Die Übernahme von ProSiebenSat.1 durch die Mediengruppe von Pier Silvio Berlusconi ist seit gestern fix. Quer durch Europa will er eine Gegenkraft zu digitalen US-Inhalten aufbauen und ist nach Italien und Spanien nun auch in Deutschland gut aufgestellt. Politische Ambitionen schließt der Milliardär erstmals nicht mehr aus.
Die Bemerkung von Pier Silvio Berlusconi wäre noch vor einem Jahr kaum über eine Randnotiz hinausgekommen. Auf die Frage, ob er wie sein Vater in die Politik gehen könnte, antwortete der Sohn des italienischen Ex-Ministerpräsidenten vor wenigen Wochen: „Ich habe derzeit keine solchen Pläne, will es für die Zukunft aber nicht ausschließen. Mein Vater war 58, als er in die Politik ging. Ich bin jetzt 56.“
Das Statement von einer Pressekonferenz für Berlusconis Medienunternehmen Mediaset wirkt fast wie ein Countdown. Der spätere Ministerpräsident hatte Mediaset 1978 gegründet. Heute ist es Teil der Aktiengesellschaft Media for Europe (MFE), deren CEO Sohn Pier Silvio Berlusconi ist. Angesichts der jetzt erfolgten Übernahme der zweitgrößten deutschsprachigen Fernsehsendergruppe ProSiebenSat.1 (P7S1) durch MFE sorgen Berlusconis politische Ambitionen für erhöhtes Interesse.
ProSiebenSat.1
ProSiebenSat.1 ist mit 15 Sendern Nummer zwei im deutschen Privatfernsehen nach den Sendern von RTL. Der Umsatz von ProSiebenSat.1 stagniert schon länger bei rund vier Milliarden Euro, für 2025 droht der vierte Gewinnrückgang in Folge. Die österreichischen Sender Puls 4, ATV, ATV 2 und Puls 24 gehören zum Konzern.
Die Übernahme ist seit gestern fix. Nach einer Bieterschlacht hatte der zweitgrößte Investor, die tschechische PPF Group, angekündigt, ihr rund 15-prozentiges Paket an die Italiener zu verkaufen. MFE kommt in Zukunft auf einen Anteil von 75,61 Prozent an der Senderkette, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte. Vor Beginn des Angebots waren es rund 30 Prozent gewesen.
Der deutsche Medienstaatsminister Wolfram Weimer hatte zuvor im Spiegel Bedenken um die „journalistische und wirtschaftliche Unabhängigkeit“ der zweitgrößten Unternehmensgruppe unter den deutschen Privatsendern. Auch der Deutsche Journalistenverband warnte, der Senderverbund könne „schleichend auf populistische Berlusconi-Linie getrimmt werden“.
Alte Ängste, neue Sorgen
Die Sorgen speisen sich aus der Vergangenheit. Der Name Berlusconi weckt Erinnerungen an Schmuddelfernsehen, Steuerprozesse, Bunga-Bunga-Partys und die politische Instrumentalisierung privater Fernsehsender. Nach seinem Wechsel vom Medienunternehmer in die Politik hatte Silvio Berlusconi seine TV-Kanäle bedenkenlos für eigene Wahlkämpfe eingesetzt.
In vier Amtszeiten als Ministerpräsident prägte er Italiens Politik zwischen 1994 und 2011, ebnete Postfaschisten den Weg in die Mitte und öffnete einer jungen Politikerin namens Giorgia Meloni die Tür zur Politkarriere. Zwei Jahre nach dem Tod des Patriarchen stellt sich die Frage nach der aktuellen Bedeutung des Namens. Wie viel Berlusconi steckt in dessen Sohn Pier Silvio, der das Medienimperium seit 2015 führt?
Mit langem Atem zum Erfolg
Der 56-jährige Chef von Media for Europe sprach bereits 2019 öffentlich laut von seinen Plänen, ein „großes europäisches Fernsehunternehmen“ aufbauen zu wollen. Ein erster Schritt in diese Richtung mit dem französischen Medienkonzern Vivendi war 2016 – ein Jahr nach Berlusconis Start als Mediaset-CEO – vor Gericht gescheitert. Er blieb dran. 2021 machte er aus Mediaset das zukunftsweisende Unternehmen Media for Europe mit neuem Rechtssitz in Amsterdam. 2023 gelang die Fusionierung mit der spanischen Mediaset-Tochter.
