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Reinhard K. Sprenger: „Andere Menschen sind nicht auf der Welt, es uns recht zu machen“

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8 min
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Reinhard K. Sprenger

©Stefan Thomas Kröger

Erwartungen – sie prägen unser Denken, lenken unser Handeln und sind oft genug der Stoff, aus dem Konflikte entstehen: im Job, im Urlaub. In der Politik und in der Beziehung. Managementexperte Reinhard K. Sprenger erklärt, warum wir sie hinterfragen sollten.

Sie sagen, Menschen neigen dazu, individuelle Erfahrungen zu generalisieren und als Erwartungen anderen Menschen überzustülpen. Warum ist das so? Und was hat das für Folgen?

Alle biologischen und sozialen Systeme wollen überleben. Auch wer unser Gespräch hier liest, hat überlebt. Er hat im Laufe seines Lebens Erfahrungen gemacht, die er als Erfolgsgeschichten sammelt und in seinem inneren Museum abspeichert: Aha, so funktioniert die Welt! Das kann man „Rechthaben“ nennen. Rechthaben ist aber eine Sehschwäche, die die Mehrdeutigkeit der Welt verneint. Es ignoriert alles Individuelle und Standortgebundene. Und ob die eigenen Erfolgsrezepte auch in der Zukunft funktionieren, ist auch mehr als fraglich. Wenn jemand dann seine Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert, nennt man sie Erwartungen. Das Drama beginnt also erst, wenn wir glauben, dass unsere Weise des Überlebens unter allen Umständen und für alle anderen Menschen funktioniert. Deshalb sind Konflikte Erwartungsdifferenzen.

Sind andere dazu da, unsere Erwartungen zu erfüllen? Oder eher nicht?

Ja und nein. Wir können als Gesellschaft nicht zusammenleben, wenn wir nicht ein Set an Üblichkeiten respektieren. Wir können ja nicht mit jedem Autofahrer verhandeln, ob wir nun rechts oder links vorbeifahren. In der Partnerschaft, in der Familie oder am Arbeitsplatz sind wir hingegen gut beraten, unsere Erwartungen nicht für selbstverständlich zu halten. Und dass andere Menschen nicht auf der Welt sind, es uns recht zu machen.

Warum ist es dennoch wichtig, seine Erwartungen auszusprechen?

Weil nur sehr wenig zwischen Menschen selbstverständlich ist, und zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen noch weniger. Vieles versteht sich nicht mehr „von selbst“, muss vielmehr neu ausgehandelt werden. Wir sollten uns deshalb die Mühe machen, Erwartungen auszusprechen. Das ist aktive Konfliktprophylaxe.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Konflikte sind Schatztruhen der Selbsterkenntnis. Wir können Ärger dafür nutzen, uns bewusst zu machen, dass hinter jedem Ärger eine enttäuschte Erwartung steckt. Erst der äußere Anstoß des Nicht-Erfüllens macht sie uns bewusst. Deshalb kommen sie meist als Vorwürfe zur Welt. Was das Aussprechen in der Praxis angeht, da gibt es keine goldene Regel. Es ist aber klug, Erwartungen häufiger auszusprechen, als wir es meistens tun. Das macht die Zusammenarbeit in der Regel konfliktfreier. Und es gibt dem anderen die faire Möglichkeit, zu entscheiden, ob er unseren Erwartungen entsprechen will. Ich habe bei Auswahlverfahren die Bewerber oft gebeten, ihre Erwartungen an unsere Zusammenarbeit in drei Punkten zusammenzufassen. Ich habe das dann auch getan. So wussten wir voneinander, wo die Tretminen lagen.

Wer pessimistische Erwartungen hegt, kann die schönsten Enttäuschungen erleben

Reinhard K. Sprenger

Warum glauben wir, dass andere wissen, was wir von ihnen erwarten?

Vor dem Hintergrund von generalisierten Erfahrungen entwickeln wir Erwartungs-Erwartungen. Wir gehen davon aus, dass, wenn wir in einer spezifischen Situation etwas erwarten, die anderen es auch tun. Aber das ist oft trügerisch. Wir sollten deshalb den anderen fragen, ob er tatsächlich etwas erwartet. Oft stellt sich unsere Spekulation als irrig heraus.

Welche Rolle spielen Erwartungen im beruflichen Kontext?

Erwartungen sind so omnipräsent, dass man Mühe hat, etwas ohne sie zu denken. Mutig könnte man sagen: Die Welt ist alles, was in Bezug auf unsere Erwartungen der Fall ist. Nehmen wir beispielsweise Preise für Waren: Ob wir etwas als teuer oder billig erleben, hängt ab von unseren Preiserwartungen. Besonders problematisch ist gegenwärtig, dass wir eine positive Zukunftserwartung verloren haben. Die Verluste mehren sich, weil die Erwartungen in unserer Anspruchsgesellschaft gewachsen sind.

Führt das völlige Loslassen von Erwartungen zu Gleichgültigkeit?

Selbstverständlich kommen wir nicht ohne Erwartungen aus. Aber wir sollten über die Option verfügen, Erwartungen auch fallen zu lassen – Erwartungen an andere, Erwartungen an sich selbst. Wenn sich ein Mensch selbst glücklich machen will, dann ist er dazu in der Lage. Denn Erwartungen heißen ja Erwartungen, weil sie mit Warten zu tun haben. Damit gibt man anderen Menschen viel Macht über sich. Wenn andere das tun, was wir erwarten, geht es uns gut. Falls nicht, schlecht. Keine besonders intelligente Art, das Leben zu führen.

Wie lassen sich Enttäuschungen vermeiden?

Enttäuschungen lassen sich nicht vermeiden. Aber je höher unsere Erwartungen sind, desto anfälliger sind wir für Enttäuschungen. Früh enttäuscht zu werden, hat den Vorteil, dass wir uns nicht mehr täuschen, weil Enttäuschung das Ende der Täuschung ist. Hoffnung trübt da den Blick. Wer hingegen pessimistische Erwartungen hegt, kann die schönsten Enttäuschungen erleben.

Warum fordern Menschen oft von Politikern oder Führungspersönlichkeiten mehr, als sie selbst bereit sind zu leisten?

Weil die Privilegien, die mit Elitepositionen verbundenen sind, sie dazu berechtigen. Es ist der Preis des Höhergestelltseins, sich verhauen zu lassen. Aber die Führenden machen ihren Job ja freiwillig, man hat sie nicht mit dem Lasso eingefangen.

Wie hat sich der gesellschaftliche Umgang mit Erwartungen durch soziale Medien verändert?

Die Menschen verfügen durch die Medien über die geradezu suizidale Möglichkeit des permanenten Direktvergleichs. Das gilt im Privaten, wo die Selbstoptimierungsenergie überschießt, das gilt im Weltmaßstab, wo Menschen Lebensumstände in anderen Ländern betrachten können, die sie besser nie gesehen hätten. Der Tod jeden Glücks ist der Vergleich.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.

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