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Die Wiener Philharmoniker im Visier der Wichtigmacher

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Daniel Froschauer und Michael Bladerer

©Matt Observe

Das hatten die Wiener Philharmoniker gebraucht: Die Stadt Wien entzieht ihnen die Unterstützung für das Sommernachtskonzert in Schönbrunn. Im Sommer fabulierten ihnen Intriganten eine Qualitätskrise an, und eine EU-Verordnung droht Geigenbögen für illegal zu erklären. Vorstand Daniel Froschauer und Geschäftsführer Michael Bladerer bringen Licht in die Causen, ehe der Kanadier Yannik Nézet-Séguin zum Neujahrskonzert anreist.

Die Stadt Wien hat Ihnen soeben den Zuschuss von 250.000 Euro zum Sommernachtskonzert gestrichen. Ist damit dessen Bestand gefährdet?

Froschauer: Wir spielen dieses Konzert gratis für Millionen Menschen, die Musik lieben. Das nun bekannt gewordene Vorgehen der Stadt, die uns immer ein geschätzter Partner war, gefährdet die ganze Veranstaltung. Es wäre nett gewesen, wenn man uns wenigstens in die Überlegungen einbezogen hätte. Wir verstehen, dass die Stadt weniger Budget hat.

Bladerer: Selbstverständlich. Aber man muss auch bedenken, dass dieser Zuschuss nur einen Bruchteil der Kosten ausgemacht hat. Trotz unserer Sponsoren war uns immer ein riesiges Loch geblieben, das wir getragen haben, weil dieses Konzert wichtig ist. Wir machen damit Musik einem größtmöglichen Publikum bei freiem Eintritt zugänglich. Wir erreichen damit 80.000 Menschen vor Ort. Die Veranstaltungskosten sind enorm, allein für das Licht übersteigen sie wesentlich die bisherige Unterstützung der Stadt Wien. Dazu kommt der Auf- und Abbau der gigantischen Bühne, zwei Wochen lang mit Dutzenden Menschen, die Sound-Anlage, die immer teurere Security.

Froschauer: Das war ein gemeinsamer Weg mit der Politik, und die lässt uns jetzt allein. Dabei will ich gar nicht von der internationalen Breitenwirkung reden, von den weltweiten Fernsehbildern vom zweitmeist gesehenen Klassik-Konzert der Welt nach dem Neujahrskonzert. Auch nicht von den Menschen, die für das Konzert anreisen. Die Staatsoper hat mit dem Wirtschaftsbund eine Studie in Auftrag gegeben, aus der hervorgeht, dass ihre Steuern und Abgaben die Subvention komplett einspielen.

Steuert der Bund zum Sommernachtskonzert eigentlich etwas bei?

Bladerer: Bisher in der Größenordnung der Stadt Wien. Davon fällt jetzt ebenfalls ein Drittel weg.

Dass der Song Contest mit 22 städtischen Millionen ausgerichtet wird, gefällt Ihnen? Oder das Donauinselfest? Die Stadträtin gibt auch bekannt, die Festwochen nicht zu kürzen.

Bladerer: Das ist nicht unser Metier, dazu möchten wir nichts sagen. Es wäre vermessen, das zu kommentieren.

Dann wechseln wir das Thema. Im Sommer wurde von Bloggern, aber auch von ernstzunehmenden Medien plötzlich kampagnisiert, das Orchester sei nicht mehr konkurrenzfähig. Anlass war ausgerechnet ein Salzburger Festspielkonzert, dessen Dirigent über Nacht eingesprungen war. Entspricht das denn den guten Sitten?

Froschauer: Das können wir uns auch nicht erklären. Diese Äußerungen kamen von Leuten, die offenbar nicht wissen, wer die Wiener Philharmoniker sind und was sie ausmacht. Natürlich hat jeder seine künstlerischen Schwankungen. Wir haben gerade eine sehr erfolgreiche Asienreise mit Thielemann hinter uns, mit 16 Konzerten auf höchstem Niveau.

Woher dann die Angriffe? Wo doch soeben in der Neuen Zürcher stand, Ihr machtet euch die Weltspitze mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam aus?

Froschauer: Ich vermute, dass sich Leute wichtig machen wollen, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern.

Bladerer: Es ist natürlich auch eine Geschmacksfrage. Wenn zehn Leute ein und dasselbe Konzert hören, wird der eine sagen, er habe nie etwas Schöneres gehört, und der andere bemängelt, dass eine Geigenstelle nicht ganz beisammen war. Aber diese apodiktischen Behauptungen, es müsse etwas geschehen, weil wir am Abstieg wären, sind bloßer Unfug.

Es wurde auch moniert, Ihr müsstet dringend einen Chefdirigenten beschäftigen.

