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Umbruchszeiten in der Josefstadt: Mit September 2026 müssen 40 Prozent des Ensembles gehen

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Herbert Föttinger, Schauspieler, Regisseur und Direktor des Theaters in der Josefstadt

©Moritz Schell

An der Josefstadt kündigen sich Abschiedsturbulenzen an: Wenn Direktor Herbert Föttinger im September 2026 an Marie Rötzer übergibt, müssen 40 Prozent seines Ensembles gehen. Unter ihnen Doyenne Marianne Nentwich und Sandra Cervik. Föttinger und Marie Rötzer geben Auskunft

Bei der Aufsichtsratssitzung der Theater in der Josefstadt Betriebsgesellschaft m. b. H. am vorwöchigen Mittwoch sei es hoch hergegangen, hört man aus der Traditionsbühne. Lautstark habe der noch eine Spielzeit amtierende Direktor Föttinger die sich mit September 2026 anbahnenden Ereignisse missbilligt.

Anlass des direktoralen Zorns, in Zahlen gegossen: 18 der derzeit 48 Ensemblemitglieder (es kommt nächstes Jahr noch zu Abgängen) wurden im Juni seitens der neuen Direktorin Marie Rötzer von der Nichtverlängerung ihrer Verträge in Kenntnis gesetzt. Dazu die komplette Dramaturgie und die erstklassig vernetzte Kommunikationschefin Christiane Huemer-Strobele.

Etwa 40 Prozent der derzeit angestellten Schauspieler müssen sich mit der Saison 2026/27 verabschieden. Im Vergleich dazu waren es konstant null Prozent, seit Otto Schenk 1988 das Haus übernahm, weil Boy Gobert vor Amtsantritt einem Herzinfarkt erlegen war. Kein einziger aus Goberts Ensemble musste anlässlich des Direktionswechsels gehen. Und auch keiner aus Schenks Ensemble, als 1997 der ihm eng verbundene Helmuth Lohner übernahm.

2003 wurde der große Theatermann Hans Gratzer an die falsche Stelle berufen. Er kündigte nur Maria Köstlinger, die sofort wieder da war, als Gratzer nach einem Jahr ging und Lohner zurückkam, ohne auch nur einen von Gratzers Neuen zu kündigen. Und auch als 2006 Föttinger antrat, blieben alle im Engagement. Zur üblichen Fluktuation kam es stets erst in weiterer Folge.

Adieu nach 63 Jahren

Dagegen jetzt: Die identitätsstiftende Doyenne des Hauses, Marianne Nentwich, wurde von ihrem Abschied nach 63 Jahren Zugehörigkeit unterrichtet, ebenso der große Altersspieler Michael König. Beide gehören einer fast schon ausgestorbenen Spezies an.

Folgenreich auch der Abschied Sandra Cerviks, hat sie doch, zuletzt auch als Regisseurin, großflächig das Repertoire bewirtschaftet. Ihr Ehemann Herbert Föttinger ist selbst ein herkulischer Leistungsträger. In seiner letzten Spielzeit bestreitet er 120 Vorstellungen, darunter Bernhards „Theatermacher“ und ein Auftragswerk von Peter Turrini mit Uraufführungsdatum 29. 4. 2026. Beide Stücke werden nach derzeitigem Stand nicht übernommen, und Föttinger zieht für ein Jahr ans Rote Meer.

„Hier passiert ein großer Paradigmenwechsel“, sagt der erfolgreiche Direktor auf Anfrage. „Wir sind ein Schauspielertheater, und ich verstehe nicht, welchen Sinn es hat, die Doyenne des Hauses nicht zu verlängern. Aber das muss man akzeptieren, nur die Josefstadt, wie wir sie kennen, gibt es dann in der Form nicht mehr. Am deutschen Stadttheater ist es üblich, ganze Ensembles zu wechseln, in Wien hatten wir unter Kusej an der Burg und unter Voges am Volkstheater solche Entwicklungen. Ich glaube nicht, dass das gut für das Theater ist.“

