AMS-Chef Johannes Kopf: "Es gibt, Verzeihung, auch unattraktive Jobs"

Hunderttausende Arbeitskräfte könnten bis 2040 fehlen, schlägt die Wirtschaft Alarm. AMS-Chef Johannes Kopf erklärt, was passieren muss, damit Jobs besetzt werden können. Ein wichtiger Punkt dabei: Unternehmen müssen lernen, um Mitarbeiter zu werben. Und: Der Staat muss viel mehr Geld für Bildung ausgeben. "Würde man dem AMS-Budget 100 Millionen Euro wegnehmen und in Kindergärten und Volksschulen geben, wäre das langfristig besser investiert", sagt Kopf.

von AMS-Chef Johannes Kopf im Interview © Bild: News/Matt Observe

Die Wirtschaft klagt regelmäßig, dass ihr Fachkräfte fehlen. Eine Studie der Wirtschaftskammer besagt, dass es 2040 – ohne Gegenmaßnahmen – 570.000 offene Stellen geben könnte. Zudem schlägt die Demografie zu: Laut Statistik Austria gibt es 2040 240.000 weniger 20- bis 65-Jährige als heute. Wie soll sich das ausgehen?
Nicht durch eine singuläre Maßnahme, aber mit einem Bündel an Maßnahmen schon. Man darf nicht vergessen, wir sind immer noch ein wachsendes Land. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern haben wir ein wachsendes Arbeitskräfteangebot. Zwischen 2010 und 2019 sind eine halbe Million Menschen neu in den Arbeitsmarkt gekommen: 400.000 aus dem Ausland, meist aus der EU und Geflüchtete, rund 100.000 aus dem Inland. Aber auch bei uns wirkt die Demografie, wir haben mehr 65-Jährige als 15-Jährige. 2021 war das erste Jahr, wo die Zahl der Inländer am Arbeitsmarkt um 25.000 gesunken ist. Das war auch das erste Jahr, wo geschrien wurde: Arbeitskräftemangel. Doch es gibt etwas, was uns hilft.

Was denn?
Vor mehr als 30 Jahren hat der Verfassungsgerichtshof gesagt, dass das unterschiedliche Pensionsalter für Frauen und Männer verfassungswidrig ist. Der Nationalrat hat daraufhin ein Verfassungsgesetz beschlossen, dass die fünf Jahre Unterschied bleiben und zwar für weitere 35 Jahre. Diese 35 Jahre sind jetzt um. Zu einem Zeitpunkt, der gar nicht schlecht ist. Es ist ein Riesenglück, dass das damals beschlossen wurde. Der durchschnittliche Wähler heute ist 50 Jahre alt und denkt an die Pension. Heute hätte niemand die politische Courage, das durchzusetzen. Da würden womöglich Ziegelsteine fliegen, wie in Frankreich.

Ein Zufallstreffer, oder hat man die Demografie bedacht?
Ich würde sagen, das war ein Zeitraum, wo jeder der damals Beteiligten gewusst hat, er muss das nicht mehr verantworten. Ich habe die Protokolle gelesen, die Frage der Demografie hatte sich nicht gestellt. Man dachte, dass bis dahin bei der Gleichstellung von Männern und Frauen mehr erreicht sein würde. Heute wissen wir, das ist leider nicht in der erhofften Geschwindigkeit gegangen: Den Gender-Pay-Gap gibt es immer noch.

Doch der Effekt ist, es sind mehr Frauen länger im Arbeitsmarkt.
Und das führt dazu, dass der demografische Effekt stark gebremst wird. Zusätzlich haben wir Zuwanderung, das ist eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort. In Osteuropa und etlichen Ländern Westeuropas reduziert sich das Arbeitskräfteangebot. Bei uns steigt es. Auch durch die Versäumnisse der Vergangenheit. Wir haben Spielraum durch das Pensionsrecht. Wir haben aber auch Spielraum bei der Kinderbetreuung. Andere Länder haben den nicht, denn die haben ja schon Ganztageskinderbetreuung.

Ironischerweise ist es also fast ein Glück, dass bei uns nichts weitergegangen ist?
Die Versäumnisse der Vergangenheit nützen jetzt, sozusagen. Zudem ist das Lohnniveau in Österreich für Zuwanderer interessant. Es kommen jedes Jahr 30.000 EU-Bürger zu uns, darunter bis zu 4.000 Deutsche. Die kommen, weil wir, etwa im Tourismus, ein höheres Lohnniveau haben. Daher gehen Ostdeutsche nicht nach Bayern, sondern gleich nach Tirol. Viele bleiben nach dem Studium hier. Das ist eine Entlastung für den Arbeitsmarkt.