Froschauer: Das kommt wieder von Leuten, die nicht wissen, wie die Wiener Philharmoniker strukturiert sind. Unsere DNA lautet: kein Chefdirigent, Selbstverwaltung und die Symbiose mit der Staatsoper. Offenbar funktioniert es nicht so schlecht. Zu uns kommen die professionellen Manager, um sich Tipps in Problemlösung zu holen. Wir sind in der Pandemiezeit als einziges Orchester nach Asien geflogen und haben damit in Japan solchen Mut verbreitet, dass unter anderem deshalb die Olympischen Spiele nicht abgesagt wurden. Wir sind zu hundert im Orchestergraben der Salzburger Festspiele gesessen, als alle anderen zugesperrt waren. Und wer kann besser beurteilen als wir, welcher Dirigent zu uns passt?

Bladerer: Es mag für andere sicher auch Vorteile bringen, für die Detailarbeit einen Chefdirigenten zu haben. Wir haben unsere zehn Abo-Konzerte, im Idealfall mit den zehn besten Dirigenten der Welt, wo jeder seine Stärken und sein spezielles Repertoire einbringt. Wir wollen mit jedem unserer Dirigenten das Beste herausholen und profitieren davon enorm.

Ja aber, es muss doch „eine Frau“ her, wie bestimmte Spezialisten fordern. Auch ins Neujahrskonzert!

Froschauer: Ich will Musik machen, das ist für mich vordringlich. Schauen Sie sich den Kreis unserer Neujahrskonzertdirigenten an: der Chef von Chicago Symphony (Riccardo Muti, Anm.), der Chef der New Yorker Philharmoniker (Gustavo Dudamel, Anm.), der Chef in Cleveland (Franz Welser-Möst, Anm.). Wo sind denn die Frauen in diesen Positionen? Wenn eine Frau kommt, von der wir meinen, dass sie die Richtige ist – und das wird bald sein –, wird sie auch ein Neujahrskonzert dirigieren. Bladerer: Außerdem hat Mirga Gražinytė-Tyla bei uns ein gutes Abo dirigiert. Sie wird wiederkommen, wir haben schöne Pläne gemeinsam mit ihr. Aber speziell das Neujahrskonzert ist auch eine Frage der Zeit. Der Dirigierberuf ist ein Langstreckenprojekt, ein Marathon. Man braucht Zeit, um sich zu entwickeln.

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Das Neujahrskonzert im Wiener Musikverein wird weltweit in über 150 Länder via TV und Stream übertragen und von rund 50 Millionen Zuschauern verfolgt.

 © DIETER NAGL

Wie kommt denn jetzt Yannick Nézet-Séguin zu der besonderen Auszeichnung?

Froschauer: Unsere Beziehung hat begonnen, als wir beim russischen Einmarsch in die Ukraine in New York gesessen sind. Wir waren am Mittwoch abends gelandet, Donnerstagfrüh kam die Nachricht vom Krieg, und es war unmöglich, dass Gergiev das Gastspiel dirigiert. Wir hatten Freitag, Samstag und Sonntag drei schwere Programme. Muti war in Chicago und Welser-Möst in Cleveland unabkömmlich, da hat Nézet-Séguin zehn Minuten überlegt und dann alle drei Konzerte mit unverändertem Programm dirigiert, obwohl er als Chef der MET sechs Stunden täglich „Don Carlo“ geprobt hat.

Er hat die drei Konzerte souverän, mit eigener Handschrift geleitet. Die ganze Last war von uns abgefallen, und wir hatten einen neuen Dirigenten, zuerst für das Sommernachtskonzert, und dann haben wir nachgefragt, was er am 1. Jänner 2026 vorhat. Er hat sich sehr gefreut und hatte nur einen Herzenswunsch, ein Stück der amerikanischen Komponistin Florence Price …

Das hat der Dirigent hineininterveniert, nicht Frau Blimlinger von den Grünen?

Bladerer: Er hat gar nichts hineininterveniert, sondern er hatte einen persönlichen Wunsch, und der „Rainbow Waltz“ ist ein sehr schönes Stück.

Gilt das auch für das Stück von Josephine Weinlich von „Weinlich’s Damenorchester“ im aktuellen Programm?

Froschauer: Eine gute Speise braucht mehrere Gewürze, bis sie gelingt.

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Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin, 50, Musikchef der Metropolitan Opera, dirigiert am 1. Jänner das Neujahrskonzert.

Hört man richtig, dass es mit dem Holz von Geigenbogen bedrohliche Probleme seitens der EU gibt? Worum geht es denn da?

Bladerer: Um Fernambuk-Holz aus dem atlantischen Regenwald, aus dem alle unsere Bögen sind. Das wird in Brasilien zwar eigens dafür gezüchtet, aber die EU wollte es von Gefährdungsstufe zwei auf eins erhöhen. Das würde eine nicht mehr handhabbare Logistik erfordern, Amtswege bei jeder Reise, sonst könnte jederzeit ein Polizist auf die Bühne kommen und alle Bogen einsammeln. Das ist wie mit dem oft Hunderte Jahre alten Elfenbein, aus dem die Frösche und Kopfplatten der Bogen sind. Die wurden so oft geschreddert, dass sie heute durch Plastik ersetzt sind.

