Ralf Rangnick: Vom Red-Bull-Mastermind zum ÖFB-Teamchef auf EM-Kurs

Die Fußball-Nationalmannschaft will mit ihrem Teamchef Ralf Rangnick zur Europameisterschaft 2024. Der Kurs stimmt. Das Mastermind hinter den Erfolgen von Red Bull im Fußball steht für professionelles Management und nüchternes Business

von Ralf Rangnick © Bild: IMAGO/PA Images

Steckbrief Ralf Rangnick

  • Name: Ralf Rangnick
  • Geboren am: 29. Juni 1958 in Backnang, Deutschland
  • Ausbildung: Lehramtsstudium für Sport und Englisch; Trainerausbildung
  • Beruf: Fußball-Trainer und -funktionär; seit Mai 2022 ÖFB-Teamchef
  • Familienstand: Freundin Flor; seit 2018 geschieden von Gabriele Rangnick
  • Kinder: zwei Söhne - David und Kevin

Ein heißer Julitag vor über zehn Jahren: Die Spieler von Red Bull Salzburg schleichen mit hängenden Köpfen vom Spielfeld. Sie haben das Heimspiel gegen einen luxemburgischen Amateurverein zwar mit 4:3 gewonnen, doch nach dem 0:1 im Hinspiel sind sie in der Qualifikation zur Champions League gescheitert. Der F91 Düdelingen sollte noch viele Jahre ein Salzburger Trauma bleiben. An besagtem Julitag werkte Ralf Rangnick seit einem knappen Monat als Sportdirektor der Fußballabteilungen des Getränkekonzerns in Salzburg und Leipzig. Wenige Monate davor hatte Rangnick seinen Job als Trainer von Schalke 04 wegen eines Burn-outs hingeschmissen. Und nun das: "Rangnick blamiert sich gegen Außenseiter" war eine der höflicheren Schlagzeilen nach dem misslungenen Start im Red-Bull-Imperium.

Ralf Rangnick
© IMAGO/PA Images UNTER DRUCK. Vom neuen Teamchef Ralf Rangnick wird sehr viel erwartet - er soll endlich für attraktiven Offensivfußball sorgen

Im Mai 2022 übernahm Ralf Rangnick eine Aufgabe, die mindestens so schwierig ist wie das Unterfangen, aus dem Marketinginstrument eines Konzerns beachtete Fußballmarken zu machen: Als Teamchef soll er die österreichische Fußballnationalmannschaft zur Europameisterschaft 2024 in seiner Heimat Deutschland führen. Wie erwartet teilte sich das Lager der heimischen Fußballexperten nach Rangnicks Bestellung in zwei Lager: auf der einen Seite die Kritiker, die Rangnicks Herkunft, Doppelfunktion, angebliche Söldnermentalität und vieles mehr kritisieren. Angeführt werden sie von der bekannten Legenden-Truppe von Hans Krankl abwärts. Auf der anderen Seite die Befürworter des Rangnick-Deals, die vom taktischen Geschick des sogenannten Fußball-Professors schwärmen.

Ralf Rangnick: Visionär für Mateschitz

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte: Als Trainer hat Rangnick einige Erfolge vorzuweisen, im Vergleich zu Trainern wie Klopp, Guardiola oder Hitzfeld sind diese von überschaubarer Qualität und Quantität. Unbestreitbar ist aber, dass er es wie kaum ein Zweiter versteht, Visionen eines professionellen, erfolgreichen Fußballbetriebs im Dienste potenter Geldgeber umzusetzen. Dass die Red-Bull-Klubs in Leipzig und Salzburg heute als fixe Größen im Weltfußball etabliert sind, ist größtenteils auf seine Verdienste zurückzuführen.

Es ist übrigens nicht von der Hand zu weisen, dass sein einstiger Arbeitgeber, der inzwischen verstorbene Didi Mateschitz, Überzeugungsarbeit bei und für Ralf Rangnick im Vorfeld der Teamchefentscheidung geleistet hat. Dabei hatte sich Rangnick zwei Jahre zuvor etwas abrupt von ihm verabschiedet. Der Rücktritt selbst ist weniger symptomatisch für einen, der ständig neue Herausforderungen sucht, als vielmehr die Funktion als "Head of Development Soccer": Rangnick agiert in einem Umfeld, das sich auch sprachlich um Business dreht. Da geht es um Expansion, Nachfrage, Übernahmen, Jahrespläne und Kostenvorteile.