AMS-Chef Johannes Kopf im Interview
© News/Matt Observe
Der Wiener hat Rechtswissenschaften und danach bei der Industriellenvereinigung als Referent für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gearbeitet. Von dort wechselte er in das Kabinett des damaligen Wirtschaftsministers Martin Bartenstein und war im Verwaltungsrat des AMS. Seit 2006 ist er im Vorstand des AMS. In seiner Freizeit ist Kopf immer wieder als DJ aktiv.

Haben wir auch genug qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten?
Nein, haben wir nicht. Bei den Bemühungen, Fachkräfte zu uns zu holen, haben wir einen ganz schweren Stand. Wir sind zwar attraktiv, aber ganz ehrlich: Niemand kennt uns in Südostasien. Der Witz mit den Kängurus in Austria oder Australien hat einen wahren Kern.

Wir stehen beim Werben um diese Arbeitskräfte in Konkurrenz mit Deutschland, Japan und den USA. Die Deutschen verwenden Entwicklungshilfegelder, um Schulen zu bauen, wo sie dann, staatsvertraglich festgelegt, die Hälfte der Absolventen ansprechen, nach Deutschland zu kommen. Wir stehen mit einem Taferl auf einer Messe und sagen, es ist "so beautiful in Austria". Wenn sich mehrere kleine europäische Länder zu einer Dachmarke zusammenschließen würden, hätten wir bessere Chancen beim Anwerben von Fachkräften.

3 FRAGEN

Drei Fehler, die Unternehmen bei der Mitarbeitersuche machen?
Unternehmen suchen zu formalistisch, z. B. einen Maschinenschlosser, anstatt zu überlegen, welche Kompetenzen sie brauchen. Das Zweite ist: In einem Arbeitnehmermarkt muss sich die Firma bewegen und nicht der Bewerber. Ein Jobinserat muss gestaltet sein wie Werbung für einen Kunden. Da fehlt vielen das Know-how. Kaum eine Firma führt Austrittsgespräche. Wenn die nicht wissen wollen, warum Leute gehen, wie sollen sie dann etwas ändern? Betriebe, die Mitarbeiter suchen, schauen oft nicht nach innen. Vielleicht könnten sie jemand höher qualifizieren. Das erhöht auch die Motivation in der Belegschaft.

Drei Fragen, die Sie einem Arbeitslosen stellen würden?
Warum sind Sie arbeitslos geworden? Denn das beschäftigt die Leute meist noch. Was soll dein nächster Job können? Wo siehst du dich in drei, vier, fünf Jahren?

Wie viele DJs hat das AMS 2023 vermittelt?
Voriges Jahr haben fünf Firmen einen DJ gesucht. Heuer schon eine. Und wir hatten 27 arbeitslos vorgemerkte DJs. Manche von ihnen finden selbst etwas. Oder sie wechseln die Branche. Das ist ein sehr kleiner Markt.

Also mehr Zuwanderung und mehr Frauen am Arbeitsmarkt – es geht in die richtige Richtung?
Wir brauchen eindeutig ein Anheben der Frauenbeschäftigung. Da geht es nicht nur um die Quote, also ob Frauen überhaupt arbeiten, sondern um die Stunden. Daher brauchen wir flächendeckend Ganztageskinderbetreuung. Und zwar ganzjährig. Zehn Prozent der Kindergärten haben immer noch mehr als 51 Schließtage. Das finde ich ja besonders komisch, denn das geht sich nicht einmal aus, wenn die beiden Elternteile von ihren je 25 Urlaubstagen gar keinen miteinander verbringen.

Das Kindergartenthema hört man mittlerweile seit Jahrzehnten. Täglich grüßt das Murmeltier.
Aber jetzt verbessert es sich wirklich. Als es um Frauenpolitik oder Armutsbekämpfung gegangen ist, ist nichts weitergegangen. Jetzt, wo es um den Arbeitskräftemangel geht, bewegt sich etwas.

