AUT of ORDA - Die Supergruppe

Christopher Seiler, Paul Pizzera und Daniel Fellner prägen seit zehn Jahren die heimische Musikszene. Ihr Talent zündet in den Bands Seiler und Speer, Pizzera & Jaus sowie drei weiteren Formationen. Am spannendsten ist ihr gemeinsames Projekt AUT of ORDA, mit dem sich das Trio eine Bissigkeit erlaubt, wie Österreich sie seit Jahrzehnten nicht gehört hat

von AUT of ORDA © Bild: Lukas Beck

Es mutet absurd an, den offiziellen ÖFB-Song zur Fußball-Europameisterschaft 2024 auf der Erinnerung an eine Null-zu-neun-Niederlage gegen Spanien aufzusetzen. Die Band AUT of ORDA hat Spaß an Absurdem. Aus dem legendären Zitat von Nationalspieler Toni Pfeffer aus dem Jahr 1999, „Hoch wer ma’s nimmer gwinnen“, machte sie eine Hymne mit Herz für die fragile heimische Fußballseele: jede ein Teamchef, kindlich in ihrer Begeisterung und leicht ang’rührt bei Niederlagen.

Im Video zum ÖFB-Lied trägt die Band Vokuhila-Perücken als Fußballer-Persiflage; auch Teamchef Ralf Rangnick, David Alaba und Konrad Laimer spielten mit – ohne Perücken. Zum Erscheinen des Debütalbums der Band („Das Empörium schlägt zurück“) schickte Rangnick ein Gratulationsvideo samt Kaufempfehlung.

Es geht sich einiges aus mit gemeinsam neun Platinauszeichnungen für knapp 500.000 verkaufte Alben und Singles im Rücken. Christopher Seiler, 37, erspielte sich den Erfolg im Duo Seiler und Speer mit Bernhard Speer. Daniel Fellner, 35, ist bei den beiden als Musikproduzent, Tontechniker und Gitarrist mit von der Partie. Paul Pizzera, 35, prägte mit Otto Jaus als Duo Pizzera & Jaus die Musikszene. Dann hatten alle drei Lust auf Neues.

SUPERGROUP, DIE

Eine Supergroup (deutsch „Supergruppe“; von lateinisch-englisch super, „über“, „(noch) mehr“) ist eine Band oder Musikerformation, deren Mitglieder zuvor bereits als Solisten oder Mitglieder in einer anderen Formation bekannt wurden (nach Alexander Hopkins McDannald, „The Americana annual: an encyclopedia of current events“, 2000).

Die Wortschöpfung „Supergroup“ wird Jann Wenner, Herausgeber des „Rolling Stone“-Magazins, zugeschrieben, der die 1966 gegründete Band Cream, bestehend aus Eric Clapton, Jack Bruce und Ginger Baker, so beschrieb. Weitere Beispiele sind Crosby, Stills & Nash (ab 1968, David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash, phasenweise auch Neil Young), die Traveling Wilburys (ab 1988, George Harrison, Jeff Lynne, Baby Dylan, Roy Orbison, Tom Petty) oder die Hollywood Vampires (ab 2015, Alice Cooper, Johnny Depp, Joe Perry).

Da manche Supergroups auf kommerziellen Interessen von Plattenfirmen und Managern beruhten, waren sie sehr kurzlebig, etwa Blind Faith, GTR oder XYZ.

Wenn Realität die Satire aussticht

„Mir ist schon bewusst, dass wir einen Startvorteil haben. Natürlich steigern die Erfolge von zwei großen Namen die Chancen für ein neues Projekt“, sagt Daniel Fellner beim Interview in einem Wiener Innenstadthotel. Der vorangegangene Erfolg macht den Weg frei für eine Art von Kreativität, die nach Bubenspaß aussieht, bevor sich ihre Bissigkeit offenbart.

Wenn etwa Christopher Seiler im schwarzgoldenen Satinhemd in „Mi Amor“ einen spanischen Schnulzensänger mit originellem Bartwuchs gibt, der dem romantisch verblendeten Pärchen „Cuando yo canto tu bailas. Tu esposa es una puta“ ins Candlelight-Dinner singt. Und nach der Übersetzung ins Deutsche die Bedeutung klar wird: „Wenn ich singe, tanzt du. Deine Frau ist eine Hure“. Als die musikalische Realsatire auf Musikmarkt und Touristenklischees letztes Jahr als Sommerhit die Charts erklomm, kamen einander Realität und Satire auf interessante Weise nahe.