„Eine medien- und länderübergreifende paneuropäische Gruppe als Alternative zu den digitalen Schwergewichten“ will er etablieren. In Spanien erreicht der Medienkonzern der Familie Berlusconi bereits ein Viertel der TV-Zuseher mit seinen Kanälen, in der italienischen Heimat hält MFE bei einem Marktanteil von über ein Drittel. Mit der Übernahme von ProSiebenSat.1 ist das Unternehmen auch in Europas größtem Werbemarkt angekommen.
Die prägenden Schattenseiten
Pier Silvio Berlusconi war drei Jahre alt, als sein Vater 1972 ins Fernsehgeschäft einstieg. Nachdem Silvio Berlusconi die Trabantenstadt Milano 2 hochgezogen hatte, wollte er den Bewohnern der NeoStadt lokale Nachrichten bieten. Dass Italien fest in öffentlich-rechtlicher Hand von Rai war, konnte ihn nicht aufhalten.


Unternehmerisches Vorbild. Pier Silvio Berlusconi im Jahr 2001 mit Vater Silvio Berlusconi, damals designierter italienischer Ministerpräsident und Präsident des AC Milan.
© imago sportfotodienstDer Aufstieg des Vaters zum erfolgreichen Bau- und Medienunternehmer prägte Pier Silvio Berlusconis Kindheit. Seine Mutter, Carla Elvira Dall’Oglio, wird als zurückhaltende, stabilisierende Kraft im Hintergrund beschrieben. In Mailand, wo Pier Silvio Berlusconi mit seiner zwei Jahre älteren Schwester Marina aufwuchs, beobachtete das Bürgertum den sagenhaften wirtschaftlichen Erfolg des Vaters kritisch. Zudem machte ihr laut tönender Reichtum die Familie zum Ziel für Kriminelle. Eine Entführung von Pier Silvio wurde nur knapp verhindert.
Der Vater holte damals einen sizilianischen Stallburschen mit beträchtlicher Kriminalakte auf den Landsitz nach Arcore. Er begleitete Pier Silvio zur Schule. Die Mafia-Wurzeln des Mannes wurden später detailreich dokumentiert. Die Angst vor einer Entführung blieb und brachte die Familie dazu, für mehrere Monate nach Spanien umzuziehen. Pier Silvio Berlusconi war damals sechs Jahre alt.
Von Beginn an im Familienbusiness
Das Aufwachsen mit den Schattenseiten des Erfolgs mag dazu geführt haben, dass der Medienunternehmer – anders als sein Vater – das Rampenlicht bis dato weitgehend meidet. Er war 16 als sich die Eltern scheiden ließen und sollte noch drei Halbgeschwister aus der zweiten Ehe des Vaters bekommen. Wie alle fünf Berlusconi-Kinder startete er früh im väterlichen Imperium ins Berufsleben. Nach dem Schulabschluss in Mailand und einem abgebrochenen Philosophiestudium tat er in Berlusconis Werbeagentur Publitalia erste Schritte und wechselte im Alter von 23 Jahren in die Mediaset-Fernsehgruppe.
Der Vater war damals bereits mit der Gründung der Partei Forza Italia beschäftigt. Pier Silvio Berlusconi entwickelte Programme für Italia Uno und arbeitete sich bei Mediaset nach oben. Im Jahr 2000 war er Vizepräsident, 15 Jahre später Geschäftsführer. Seine Schwester Marina Berlusconi war ab 1996 Vizepräsidentin der familiären Holding Fininvest und ab 2003 Vorsitzende von Italiens größtem Zeitschriftenverlag Mondadori.
Eine leise Macht
Nach dem Tod des Vaters 2023 wurden die beiden Erstgeborenen mit jeweils 26,5 Prozent an Fininvest im Erbe bedacht, während die restlichen Anteile unter den weiteren drei Kindern aufgeteilt wurden. Die Kontrolle liegt mit 52 Prozent der Familienholding in Händen von Pier Silvio und seiner Schwester. Dass der Sohn das Fernsehgeschäft in die Zukunft führen soll, war Berlusconis testamentarisch verfügter Wunsch.