»Es muss Kinderbetreuung geben, weil sonst entscheidet der Staat und nicht die Familie«

Zuvor hat die ÖVP aus Weltanschauungsgründen gebremst. Das konservative Familienbild in Österreich kommt noch dazu.
Ich treffe immer wieder Menschen, die meinen, es sei schlecht, wenn Kinder fremdbetreut werden. Da sage ich immer: Wollen Sie, dass diese Entscheidung in der Familie getroffen wird? Ja? Dann muss es Kinderbetreuung geben, weil sonst entscheidet der Staat und nicht die Familie. Das versteht jeder. Zum Argument der Bürgermeister, es gebe keinen Bedarf für einen Ganztagskindergarten: Der Bedarf entsteht erst mit dem Angebot. Da gab es schon so manche Überraschung in Gemeinden, wenn nach anfänglich zwei, drei Kindern in einer Gruppe auf einmal zwei Kindergartengruppen am Nachmittag gefüllt waren.

Welche Maßnahmen braucht es sonst noch?
Wir haben genug arbeitslose Personen. Die sind aber so, dass der Betrieb sie nicht sucht. Weil sie älter sind oder langzeitarbeitslos und so weiter. Wir haben eine Studie gemacht, wo wir in den Bereichen Lebensmittelhandel und Elektroinstallation 800 erfundene Bewerbungen verschickt haben. 32-jährige und 52-jährige Kandidaten. Da wurde klar, dass 52-Jährige aufgrund des Alters diskriminiert werden. Das war nicht mit der Lohnhöhe argumentierbar, denn beide hatten die sieben Jahre Vordienstzeiten, die in diesen Bereichen angerechnet werden.

Das heißt, die Wirtschaft, die beklagt, dass die Menschen nicht lange genug arbeiten, will gar keine älteren Arbeitskräfte?
Ich vermute, die Firmen diskriminieren unbewusst. Das ist einfach in uns drinnen: Wer weiß, wie lange der bleibt oder wie viel der krank ist? Das gibt es auch bei anderen Gruppen: Es ist immer schwierig, einer Firma den ersten Mitarbeiter mit Behinderung zu vermitteln, danach sind sie völlig offen. Oder: Der erste Afghane in einem Betrieb. Betet der zu Mittag? Gibt es dann Konflikte? Und so weiter. Der zweite Afghane geht dann ganz leicht. Ein anderes Thema ergibt sich mit dem steigenden Frauenpensionsalter. Da gibt es Firmen, die sagen, eine 60-Jährige ist jetzt nicht die Lösung.

Das steigende Pensionsalter ist also doch kein Vorteil?
Ich sage den Unternehmen immer, die 60-Jährige bekommen sie ohnehin nicht. Die bleibt einfach länger in ihrer Firma. Aber sie bekommen die Wiedereinsteigerin nach der Karenz, die die 60-Jährige früher ersetzt hätte. Das heißt aber auch, dass Firmen beim Recruiting anders denken müssen.

Und zwar wie?
Sie können keine Vollzeitstelle ausschreiben. Es braucht Arbeitszeiten, die mit der Kinderbetreuung vereinbar sind, das Angebot von Homeoffice etc. Das erfordert ein Know-how in der Personalabteilung, das viele Firmen noch nicht haben. Unter anderem deshalb, weil es früher für sie ganz einfach war, Personal zu bekommen. Wir beraten im Moment intensiv Unternehmen, wie sie die Arbeitgeberattraktivität erhöhen. Das können ganz simple Dinge sein. Mitarbeiter in einem Restaurant hat gestört, dass sie den Dienstplan immer erst am Freitag für die nächste Woche erfahren. Das kann man umstellen. 90 Prozent fixe Dienste, für ein halbes Jahr geplant, zehn Prozent flexibel, wenn die Leute gebraucht werden.

»Früher hast du überlegt, wie du aus 100 Bewerbungen zehn herausfilterst. Heute hast du drei«

Das heißt, Branchen, die über Arbeitskräftemangel klagen, sind auch selbst schuld?
Oft ist es einfach Unwissenheit. Früher hast du einen Job ausgeschrieben und hast überlegt, wie du aus 100 Bewerbungen zehn herausfilterst. Heute hast du drei Bewerbungen. Da hat sich der Arbeitsmarkt komplett geändert. Früher war Arbeitszeitflexibilisierung ein Kampfbegriff von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung für den 12-Stunden-Tag. Wenn wir heute von flexiblen Arbeitszeiten reden, meinen wir: Sabbatical, Papamonat, Elternteilzeit, Homeoffice, Vier-Tage-Woche. Wenn man als Unternehmen für Arbeitnehmer attraktiver wird, erhöht das zwar nicht die Zahl der Fachkräfte am Markt. Aber sie haben im Wettbewerb um diese Arbeitskräfte eine bessere Position.