Die Josefstadt, wie wir sie kennen, gibt es dann in der Form nicht mehr

Herbert Föttinger

„Nach 20 Jahren nötig“

Die in St. Pölten äußerst erfolgreiche, bis in die „New York Times“ wahrgenommene Designata antwortet ausführlich: Die „Neupositionierung und -sortierung“ des Hauses sei nach zwanzigjähriger Intendanz nötig und von Eigentümerseite erwünscht. Auch müsse deutlich gespart werden – schon Föttinger habe nach Corona die Doppelvorstellungen an Wochenenden ausgesetzt. Nun seien manche Schauspieler unterbeschäftigt, Ausgewogenheit auch hinsichtlich „Gagenhöhe und Ensemblepolitik“ sei das Ziel. Der Betriebsrat sei, auch in sozialen Belangen, immer eingebunden gewesen.

Das Ensemble werde in noch nicht feststehendem Ausmaß verkleinert, es werde aber auch Neuzugänge geben. „Sämtliche Publikumslieblinge“ würden weiterbeschäftigt, die Direktorin nennt „Ulli Maier, Joseph Lorenz, Marcus Bluhm, Michael Dangl, Marcello de Nardo, Claudius von Stolzmann, Maria Köstlinger, Alexandra Krismer, Paul Matic, Johannes Krisch, Martina Ebm, Bernhard Schir, Ulrich Rheinthaller und viele andere“. Zu Letztgenannten zählen laut Hausinformation u. a. auch Günter Franzmeier, Alexander Absenger, Nils Arztmann, Raphael von Bargen, Robert Joseph Bartl und Johanna Mahaffy. Die Gastverträge mit Andrea Jonasson, Erwin Steinhauer und Robert Meyer sind dringlich zur Verlängerung vorgesehen.

Föttinger und Cervik willkommen

Den anderen, vor allem solchen im Pensionsalter, will man Gastverträge anbieten. Allen voran Marianne Nentwich, von der aber zu hören ist, dass sie ihre Tätigkeit am Haus mit der Turrini-Uraufführung beschließen will.

Insgesamt wird hier noch nachzuschärfen sein. Laut Hausradio übernimmt Marie Rötzer aus Föttingers Abschiedssaison Nikolaus Habjans schon in Berlin gefeierte Hitler-Groteske „Schicklgruber“. Dazu „Sommernachtstraum“ und einen Schwank um Sherlock Holmes, beide mit vielen Abgängern. Dann das Solo „Ein deutsches Leben“ mit der großen Lore Stefanek, die aber erklärtermaßen mit Föttingers Abschied in Pension gehen will. Schließlich das Kammerspiel „Die Tanzstunde“ mit dem pretiosenhaft kauzigen André Pohl und der kaum zu ersetzenden Unterschiedspielerin Katharina Klar. Die aber unkommunizierbarerweise gehen sollen.

Und wie, um zuletzt ans Eingemachte zu gelangen, verhält es sich mit dem noch aktiven Regentenpaar? Marie Rötzer: „Wenn Herr Föttinger und Frau Cervik als Schauspiel-Gäste dem Publikum erhalten bleiben wollen, sind sie von meiner Seite herzlich dazu eingeladen.“ Zusatz: „Mir war und ist es ein Anliegen, mit Herrn Föttinger einen würdevollen und konfliktfreien Übergang herzustellen. Sie können sich denken, dass dies nicht immer einfach ist.“ Aber was ist schon einfach am Theater?

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ABD0106_20240624 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA0115 VOM 24.6.2024 - Marie Rötzer, neue Direktorin des Theaters in der Josefstadt, am Montag, 24. Juni 2024, im Rahmen einer Pressekonferenz anl. der "Vorstellung des neuen Leitungsteams ab der Spielzeit 2026/27" in Wien. - FOTO: APA/HANS KLAUS TECHT _
 © APA/HANS KLAUS TECHT

Marie Rötzer, geboren 1967 in Mistelbach, Niederösterreich, kam über Berlin, Graz und Hamburg an die Spitze des NÖ Landestheaters, wo sie internationales Aufsehen erregte. Im September 2026 übernimmt sie die Josefstadt von Herbert Föttinger, der sich nach 20 Jahren zurückzieht.

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