Eckdaten zu Ralf Rangnick
1958 Rangnick wird in Backnang in der Nähe von Stuttgart geboren
ab 1976 Fußballspieler für Amateurmannschaften in Deutschland und England
1977 Lehramtsstudium in Stuttgart
1983 Spielertrainer in seiner Heimatstadt Backnang
1984 Rangnick erwirbt die Lizenz als Fußball-Lehrer
1985 Beginn der Tätigkeit als Amateurtrainer
hauptberuflich Mitarbeiter einer Sprachreisenfirma (bis 1992)
1992 Sportkoordinator VfB Stuttgart
1995 Hauptberuflich Trainer bei Reutlingen in der Regionalliga Süd
1997 Wechsel zum Konkurrenten Ulm
1999-2001 Trainer VfB Stuttgart
2001-2004 Trainer Hannover 96
2004-2005 Trainer Schalke 04
2006-2010 Trainer TSG Hoffenheim in der dritten Liga
2011 Trainer Schalke 04 - Vertragsauflösung wegen Burnout
2012-2019 Sportdirektor Red Bull Salzburg und Red Bull Leipzig
zwischenzeitlich auch Trainer RB Leipzig
2019-2020 Head of Development Soccer bei Red Bull
2020 Rangnick löst seinen Vertrag mit dem Red-Bull-Konzern auf
2021 Berater von Lok Moskau
2021 Rangnick wird interimistisch Trainer von Manchester United
2022 Rangnick wird als Nationaltrainer der Fußballnationalmannschaft von Österreich präsentiert
Ralf Rangnick
© imago images /Sportfoto Rudel SITZFLEISCH. Ab 1997 war Rangnick Trainer beim Regionalliga-Verein SSV Ulm -von dort folgte der kontinuierliche Aufstieg in höhere Sphären des Fußballgeschäfts

Ralf Rangnicks Fußball-Philosophie

Ralf Rangnick ist der Inbegriff der Wandlung des Fußballs zum nüchternen Fußballgeschäft, in der Professionalismus und Mitteleinsatz Erfolge garantieren. Das schafft schon mal Feinde: Als größten Betrug in der Geschichte des russischen Fußballs bezeichneten russische Medien Rangnick, nachdem er seine Beratungstätigkeit für Lokomotive Moskau beendet hatte. Dabei wollte Rangnick an der langfristigen Umwandlung des Klubs arbeiten. Dass er sich von dieser Aufgabe wegen der scheinbar kurzfristigen Chance als Interims-Trainer von Manchester United verabschiedete, mag daher überraschen. Zunächst wollte er Manchester als Consultant erhalten bleiben - sein zweiter Job neben jenem als österreichischer Teamchef. Zu der Doppel-Rolle kam es aber nicht, denn Rangnick wollte sich schließlich doch auf das ÖFB-Team fokussieren. Abgesehen von der politischen Entwicklung in Russland reizte ihn zudem die Aufgabe in der wirtschaftlich stärksten Fußball-Liga. Der Amateurkicker Rangnick war einst in England gescheitert, weil er nach einer typisch englischen Härteeinlage mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen musste.

Mit Rangnick bleibt kein Stein auf dem anderen

Als Interimstrainer von Manchester United konnte er wenig bewirken, dafür reichte die Zeit nicht. Dabei steht Rangnick für Pressing und mutigen, teils halsbrecherischen Offensivfußball. Doch wichtiger sind längst seine Management-Leistungen abseits von Taktikboard, Übungsgelände und Stadion: Er will einen Fußballklub komplett umkrempeln und nach seinen Vorstellungen organisieren. Der ehemalige Teamverteidiger Martin Hinteregger erinnert sich in seiner Biografie "Innensicht", dass Rangnick nach dem Antreten in Salzburg "keinen Stein auf dem anderen ließ"; durch ihn sei "extreme Professionalität" eingekehrt.