Lernen Jugendliche in der Schule das Richtige für den Arbeitsmarkt von morgen?
Im Bildungssystem haben wir schon ein Thema: Wir haben bei Personen mit Pflichtschulabschluss eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent, bei Personen mit Lehre sechs Prozent. Wenn man einen Arbeitskräftemangel hat, muss man mehr Geld in Kindergärten und Volksschulen investieren, damit im Idealfall kaum jemand herauskommt, der nur den Pflichtschulabschluss erreicht.

Laut Prognose wird es 2040 um 250.000 weniger Menschen mit Lehre geben, dafür 300.000 mehr Akademiker. Geht das in die richtige Richtung?
Das ist ein Problem für die produzierende Industrie, aber noch kein Problem für den Arbeitsmarkt. Das AMS ist wahrscheinlich jene Institution, die am meisten Geld für Forschung zu den Qualifikationen der Zukunft ausgibt. Wir wissen ganz gut, was wir in den nächsten fünf Jahren brauchen. Wir kennen die großen Trends: IT und Pflege. Aber was man in zehn Jahren braucht, wissen wir nicht. Niemand hat vor Jahren prognostiziert, dass wegen der Smartphones und Tablets App-Entwickler fehlen werden.

Weil man das eben nicht vorhersagen kann, müssen wir sowieso die ganze Zeit etwas Neues lernen. Und da kann man sagen: Gebildetere Menschen lernen leichter. Selbst jemand, der Altgriechisch studiert hat, hat bessere Chancen, als jemand, der nicht studiert hat, weil sein Hirn trainiert ist. Das heißt, es gibt einen Trost: Selbst wenn unsere Kinder in der Schule immer noch das Gleiche lernen wie vor 100 Jahren, wird das Hirn trainiert.

Und wenn Kinder nach der Pflichtschule nicht einmal das Nötigste können? Was wird aus ihnen? Viele Hilfsjobs, die es früher gab, sind wegrationalisiert.
Über die Jahrzehnte hatten Menschen mit Pflichtschulabschluss immer die höchste Arbeitslosenquote. Sie hat sich verschlechtert, obwohl wir weit weniger Unqualifizierte haben als früher. Früher konnten wir einen Lagerarbeiter vermitteln, wenn er stark war. Heute muss er Lagerlogistiksoftware kennen, einen Staplerschein haben und vielleicht auch noch Englisch können. Die Jobs für Menschen mit sehr geringen Qualifikationen sind weg. Durch Automatisierung oder durch Verlagerung ins Ausland. Die Menschen, die besser in der Schule waren, gehen heute in die Lehre. Aber sie sind schwächer als früher, während die Anforderungen durch die Digitalisierung gestiegen sind. Die Guten gehen weiter in höhere Schulen. Wir müssen eine Marketingaktion für die Lehre nach der Matura entwickeln, im Sinne einer Super-Lehre. Die Fachkraft von morgen hat eine gute Allgemeinbildung als Basis für lebenslanges Lernen und darauf aufbauend eine fachliche Spezialisierung.

Wo bleiben jene Jugendlichen, die heute in die Lehre gehen, wenn sie für Maturanten attraktiver werden soll?
Aus meiner Sicht müssen wir so viel in den Kindergarten und in die Volksschule investieren, dass die Menge an Personen, die wirklich wenig können, so niedrig ist, dass wir für sie Jobs haben. Derzeit haben wir ein Thema mit der Migration. Wenn Jugendliche erst mit 14 nachkommen oder Mädchen, die in Afghanistan nicht in die Schule gehen dürfen, ist es schwierig. Zudem wird Bildung immer noch vererbt.

Was kann man dagegen tun?
Eigentlich ist es simpel. Wenn Eltern ihren Kindern nicht die gleichen Chancen geben können, wie zum Beispiel meine Frau und ich als Akademiker unseren Kindern, wer soll es dann tun, wenn nicht der Staat? Wir brauchen supertolle Frühförderung im Kindergarten. Und selbstverständlich brauchen Schulen, die mehr migrantische Kinder haben – oder mehr Kinder, deren Eltern nur Pflichtschule haben – mehr Geld. Ich sage es ganz direkt: Würde man dem AMS aus unserem Budget 100 Millionen Euro wegnehmen und in Kindergärten und Volksschulen geben, wäre das langfristig besser investiert. Denn es kommen dann später weniger von den Kindern zu uns.

