohl mental als auch psychisch zum Dauergrenzgang. „Am Anfang war das alles natürlich irrsinnig spannend – nach sechs Jahren im Dienst wirst du dann zu sämtlichen Einsätzen herangezogen und eingesetzt. Da stellten sich mir die Fragen: Und jetzt? Was kommt als nächstes?“

Die Suche nach neuen Herausforderungen ist Anfang der 2000er von Erfolg gekrönt. „2001 habe ich in einem Vorarlberger Wasserkraftwerk die Ausstellung einer befreundeten Künstlerin besucht“, so Ponesch. Die abstrakten Arbeiten faszinieren. Ihm wird klar: „Das will ich auch!“ Rasch kommt er vom Wollen ins Tun, kauft bei einem Künstlerbedarf Leinwände und Farbe. Der Küchentisch wird zur provisorischen Staffelei. Nach einer Dreiviertelstunde die Einsicht: „Was tue ich da eigentlich? So ganz ohne Repertoire und Technik …“

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Kunst am Bau. Ausgehend von der Natur schafft Ponesch 2024 im Auftrag eines Bauträgers ein ­vierteiliges Deckengemälde

 © Beigestellt

Von der Technik zur Handschrift

In den kommenden Jahren belegt Ponesch zahlreiche Kurse, darunter etwa an der Akademie – „um das Handwerk zu erlernen.“ Die Idee einer institutionellen Ausbildung verwirft er nach Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Kunst. Seine damalige Entscheidung bereut er nicht. Im Gegenteil: „Ich schätze die Freiheit und Offenheit im eigenen malerischen Prozess – Grenzen setze ich mir in meiner Malerei maximal selbst, nicht irgendein Meister.“ Über die Jahre wächst sein künstlerisches Repertoire, aus dem er bis heute schöpft.

Zunächst fährt der werdende Künstler zweigleisig – versucht, Kunst und Polizeidienst unter einen Hut zu bringen. Doch die Flammen der Leidenschaft für das Kreative beginnen immer stärker zu lodern. 2009 fasst Ponesch den Entschluss, sich verstärkt seinem künstlerischen Schaffen zu widmen. Ein Entschluss, der sich bereits vier Jahre später bezahlt macht: er wird 2013 mit dem Kapsch-­Kunstaward ausgezeichnet und reüssiert – von kleineren Ausstellungen abgesehen – in der Öffentlichkeit: „Damals hat man mir erstmals Eigenständigkeit attestiert. Das bestärkt natürlich immens“, so der Künstler. Ein Resultat intensiver Arbeit. „Mit dem Tun kommt die Erfahrung, mit ihr die Leichtigkeit in den unterschiedlichen Techniken und damit die künstlerische Handschrift“, erklärt er die Genese ebendieser. Je verkopfter man an den Bildträger herantritt, desto schwieriger würde es – Techniken, auf die man sich verlassen könne, helfen dabei ungemein. „Wenn du aus dem Repertoire der Erfahrung schöpfst, wird es im Prozess leichter“, bringt es Ponesch auf den Punkt.

Das Grenzenlose des Abstrakten

Die Entscheidung für die Kunst war letztlich eine persönliche. „Ich wollte das für mich probieren, nicht für den Markt.“ 2015 hängt Ponesch seine Polizeiuniform für immer an den Nagel; lebt seither als freischaffender Künstler. Eine Entscheidung, die er keine Sekunde bereut: Die Bildwelten, die Ponesch in seiner Malerei erschließt, versprechen die ersehnte Grenzenlosigkeit. Das stetige Streben nach Neuem – ein Ergebnis aus Erfahrung und dem Mut, Dinge einfach auszuprobieren – ist es, das künstlerisch antreibt. Aus diesem Grund knüpft der Künstler an seine Intuition aus Kindheitstagen an – er abstrahiert. „Die kompositorischen Möglichkeiten sind dabei grenzenlos – die Abstraktion ist eine unendliche Geschichte.“