»Es ist unsere verdammte Pflicht, die Hörer:innenschaft nicht nur mit Profanem zu beschallen«

Paul Pizzera über den politkritischen Song „Life’s a Party“

AUT of ORDA
© Lukas Beck Paul Pizzera

„Wenn wir drei zusammenkommen, ergibt sich eine Energie, als wären wir Zwölfjährige. Unser Humor ist oft pubertär. Er verbindet uns, und ich finde es schön, sich ein Stück ungebändigter Kindheit bewahren zu können“, erzählt Christopher Seiler vom Schaffensprozess. „Es geht darum, sich musikalisch zwischen Humor und tiefer Ernsthaftigkeit keine Grenzen zu setzen“, beschreibt Daniel Fellner die Essenz von AUT of ORDA. „Mehr blödeln, mehr Ironie, mehr anecken“, nennt es Paul Pizzera. Nicht zu vergessen Fellners Nachsatz: „Und es darf sich nicht nach Arbeit anfühlen!“

Mit Hartinger-Klein in die Charts

Nach dem ÖFB-Lied bot sich eine Hymne auf die Alpenrepublik als nächste logische Hürde an. „Fix net normal“ wurde deren Titel. Er ist als Attribut zu verstehen. Die Band feiert im Song die Österreicher und ihre nationalen Unzulänglichkeiten und nahm Ex-Sozialministerin Beate Hartinger-Kleins Karfreitags-Ausraster gleich mit in die Top 3 der Charts: „Do güt die Unschuldsvermutung, so wüs hoit der Brauch. Wer schafft die Arbeit? Ja, das frag’n wir uns auch!“

Als Liebeslied und Kritik in musikalischer Personalunion versteht Paul Pizzera die von Ö3 initiierte Hymne: „Wie der Qualtinger gesagt hat, wird in Österreich nicht derjenige als Nestbeschmutzer bezeichnet, der ins Nest hineinmacht, sondern der, der sagt: Da stinkt’s. Es ist wunderschön hier, aber wir haben auch ein riesiges Korruptionsproblem und einen viel zu hohen Alkoholverbrauch pro Person. Humor ist die letzte Festung, von der aus wir diese Themen angehen können.“ Den anarchischen Blick auf die Gesellschaft abseits von Kabarettbühnen leisten sich Seiler, Fellner und Pizzera auf den Schultern ihres Humors, ihrer musikalischen und sprachlichen Versiertheit sowie ihrer Erfolge aus zehn Jahren im Musikgeschäft.

Etabliert als Zeitgeist-Seismografen

Es war Mitte der 2010er-Jahre als die drei unabhängig voneinander mit Seiler und Speer und Pizzera & Jaus mit Dialektmusik ihre Karrieren starteten. In einer zu neuem Selbstbewusstsein erwachenden heimischen Musikszene waren deutsche Texte wieder cool, und die demonstrative Lässigkeit von Bands wie Bilderbuch und Wanda Magazincover-tauglich. In den Jahrescharts dominierten die atemlose Helene Fischer nebst Volks-Rock-’n’-Roller Andreas Gabalier oder Song-Contest-Heldin Conchita Wurst.

Popkulturell war Österreich darauf ausgerichtet, sich endlich wieder ernst zu nehmen, als Seiler und Speer und Pizzera & Jaus mit ihrem Talent für Satire ins Land knallten. Es ist kein Zufall, dass Paul Pizzera und Christopher Seiler auf Kabarettbühnen standen, bevor sie Stadthallenkonzerte ausverkauften.

Ausnahme-Hits wie die Alkohol-Hymne „Ham kummst“ (Seiler und Speer) erinnerten das deutsche Feuilleton an „eine Patenschaft von Wolfgang Ambros und Georg Danzer“. Pizzera & Jaus etablierten sich mit der Liebeserklärung ans Laissez-faire-Denken „Eine ins Leben“ als Sprachrohr der Millennials weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Musikcharts erzählen vom ungebrochenen Wirken der Bands als Zeitgeist-Seismografen. Ihre Debütalben finden sich seit 336 Wochen („Unerhört Solide“) bzw. 373 Wochen („Ham kummst“) noch in der Wertung.