Und das scheitert am politischen Willen?
Scheitern klingt zu brutal. Aber man kann es besser machen.

Im Büro des AMS-Chefs Johannes Kopf.
© News/Matt Observe
»Irgendwann wird man darüber reden müssen, über den 65. Geburtstag hinaus zu arbeiten«

Um also zum Fachkräftemangel zurückzukommen …
… da gibt es, wie man sieht, keine triviale Lösung, sondern wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen. Irgendwann wird man auch darüber reden müssen, über den 65. Geburtstag hinaus zu arbeiten. Und es braucht fantasievolle Ansätze: Beim Pflegebereich etwa könnte man heute eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in fünf Jahren versprechen. Dann würden jene, die schon da arbeiten, eher bleiben, weil es sozusagen die Karotte vor der Nase gibt. Und es wäre attraktiv für jene, die neu anfangen. Gleichzeitig müsste man die größte Ausbildungsinitiative starten – heute gibt es ja einen Mangel an Ausbildungsplätzen.

Wird in Wahljahren mehr Populismus und Polemik auf dem Rücken von Arbeitslosen betrieben?
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit passiert das weniger. Denn da kennt jeder jemanden, der wirklich nichts findet. Es kennt aber natürlich auch jeder jemanden, der angeblich nur auf dem Tennisplatz ist. In Zeiten eines Arbeitskräftemangels, wie wir ihn jetzt sehen, werden diese Stimmen lauter. "Die wollen eh nicht. Die wollen nur den Stempel. Wer wirklich will, findet auch was."

Und ist das so?
Mir gefällt es immer, wenn mir Unternehmen sagen: "Der will nicht arbeiten." Ich frage dann immer, woher wissen Sie das? Nur weil er Ihren Job nicht will, heißt das nicht, dass der gar nicht arbeiten will. Wenn ich unterstelle, dass alle nicht arbeiten wollen, nehme ich mir außerdem ja die Handlungsoption, dass ich irgendetwas an dem Job ändern könnte.

Ihn also attraktiver machen.
Es gibt, Verzeihung, auch unattraktive Jobs. Ich erinnere mich an die Geschichte eines Hüttenwirts, der geklagt hat, dass er keine Mitarbeiter bekommt. Das war eine Hütte hoch in den Bergen, eine Stunde zu Fuß von der Seilbahn entfernt. Wenn das Wetter umschlägt, kommt man von dort nicht einmal nach Hause. Dazu noch eine Sechs-Tage-Woche. Das ist nur etwas für einen romantischen Abenteurer.

Welche Jobs landen gar nicht beim AMS?
Wir haben einen Einschaltgrad von 50 Prozent, Tendenz steigend. Das wäre ein Tipp an Unternehmen, die keine Mitarbeiter finden: Melden Sie die Stelle beim AMS. Bei Lehrlingen haben wir einen Einschaltgrad von 85 Prozent, bei Hilfskräften 60, bei Akademikern unter zehn Prozent, weil diese Leute kaum arbeitslos sind. Auch CEO-Positionen werden kaum über das AMS vermittelt.

Null Arbeitslosigkeit kann es nicht geben. Aber was wäre das Ideal, das man erreichen kann?
Die meisten Arbeitssuchenden sind in einer sogenannten friktionellen Arbeitslosigkeit, also einer Jobwechsel-Arbeitslosigkeit. Heute dauerte das durchschnittliche Dienstverhältnis, das beendet wurde, zwei Jahre – das heißt, das passiert relativ oft. Diese Jobwechsel-Arbeitslosigkeit wird es immer geben. Von Vollbeschäftigung spricht man bei drei bis vier Prozent Arbeitslosenrate.

Und wann wäre die angesichts der jetzigen Krisen erreichbar? Im März ist die Arbeitslosenquote auf 6,9 Prozent gestiegen.
Die Demografie und die Arbeitszeitverkürzung helfen, wenn man nur auf die Arbeitslosenzahlen schaut. Aber wir sind ja auch für die Besetzung offener Stellen zuständig. Aber, und ich sage das nicht anklagend, die Wirtschaftsprognosen seit 2019 waren – verständlicherweise – so falsch, dass praktisch alle Prognosen fürs nächste Jahr falsch waren. Wie soll ich Ihnen also sagen, wie sich der Arbeitsmarkt auf Jahre entwickelt?

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2024 erschienen.