Freier Fall, weiche Landung

Die ÖVP geht von schweren Verlusten bei der NÖ-Wahl aus. Schwacher Trost für Mikl-Leitner und Co.: Sie haben gute Chancen, eine Niederlage abzuschütteln und mächtig zu bleiben.

von Politische Analyse - Freier Fall, weiche Landung © Bild: Privat

Wenige Tage vor der niederösterreichischen Landtagswahl am 29. Jänner hat die Volkspartei von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) etwas eingestanden: Sie geht davon aus, dass sie wirklich stark verlieren und die FPÖ mit Spitzenkandidat Udo Landbauer so massiv gewinnen könnte, dass ihre Absolute in der Landesregierung dahin ist; und dass ein Führungswechsel nicht ganz ausgeschlossen ist. In einem Inserat ruft Mikl-Leitner daher auf, Landbauer eine klare Antwort zu erteilen: "Ade, Udo."

Das war eine Offenbarung: Sie setzt in ihrer Kampagne nicht mehr nur selbstbewusst auf eigene Stärken, sondern beginnt, namentlich vor einem Mitbewerber zu warnen, der ihr gefährlich werden könnte.

Hat sie das nötig? Es ist eine Frage der Mobilisierung. Mikl-Leitner muss zu allen Mitteln greifen, um zu verhindern, dass es gar so heftig kommt für die ÖVP, wie in Umfragen vorhergesagt. Laut OGM-Institut könnte sie von rund 50 auf 37 Prozent abstürzen. Doch nicht einmal dann wäre alles verloren für sie.

Die Volkspartei ist eine Überlebenskünstlerin, wenn es um Macht geht. Das zeigt sich schon am Wahlabend. Niemand versteht es so gut wie sie, Niederlagen vergessen zu machen. In Tirol hat sie im September fast zehn Prozentpunkte verloren und sich trotzdem als Siegerin feiern lassen, weil es weniger war, als Meinungsforscher prognostiziert hatten. Damit kann Mikl-Leitner nun auch in Niederösterreich spekulieren. Andererseits: Wenn es übler kommen würde, wäre sie angezählt.

Tiroler machen’s vor

In Tirol hat es sich die Volkspartei als Regierungspartei nicht groß verschlechtert. Im Gegenteil: Als Partner hat sie die Grünen, die ihr mit Ökothemen immer wieder zu weit gegangen sind, durch pflegeleichtere Sozialdemokraten ersetzt. Außerdem hat sie sich ein eigenes Ressort für etwas geschaffen, was ihr wichtig ist: Sicherheit. Jetzt geht das Leben weiter für sie, als wäre nichts geschehen.

In Niederösterreich könnte sich die ÖVP auch nach einer Bündnispartnerin umschauen müssen. Ihr Glück ist, dass sie sich eine solche aussuchen kann. Zwei Parteien werden nach der Wahl gute Gründe haben, sich dafür anzubieten: die SPÖ, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, und die FPÖ, um Gestaltungsfähigkeit demonstrieren zu können und sich so für größere Aufgaben nach der nächsten Nationalratswahl zu empfehlen.

Dass die beiden gemeinsame Sache gegen sie machen werden, ist eher unwahrscheinlich: Wenn drittplatzierte Rote den zweitplatzierten Landbauer zum Landeshauptmann machen, hat die gesamte Sozialdemokratie die Krise: Auf Bundesebene könnte sie sich kaum gegen die Unterstellung wehren, Herbert Kickl im Falle des Falles zum Kanzler zu machen, nur um Türkise zu stürzen. Damit hätte sie bereits einen größeren Teil ihrer Anhänger verloren.

Zahl

Doskozil empfiehlt sich

Wenn es für die SPÖ so weiterläuft, wird sie durchgereicht: In Umfragen für eine Nationalratswahl lag sie in den vergangenen Monaten vorne. Jetzt aber ist sie hinter die FPÖ zurückgefallen und kommt der ÖVP nahe, die sich auf Platz drei stabilisiert hat. "Das sind lediglich Momentaufnahmen", mögen Parteifunktionäre einwenden. Das ist jedoch falsch: Es ist mehr.