Erfolgsformel: „Mir wird schnell fad“

Seiler, Fellner und Pizzera sind derweil weitergezogen. Ihre Dominanz bei der diesjährigen Verleihung der Amadeus Austrian Music Awards am 26.4. im Wiener Volkstheater verdeutlicht es. In fünf Bands, die in sechs Kategorien der Leistungsschau der österreichischen Musikszene nominiert sind, mischen einer oder mehrere der drei mit: vom „Song des Jahres“ („AUT of ORDA“) über „bestes Album“ (Folkshilfe mit Pizzera) bis „Jazz/World/Blues“ (Ernst Molden, Seiler &das Frauenorchester). In der Kategorie „Live Act“ treten Seiler und Speer und Pizzera & Jaus gegeneinander an. Mit ihrem ein Jahr jungen Projekt AUT of ORDA ist das Trio zweimal nominiert. Während andere sich Midas-Händchen attestieren würden, geben sich Seiler und Pizzera unbeeindruckt vom eigenen Erfolg. „Wir arbeiten alle gerne, und wir spüren uns durch Leistung. Das schlägt sich in mehreren Formationen nieder, und es ist schön, dass man nicht nur mit einem Auto ausfahren darf, sondern mehrere im Fuhrpark hat“, sagt Pizzera über sein vielfältiges Schaffen. „Mir wird schnell fad“, bringt es Seiler auf den Punkt. Kein Grund, groß zu feiern. Seiler: „Ich bin am Tag nach der Amadeus-Verleihung derselbe Mensch wie jetzt. Meine Anerkennung kriege ich auf der Bühne.“ Am Tag der Preisverleihung ist die Bühne der drei die der Music Hall in Innsbruck.

Grafik - Auszeichnungen Seiler und Speer / Pizzera & Jaus
© News

Politisch? Direkt!

Krach schlagen sie dort mit gleich zwei Schlagzeugern und dem neuen Song „Life’s a Party“, der sich an Polit-Affären rund um Benko, Kurz und Schmid abarbeitet. „Die Volkspartei hat Koks dabei für all die dummen Gfriesa. Wir feiern hart mit Wirecard im schiefen Turm von Visa“, heisst es im Text. Der Würze dienen zudem die knackigsten Zitate aus der Chat-Affäre.

»Es macht als Kind etwas mit dir, wenn du immer weniger hast als alle anderen«

Christopher Seiler über das Hinterfragen des Systems Politik in „Life’s a Party“

AUT of ORDA
© Lukas Beck Christopher Seiler

Seiler, der als ältester von drei Brüdern in Wöllersdorf in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist, wird bei dem Thema emotional: „Es macht als Kind etwas mit dir, wenn du immer weniger hast als alle anderen. Dann hinterfragst du sehr schnell die Gerechtigkeit des Systems.“ Obwohl er Klassenbester war, bekam er keinen Platz im Gymnasium und erzählt von der Hauptschule im Problemviertel, wo verschiedenfarbene Gangausweise je nach Betragen zum Verlassen des Klassenzimmers berechtigten, als krisenhafte Erfahrung („Ein Gefängnis!“).

„Was in der Politik gespielt wird, hat nichts mit Herz zu tun und ist so verlogen und durchschaubar, dass es mir mittlerweile Angst macht. Es handeln ja doch alle skrupellos und denken, uns kann nichts passieren“, teilt er seine Sorgen.

In der Band werden sie zur Motivation. „Solche Texte gibt es, weil sie uns wichtig sind. Und wir können sie uns erlauben, weil wir unabhängig von Förderern Musik machen. Allein diese Feststellung ist schon wieder traurig …“

„Das geht nur in dieser Band“

Als Verantwortung beschreibt Kollege Pizzera die explizite Politkritik. „Es wird uns zugehört, also sagen wir auch etwas Wichtiges. Das ist unsere verdammte Pflicht, wenn wir eine Hörerinnenschaft haben, diese nicht nur mit Profanem, Lebensbejahendem zu beschallen, sondern auch mit Themen, die unangenehm sind. So einen Text dann zynisch in eine happy-peppige musikalische Verpackung zu legen, geht nur mit dieser Band.“

Der Vielbeschäftigte, der sich auch als Autor für die Wichtigkeit mentaler Gesundheit stark machte, schloss in Graz sein Studium der Germanistik und Philosophie ab. Die Bühnenkarriere fernab eines „Rich Kid“-Status geschafft zu haben, zählte er in einem früheren News-Gespräch zu seinen größten Erfolgen.