Kommt es nun tatsächlich zu dieser Verschärfung durch die EU?

Froschauer: Ich war in der Sache viel unterwegs, auch bei Frau von der Leyen, es haben auch befreundete Diplomaten und Kommissäre geholfen, die ein großes Netzwerk haben. Es scheint, als wäre das Problem gerade in Lösung begriffen.

Dennoch scheint es, als würden die Zeiten immer blödsinniger.

Bladerer: Sagen wir komplexer.

Merken Sie eigentlich die Folgen der Wirtschaftskrise? Kommen weniger Besucher? Hat der Ansturm auf die Musikvereins-Abos nachgelassen?

Bladerer: Die Warteliste beträgt zwölf Jahre, wenn Sie das als Nachlassen bezeichnen wollen.

Froschauer: Damit es nicht so weit kommt, haben wir ständig zehn der weltbesten Dirigenten. Es gibt etwa zehn bis 15, die für das Abo infrage kommen, und dieses Level müssen wir halten. Die Wirtschaftskrise werden wir trotzdem merken. Natürlich können sich die ganz reichen Leute immer leisten, ins Konzert zu gehen. Die Frage ist, ob es sich der Mittelstand nicht überlegt, wenn da wirklich spürbare Kürzungen kommen. Das heißt ja nicht, dass man gar nicht mehr ins Konzert oder in die Oper geht. Aber vielleicht einmal weniger, so wie es schon jetzt die Restaurants spüren?

Ist das identitätsstiftende Abo-Publikum denn nicht stark überaltert?

Froschauer: Es bewirbt sich ja kein Zwanzigjähriger, und wenn man mit 40 im Beruf gut Fuß gefasst hat, an ein Abo denkt und dann zwölf Jahre wartet, ist man auch schon 52. Das ist der ewige Kreislauf.

Lassen Sie uns auf die Weltlage kommen. Wie begegnen Sie denn dem Antisemitismus, der auch die Kunst zu erfassen beginnt?

Froschauer: Schön, dass Sie das fragen. Wir kommen gerade aus London, von Anita Lasker-Wallfisch, einer Überlebenden, die im Mädchenorchester von Auschwitz Cello gespielt hat. Dieser jährliche Austausch, an dem sie so viel Freude hat, ist für mich etwas ganz Großes, Besonderes, ein Jahreshöhepunkt. Und wenn Sie das Festival in Gent meinen, von dem man Lahav Shani hinausgeworfen hat, weil er Israeli ist …

Bladerer: … so kann ich nur sagen: Das ist grotesk, ungeheuerlich! Lahav Shani ist einer der allerfriedlichsten und freundlichsten Menschen, die ich kenne, er arbeitet mit dem West-Eastern Divan Orchestra, das für Völkerverständigung par excellence steht. So jemanden auszuladen, ist eine Unverschämtheit.

Froschauer: Wir sind für ein Abo mit ihm im Gespräch, wieder so ein Beispiel: Er ist Chef der Münchner Philharmoniker und von Israel Philharmonic, ist also seinen Weg gegangen und hat seine Qualität beglaubigt.

Musik soll vereinen! Unsere Konzerte sind Plätze des Schönen und der Harmonie

Daniel Froschauer

Wenn nun dieser verheerende Ukraine-Krieg endet: Kann Gergiev dann an Ihr Pult zurückkehren?

Froschauer: Das glaube ich nicht. Der Zug ist abgefahren, zu weit, um noch umkehren zu können. Wir haben schließlich auch Ukrainer im Orchester. Der Vater eines Kollegen lebt dort. Da kann ich nicht mit Gergiev kommen.

Gibt es denn eine Grenze, ab der Sie mit russischen Künstlern nicht mehr arbeiten?

Bladerer: Das kann man nur von Fall zu Fall sagen.

Aufrufe gegen Anna Netrebko …

Froschauer: … halte ich für unsinnig, abgesehen davon, dass sie uns das erste Sommernachtskonzert in meiner Vorstandschaft gerettet hat. Uns waren Sponsoren abgesprungen, und sie hat uns für eine lächerliche Gage einen Publikumsrekord verschafft. Sie ist eine tolle Frau, eine tolle Sängerin, eine tolle Künstlerin. Musik soll vereinen! Van Cliburn hat 1958, mitten im Kalten Krieg, den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewonnen, Isaac Stern war zur Mao-Zeit in China, und wenn wir dort spielen, spüren wir die Macht der Musik, so wie auch in Korea und Japan. Unsere Konzerte sind einfach Plätze des Schönen und der Harmonie.

Und wie beurteilen Sie die dauernden Angriffe auf den Salzburger Festspielintendanten Markus Hinterhäuser?

Froschauer: Er ist ein sehr, sehr guter Partner für uns. Wir würden uns nie gegen ihn wenden.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2025 erschienen.

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