Figurative Elemente, die meist durch grafische Linienführung dem malerischen Grund entspringen, sind für den Künstler Kontakt zum Menschen. Denn auch, wenn die thematische Vielfalt seiner Arbeiten ebenso grenzenlos wie seine künstlerischen Möglichkeiten und die Quellen seiner Inspiration ist, begründet sein Narrativ genau darauf. Der Mensch ist Epizentrum seines künstlerischen Schaffens. Motiv braucht er im Malprozess keines – „meine Malerei ist Kopfsache“. Konkrete Vorstellung habe er dabei in etwa 90 Prozent der Fälle aber keine; nähert sich stattdessen intuitiv, von inneren Emotionen geleitet, dem Bildträger: „Ich beginne einfach – das ist das Wichtigste.“

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Wandobjekt. Alltägliche Fundmaterialien collagiert Ponesch zu abstrakten Skulpturen

Ein steter Dialog

Was sich dadurch in Gang setzt, ist ein steter Dialog mit der Leinwand. Immer wieder tritt Ponesch zurück und betrachtet die gestischen, farbexpressiven Pinselhiebe seiner informellen Malerei – er dechiffriert die den Farbflächen zufällig entspringende Formenvielfalt. „Plötzlich erkenne ich in der Komposition figurative Elemente, die geradezu danach verlangen, herausgearbeitet zu werden. Das sind Formen, die ich so nie im- stande wäre, zu malen“, deutet er auf die sich gerade in Prozess befindende Leinwand an der Stirnseite des lichtdurchfluteten Ateliers. Das Licht sei essenziell: „Ich bin ein Tagmaler – da kommt die lebendige Energie der Farbe besser zur Geltung.“

Gemalt wird mit Acryl und Eitempera – beides eint die Eigenschaft des schnellen Trocknens. Ein Vorteil, der Poneschs raschem Schaffensprozess entspricht. Schicht für Schicht legt er die Farbe auf dem Bildträger an. Betrachtet, ergänzt, übermalt. Das Schwierige dabei: „Während die gegenständliche Malerei vorgibt und dadurch enden wollend ist, kannst du in der Abstraktion immer weiterarbeiten – die Herausforderung ist zu erkennen, wann ein Bild fertig ist“, so Ponesch. Zwei Dinge helfen dabei: „Besteht es das kritische Betrachten des Folgetags und springt der Funke über, folgt die Bewährungsprobe der Testwand innerhalb der eigenen vier Wände. Ist diese überstanden, ist ein Bild fertig.“ Übersteht sie diese nicht? „Dann weiß ich danach genau, was zu tun ist, um es fertigzustellen.“

Ein Zuhause zum Verweilen

Abschließend wird signiert und betitelt – das markiere den Abschluss. Außerdem wird der Ort der Entstehung vermerkt. „Weil der Einfluss überall ein anderer ist.“ An einer der Wände lehnt eine Leinwand – rückseitig prangt neben Poneschs Unterschrift, Titel und dem Jahr der Entstehung: NEW YORK. Zwei Jahre lebte Ponesch ab 2015 im Big Apple. Die Erfüllung eines Lebenstraums: „Ich wollte immer in diese Stadt eintauchen – dort leben, arbeiten und mich von ihr inspirieren lassen“, so der Künstler. Neben der allgegenwärtigen Streetart, die hinsichtlich der Ideen und Formensprache inspiriert, war es vor allem der Kontakt mit Gleichgesinnten, der den Künstler bereicherte. „Die haben dort eine Resilienz, die wir nicht haben – ich habe gelernt, an Träumen festzuhalten und unbeirrt weiterzugehen. Denn im Gehen entstehen die Wege.“

Von Poneschs zahlreichen Reisen berichten auch die Arbeiten an den Wänden seiner Wohnung – von heimischer, klassischer Moderne bis hin zur Gegenwartskunst aus Finnland ist so einiges vertreten. Was muss Kunst können, um sich an den eigenen vier Wänden wiederzufinden? „Das mag jetzt abgedroschen klingen, aber in erster Linie muss sie mich berühren.“ Der Anspruch an sein eigenes Werk? „Ich möchte Betrachtenden in meiner Kunst ein Zuhause bieten, das zum Entdecken, aber auch Verweilen einlädt – gelingt das, schließt sich für mich der Kreis zum Menschsein.“

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