»Die Volkspartei hat Koks dabei für all die dummen Gfriesa. Wir feiern hart mit Wirecard im schiefen Turm von Visa«

Textzeile aus „Life’s a Party“ von AUT of ORDA

Daniel Fellner, aufgewachsen als Sohn begeisterter Hobbymusiker, opferte einst die kommissionelle Prüfung seines Medientechnikstudiums und ging lieber mit seiner Metal-band Devastating Enemy auf Europatour. Jahrelange Studioarbeit als Tontechniker, Produzent und Musiker bereitete ihn auf die heutige Rolle vor. Er will sie partout nicht Arbeit nennen. „Es ist alles, was ich beruflich immer machen wollte: alle Aspekte abdecken von der Komposition eines Lieds über die Produktion mit alle Finessen bis zum Abliefern auf der Bühne. Die Studioarbeit hat auch Spaß gemacht. Aber irgendwann fühlt sie sich an wie ein echter Job, und das wollte ich immer vermeiden“, beschreibt Fellner.

AUT of ORDA
© Lukas Beck Daniel Fellner

Das wichtigste Lied in prekären Zeiten

Sie haben nichts gesucht und miteinander Markantes gefunden. Im Herbst 2022 wollte Seiler mit Fellner Lieder aufnehmen, die nicht zu Seiler und Speer passten, aber auch nicht in Vergessenheit geraten sollten. Weil die beiden gerade in Graz waren, riefen sie Pizzera an, um ihn als Gastsänger für ein paar Zeilen zu gewinnen. Eine Nacht später war das erste gemeinsame Lied „Wigl Wogl“ fertig und die Zukunft als Künstlerkollektiv beschlossene Sache. So erzählen sie es. Die Geschichte führte sie jüngst zu ihrem vielleicht wichtigsten Song, „Nebel“. Mit ungeheurem Tiefgang wird darin ein Süchtiger im Kampf gegen die Droge begleitet. Ein Song, der signalisiert: Du bist nicht allein. „Es sind wahnsinnig prekäre und Angst erfüllende Zeiten. Wir benebeln uns, um der Realität zu entfliehen, es gibt so viele Suchtkranke wie noch nie, und das muss gezeigt werden“, sagt Pizzera. Der Verfechter von Psychotherapie macht gern darauf aufmerksam, dass er zum Therapeuten geht, um andere auch dazu zu ermutigen. „Ich bin in Therapie, seit ich in diesem Business unterwegs bin“, erzählt auch Fellner, als das Gespräch auf den Erfolgsdruck kommt.

LIVE ZU SEHEN:

AUT of ORDA:
18.4. Linz, Posthof;
19.4. München, Muffathalle;
20.4. Salzburg, Szene;
25. 4. Graz, Orpheum;
26.4. Innsbruck, Music Hall;
27.4. Dornbirn, Conrad; Sohm;
14.6. Nova Rock, Nickelsdorf;
29.6. Pichl bei Wels;
17.8. Fürstenfeld, Augustinerplatz;
5.12. Wien, Gasometer

Seiler und Speer:
8 Termine in Österreich, Deutschland, 11.5. bis 3.8.

Pizzera & Jaus:
23 Termine in Österreich und Deutschland, 10.5. bis 23.9.

Es ist stark, Schwächen zu akzeptieren

„Das Lied ist sehr leicht von der Hand gegangen, weil ich damals eine Phase gehabt habe, in der ich ziemlich in der Luft gehangen bin“, sagt Seiler über „Nebel“. Schon bei Seiler und Speer hat er mit „Mon Amour“ einen Song über die Droge Kokain geschrieben. Eine Therapie half ihm, zu erkennen: „Stärke ist, wenn man seine Schwächen akzeptiert und daran arbeitet. Das wollte ich lange nicht sehen, weil ich gedacht habe, ich muss so ein Leitwolf sein und darf nicht zeigen, wenn es mir nicht gut geht.“ Es half, dass Freunde und Familie ihre Sorgen laut artikuliert haben, sagt Seiler. „Ich habe alles nur noch grau gesehen. Heute gehe ich durch den ersten Bezirk und kann mich wieder freuen, weil die Sonne scheint.“

Sätze, die unter die Haut gehen, nähren sich aus einer Vielfalt an Emotionen. Zwischen Wut und (Selbst-)Liebe beweisen Seiler, Fellner und Pizzera, dass der Leichtsinn, sie zu zeigen, sich lohnt.

Die CD

Das Empörium schlägt zurück - AUT of ORDA
© beigestellt

Ihr Debüt „Das Empörium schlägt zurück“ * beschreiben AUT of ORDA als zehn Songs „in Form und Funktion divers wie der Raucherbereich vor der Angewandten“, eine „Salbung für Altjung mit Haltung“. Dem ist nur hinzuzufügen: Dialektmusik, die sich leichtsinnig und tiefgehend aller Genres bedient.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/2024 erschienen.

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