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Andrea Cusumano: „Ich möchte vor allem eines: Verstehen“

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Andrea Cusumano

©Patrick Schuster

Angeleitet von seinem Meister Hermann Nitsch, emanzipiert sich der britisch-italienische Künstler aus der Zweidimensionalität und entwickelt ein von Neugier getriebenes, raumergreifendes Œuvre. Ein multimediales Kunstexperiment, das fortwährend nach Erkenntnis strebt.

Die gleißende Sonne prangt hoch am Firmament. Darunter macht sich eine drückende Hitze breit, die an diesem Freitag vor Pfingsten von beinahe unerträglichem Ausmaß ist. Andrea Cusumano nimmt es dennoch gelassen. Auf Sizilien lebend, ist der italienisch-britische Künstler heiße Tage gewohnt. Aber auch er vermisst heute das wohltuende Insellüftchen. Denn die Luft scheint im Hof von Schloss Prinzendorf stillzustehen.

Die Siesta kommt da gerade gelegen – um der Hitze zu entfliehen, um über Kunst zu philosophieren, aber auch, um einfach durchzuatmen. Denn seit einigen Tagen ist er bereits auf dem niederösterreichischen Anwesen zu Gast. Wobei Gast in seinem Fall nicht ganz treffend scheint. Jede Rückkehr nach Prinzendorf gleicht einer Heimkehr. Auch dann, wenn sie – wie dieses Mal – im Zeichen der Arbeit steht.

Schloss statt Wehrdienst

„1995 war ich erstmals hier“, erinnert sich Cusumano. Zwei Jahre später zieht er im Schloss ein: „Um dem Wehrdienst in Italien zu entkommen.“ Sein Verbündeter: der vor drei Jahren verstorbene Hausherr Hermann Nitsch, den Cusumano 1992 im Rahmen der Salzburger Sommerakademie kennenlernte.

Für den damals 19-Jährigen, der durch die künstlerische Prägung seiner Mutter bereits im Alter von vier Jahren erste Keramiken fertigte und mit 14 seine erste Ausstellung hatte, war das Aufeinandertreffen mit Nitsch ein Wendepunkt. Der Meister wurde zur Vaterfigur – sowohl menschlich als auch künstlerisch.

Nitschscher Dirigent

Bis Ende der 90er bleibt Cusumano schließlich hier wohnen. Untätig ist er dabei keineswegs: Während er – unter dem wachsamen Auge seines Meisters – kontinuierlich sein eigenes Werk entwickelt, unterstützt er Nitsch beim Schreiben der Partitur dessen Lebenswerks. Wie kaum ein anderer in den Tiefen der komplexen Materie des Orgien-Mysterien-Theaters verhaftet, übersetzt Cusumano die schriftlich-grafische Partitur in eine für Musizierende greifbare Notation und wird fortan zum nitschschen Dirigenten und wichtigsten musikalischen Interpreten.

Und bleibt es über dessen Tod hinaus: Denn auch diesmal ist es das Orgien-Mysterien-Theater, das Cusumano nach Schloss Prinzendorf zurückführt. Über Pfingsten werden hier in der 160. Aktion die letzten drei Tage des Orgien-Mysterien-Theaters aufgeführt. Eine Woche probt man bereits das Ende einer Ära – für die Kunstwelt und für Cusumano im Speziellen: „Die kommenden Tage ein letztes Mal für Nitsch am Dirigentenpult zu stehen, kommt einem verlängerten Abschiednehmen gleich“, so der Künstler. Ein ehrfürchtiger und zugleich trauriger Augenblick. „Denn alles, was danach kommt, wird nicht mehr die Aura dieses großen Meisters haben.“

Exploratorisches Experiment

Ein großer Meister, das war Nitsch für Cusumano allemal: „Er hat 1992 eine Explosion in meinem Schaffen bewirkt – einen Urknall herbeigeführt, der die künstlerische Evolution meines Œuvres vorangetrieben hat“, so der Künstler. „Dabei hat er mir nie gesagt, wie ich etwas zu machen habe. Er meinte immer bloß: noch intensiver!“ Eine Intensität, die Cusumanos zunächst gestische Malerei schon bald an die Grenzen der immer größer werdenden Leinwände führt – bis letztlich auch diese nicht mehr ausreichen.