Am Sonntag muss die niederösterreichische SPÖ froh sein, wenn sie nicht verliert. Erhebungen legen den Schluss nahe, dass sie vom Einbruch der Türkisen, die es im Land vorziehen, blau-gelb zu sein, kaum profitiert. Das ist schon in Tirol so gewesen. Bei der dortigen Landtagswahl verlor die ÖVP fast zehn Prozentpunkte und die SPÖ konnte nur 0,2 zulegen.

Schlimmer noch verhält es sich für die SPÖ in Bezug auf die Freiheitlichen, die ihr über die Jahre immer wieder Stimmen abgenommen haben: Es kommt wenig zurück. Das war vor zwei Jahren in Oberösterreich so (FPÖ minus 10,6 Prozentpunkte, SPÖ plus 0,2) und vor drei Jahren in Wien (FPÖ minus 23,7, SPÖ plus zwei).

Signal an Linke in der SPÖ

Groß gewonnen hat die Sozialdemokratie seit der letzten Nationalratswahl nur einmal: 2020 eroberte sie unter Führung von Landeshauptmann Hans Peter Doskozil die absolute Mehrheit im burgenländischen Landtag. Für seinen Kollegen Peter Kaiser wird es beim Urnengang in Kärnten Anfang März schwer, Ähnliches zu liefern. Sollte er damit scheitern, wird es eng für Pamela Rendi-Wagner an der Bundesparteispitze. Dann kann Doskozil erst recht behaupten, zu wissen, wie’s geht, und sich als Spitzenkandidat empfehlen.

Aufhorchen ließ der Burgenländer zuletzt mit seiner Forderung, Rot-Pink-Grün anzustreben. Das widerspricht Erwartungen, wonach es mit ihm auf eine Mitte-rechts-Koalition hinauslaufen würde. Es gilt jedoch als Signal an Linke, die ihn ablehnen – er umwirbt sie.

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Bericht

Frustrierend für Van der Bellen

Schon die erste Amtszeit ist für Bundespräsident Alexander Van der Bellen fordernd gewesen. Zur Erinnerung: Im Zuge der Ibiza-Affäre flogen die Freiheitlichen 2019 aus der Regierung, er musste eine Übergangsregierung organisieren. In jener Zeit schloss er aus, Herbert Kickl (FPÖ) nochmals als Innenminister anzugeloben. In der nun beginnenden zweiten Amtszeit könnte es umso heftiger kommen: Kickl hat Chancen, als Chef der stärksten Partei aus der nächsten Nationalratswahl hervorzugehen. Dann würde er wohl den Anspruch erheben, eine Regierung bilden und führen zu dürfen. Sollte er eine parlamentarische Mehrheit dafür finden, wird sich Van der Bellen schwer querlegen können.

Für den ehemaligen Grünen-Chef ist das frustrierend. Dass die Freiheitlichen wieder vorne liegen, hat auch damit zu tun, dass ihnen bei Themen, die einer Masse wichtig sind, niemand etwas entgegenzusetzen hat. Er selbst hat es geschafft. Sonst wäre er nicht bei Präsidentschaftswahlen auf mehr als 50 Prozent gekommen.

Der 79-Jährige hat den "Heimat"-Begriff entstaubt und in Blasmusikbegleitung seine Verbundenheit mit dem Tiroler Kaunertal betont. Für den Umgang mit Geflüchteten fordert er Würde und die Beachtung von Gesetzen. Rechts der Mitte ist das bei Weitem nicht allen genug. In einer bürgerlichen Mitte stieß Van der Bellen damit aber auf so viel Zuspruch, dass er sich 2016 etwa in Stichwahlen gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer durchsetzte. Er könnte Roten wie Türkisen ein Vorbild sein, wird von diesen jedoch ignoriert.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at