Ralf Rangnick mit Cristiano Ronaldo
© IMAGO/Sebastian Frej Ralf Rangnick als Coach von Manchester United mit seinem Superstar Cristiano Ronaldo

Von der Verpflegung über die Trainingsplätze bis zum Scouting: Alles wird nach den Vorstellungen Rangnicks professionalisiert. Und es braucht ein durchgehendes Konzept vom Nachwuchs bis zur Profimannschaft. Abgesehen davon kennt er das Wirtschaftsleben abseits des Fußballs: Er war Mitarbeiter einer Sprachreisenfirma, betrieb ein Reha-Zentrum und gründete mit Lars Konetka, der beim österreichischen Nationalteam den Co-Trainer geben wird, eine Consultingfirma.

Ralf Rangnicks Human-Resources-Stratege

Zentraler Baustein in Ralf Rangnicks Fußball-Modell ist die Einkaufspolitik, im Businessjargon also die Human-Resources-Strategie: Junge Kicker sind das Fundament zukünftiger Erfolge, und zwar auch aus wirtschaftlichen Gründen. Die Jungen sind billiger und lassen sich später mit Gewinn verkaufen. Schon Mitte der 1990er wollte Rangnick einen 17-jährigen brasilianischen Stürmer nach Stuttgart holen, weil er dessen Talent erkannte. Doch die sparsamen Klubchefs lehnten ab, ein niederländischer Verein schnappte sich schließlich diesen Ronaldo, der später bei Inter Mailand, Real Madrid und im brasilianischen Nationalteam Tore am Fließband produzieren sollte.

Ralf Rangnick
© IMAGO/PA Images Ralf Ragnick will auch mit der österreichischen Nationalmannschaft jubeln.

Was die wandelnde Fußball-GmbH Rangnick im Gegensatz zu anderen Verantwortlichen ebenfalls auszeichnet: Er hat keine Scheu, sich mit den Besten des Fachs zu umgeben, auch mit unbequemen Typen wie Ralph Hasenhüttl, Julian Nagelsmann oder Roger Schmidt. Zerwürfnisse sind dennoch vorprogrammiert, aber Reisende hält Rangnick nicht auf, ist er doch selbst schon viel herumgekommen. Indes sollte man selbst nach einer möglichen Niederlage zum Start seiner Teamchefkarriere davon ausgehen, dass Rangnick sein jüngstes Projekt durchziehen wird - gegen alle Widerstände.

ÖFB-Team auf dem Weg zur EM in Deutschland

Etwas mehr als ein Jahr nach Ralf Rangnicks Verpflichtung ist das ÖFB-Team auf bestem Weg zur EM 2024 in Deutschland. Das war das erklärte Ziel des Deutschen. Nach der Entlassung von Hansi Flick wurde sein Name auch als möglicher Nachfolger als Teamchef der DFB-Elf genannt. Doch Rangnick winkte ab. Dies sei für ihn kein Thema, er sei Österreich verpflichtet, versicherte er in Medien-Statements.

Ralf Rangnick - abseits des Fußballs

Sein Privatleben hält Ralf Rangnick größtenteils verborgen. Er hat mit seiner Ex-Frau Gabriele, von der er 2018 geschieden wurde, zwei Söhne. Mit seiner jetzigen Freundin Flor tritt er kaum in der Öffentlichkeit auf. Mit den Einnahmen aus dem Fußballbusiness engagiert sich Rangnick über seine eigene Stiftung in Hilfsprojekten, die unter anderem sozial benachteiligte Kinder unterstützen.

Ralf Rangnick mit seiner Ex-Frau Gabriele
© imago images/Jan Huebner Ralf Rangnick mit seiner Ex-Frau Gabriele, mit der er zwei erwachsene Söhne hat

Ein einschneidendes Erlebnis war das Burn-out während des Engagements bei Schalke 04 im Jahr 2011 - er hat darüber ganz offen gesprochen. Seither hat er laut den Aussagen seiner Wegbegleiter gelernt, sich die Arbeit gut einzuteilen, Pausen zu schaffen und die freie Zeit mit Familie und Freunden zu würdigen. Das sollte ihm auch in seiner Doppelfunktion als Teamchef von Österreich und Berater von Manchester United zugute kommen. Sechs Tage pro Monat soll er in England sein. Die Anwesenheit in Österreich ist angesichts des hohen Anteils an Spielern aus internationalen Ligen ohnehin kein Erfolgskriterium mehr.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/2022 erschienen und wurde upgedatet.