Ein wegweisender Moment: Sein Werk emanzipiert sich aus der Zweidimensionalität und beginnt, anfangs in Form von Installationen, in den dreidimensionalen Raum überzugreifen. Für Cusumano ist dieser Augenblick der Startschuss seiner eigentlichen künstlerischen Genese – eines explorativen Kunstexperiments, wie es auch sein Meister kultivierte. Konzeptionell sowie methodisch an dessen Komplexität und Vielschichtigkeit orientiert, ist das Ergebnis jedoch ein völlig eigenständiges.

Das Erlangen von Erkenntnis

Die Basis dafür schafft Cusumanos Begeisterung für Epistemologie, die ihn schon bald zum Studium der Psychologie führte. Denn er möchte vor allem eines: Verstehen. So wird sein künstlerisches Schaffen zu einem fortwährenden Forschen – einer steten Suche nach Erkenntnis. „Das Verständnis für das Erlangen von Erkenntnis ist der Motor meiner Arbeit“, so der Künstler. „Deshalb setze ich mich darin auch mit menschlichen Extremen auseinander, um das Handeln dahinter und damit die Menschheit ein Stück weit besser verstehen zu können.“

Entsprechend vielschichtig – wie die menschliche Psyche – ist auch sein Œuvre: „Weil ich glaube, dass die Wahrheit dabei nicht in dem liegt, was ich tue, sondern in dem, was ich suche“, führt er aus. „Meine Neugier hat mir schließlich immer neues künstlerisches Terrain erschlossen.“ Alles Zufälle? „Vielleicht waren es manchmal auch gesuchte“, schmunzelt er.

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Körperwahrnehmung. Bei Cusumanos theaterreferenzierten Raumdramaturgien steht die Erfahrung des Körpers der Performenden und des Publikums im Fokus.

 © valeriobellone.com

So geht er etwa der Liebe wegen nach London, studiert am Saint Martins College, um seine dramaturgischen Rauminszenierungen weiterzuentwickeln und landet letztlich am Theater. Das dramaturgische Potenzial von Objekten und Räumen gewinnt für Cusumano an Bedeutung – es entstehen theaterreferenzierte Raumdramaturgien. „Ein Theater, das sich nicht auf Sprache und Narration, sondern auf die Erfahrung des Körpers im Raum bezieht. Und das für Performende und Zusehende gleichermaßen“, erklärt er.

Malerei im Mittelpunkt

Heute oszilliert die Arbeit des internationalen Multimedia-Künstlers zwischen den unterschiedlichsten Disziplinen. Dabei geht es dem Performer, Komponisten, Maler, Regisseur, Dramaturgen, Autor, Kurator und Art Director um die sich ergebenden Synergien unterschiedlichster Kunstformen und das Ausloten sowie bewusste Überschreiten derer Grenzen. Diese stete Transformation, das – in nitschscher Manier – zyklische Durchlaufen dieser Disziplinen formt seine in sich geschlossene Intermedialität und fördert so völlig Neues zutage. Das Einzige, das in diesem experimentellen Schaffensprozess allgegenwärtig bleibt, ist die Malerei: „Sie war und wird immer Basis meiner künstlerischen Reise sein.“

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Gestisch. Ein Frühwerk aus Cusumanos Schaffen aus den frühen 1990er Jahren.

 © Fausto Brigantino

Die geistige Basis formt hingegen die Frage nach der Grundlage unserer Existenz – und wieder ist es die Suche nach Erkenntnis. „Im Alltag ist diese Frage kaum oder nicht zu stellen“, so der Künstler. „Doch die Kunst findet abseits des Alltäglichen statt und bietet somit den Raum dafür.“ Eine mögliche Antwort beabsichtigt Cusumano dabei nicht zu finden. Viel wichtiger ist die Erfahrung des intensiven Hinterfragens. Genau dazu möchte er Betrachtende einladen; ihnen den Raum zu öffnen – ohne, dass sie sich dabei selbst im Zentrum sehen.

Ein übergeordneter Anspruch, den er auch in seiner ehemaligen Funktion als Stadtrat in seiner Heimat Palermo, als Veranstalter und Initiator bedeutender Kunstevents sowie Professor für Malerei und Chromatologie an der Accademia di belle arti di Venezia verfolgt und in die Welt tragen möchte. Er will den Impact von Kunst spür- und erlebbar machen. Ganz im Sinne seines Meisters: „Es ist das Streben, eine überdimensionale Erfahrung des Seins herbeizuführen.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.

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