Sein Weg wird als Gegenentwurf zu dem des berüchtigten Vaters beschrieben. Berlusconi lebt weitgehend zurückgezogen und tritt nur zu beruflichen Zwecken öffentlich in Erscheinung. Aus einer frühen Beziehung mit dem Model Emanuela Mussida hat er eine Tochter, Lucrezia Vittoria, die ihn vor vier Jahren zum Großvater machte. Seit 2002 ist er mit einer von Italiens bekanntesten Fernsehmoderatorinnen liiert. Silvia Toffanin ist seit 2006 Gastgeberin der quotenstarken Talkshow „Verissimo“ auf dem Berlusconi-Sender Canale 5. Das Paar hat zwei Kinder, Lorenzo Mattia, 15, und Sofia Valentina, 10, und pendelt zwischen Mailand und Portofino.


Privat zurückgezogen lebt Pier Berlusconi mit Moderatorin Silvia Toffanin u. a. in Portofino
© Photopix/Getty ImagesYachtfans kennen den Fernsehunternehmer als Besitzer einer beeindruckenden Dragoluna-Motoryacht des italienischen Herstellers Codecasa, Schätzwert 40 Millionen Dollar. Auch ein mittelgroßer Geschäftsjet, ein Hawker Beechcraft 750, zählt zum Besitz des Milliardärs. Auf eine Zurschaustellung dieser repräsentativen Zeichen seines Reichtums – laut Forbes 2,8 Milliarden Dollar – verzichtet Berlusconi. Er gilt als medienscheu und konnte den einzigen Skandal, die sogenannte Mediatrade-Affäre um Steuerbetrug 2016, mit einer Annullierung der Verurteilung beenden.
Countdown zur Polit-Karriere?
Umso auffälliger wird es, wenn sich Berlusconi öffentlich zu politischen Kommentaren hinreißen lässt. Beim Mediaset-Presseevent ließ er nicht nur politische Ambitionen unwidersprochen, sondern äußerte sich auch kritisch über Forza Italia-Parteichef Antonio Tajani, den Nachfolger seines Vaters. Dessen Vorstoß zur schnellen Einbürgerung von Migrantenkindern mit Schulabschluss halte er für „nicht prioritär“, Forza Italia müsse „nach vorn schauen“ und brauche „neue Gesichter“, so Berlusconi.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, in deren Regierung Forza Italia drittstärkste Kraft mit Tajani als Außenminister und Vizeregierungschef ist, lobte er leidenschaftlich. Und dann gab es noch einen Ausblick auf Themen, die ihm bei einem möglichen Einstieg in die Politik wichtig wären: „Wohlfahrt, Arbeit und Löhne, Schulen, Gesundheitsversorgung und Sicherheit sowie mehr Anreize für Wirtschaft und Unternehmen“.
Im Fall einer zweiten Amtszeit für Giorgia Meloni liegt für viele damit eine erste Ministerbewerbung auf dem Tisch.
Berlusconis Medienmacht
Media for Europa (MFE) mit Sitz in Amsterdam und operativen Zentralen in Italien und Spanien ist an den Börsen in Mailand und Madrid notiert. Vergangenes Jahr setzte MFE fast drei Milliarden Euro um und erzielte vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen einen Gewinn von über 800 Millionen Euro. Zum größten privaten Anbieter von TV und Radio in Italien gehören u. a. Canale 5, Italia 1, Rete 4, der Nachrichtensender TGcom24 und Radio Monte Carlo.
35,6 Prozent Marktanteil …
… hält MFE mit drei nationalen Kanälen und elf Spartensendern. Damit liegt MFE knapp hinter dem öffentlich-rechtlichen Sender Rai.
6,8 Millionen …
… Zuseher sehen zur Prime- time einen Berlusconi-Sender. Die Hälfte von Italiens TV-Werbeerlösen geht an MFE. In Spanien erreicht der Konzern mit sieben Kanälen rund ein Viertel der Zuseher.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2025 erschienen.