Nach mehr als zwei Jahrzehnten Verhandlungen steuert das EU-Mercosur-Abkommen auf die Entscheidung zu. Wirtschaftlich umstritten, geopolitisch brisant – und für Österreich innenpolitisch besonders heikel.
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Mit "Mercosur" ist der südamerikanische Wirtschaftsraum aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gemeint. Die EU verhandelt mit dem Block seit Jahrzehnten über ein umfassendes Partnerschafts- bzw. Assoziierungsabkommen. Die Verhandlungen starteten 2000 und verliefen in mehreren Phasen, inklusive einer Wiederbelebung ab 2016. Heuer soll das Abkommen final absegnet werden, auch wenn sich in der EU zuletzt erneut Widerstand formierte.
Inhaltlich ist das Projekt größer als ein Freihandelsvertrag: Vorgesehen ist eine mehrteilige Struktur aus Handels-, politischem Dialog- und Kooperationspfeiler. Nach einem "Agreement in principle" von 2019 wurden Teile weiterverhandelt. Der politische Teil wurde laut EU-Unterlagen 2020 abgeschlossen. Im Dezember 2024 einigten sich die beiden Seiten auf zusätzliche Nachhaltigkeitszusagen, darunter die Verankerung des Pariser Klimaabkommens als "wesentliches Element" und Formulierungen zum Stopp von Entwaldung. Mit der Billigung durch die EU-Kommission im September 2025 begann das finale Abstimmungsverfahren. Nun müssen dem Abkommen noch der Rat der EU-Länder und das EU-Parlament zustimmen.
Mercosur ist ein Absatzmarkt mit 270 Millionen Menschen
Die EU-Kommission argumentiert vor allem mit geopolitischer und wirtschaftlicher Wirkung: Mercosur mit seinen rund 270 Millionen Einwohnern sei ein großer Absatzmarkt und wichtig für Lieferketten - etwa bei Energie- und Rohstoffen. Der Abbau hoher Mercosur-Zölle (etwa auf Autoteile, Maschinen, Chemie und Pharma) könne europäischen Exporteuren über 4 Mrd. Euro an Zöllen pro Jahr ersparen. Außerdem sollen EU-Unternehmen leichter Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen. Bolivien gehört im Übrigen seit 2024 zur Mercosur-Gruppe, ist zunächst aber nicht Teil der Abmachung.
Am heikelsten bleibt die Landwirtschaft. Kritiker in mehreren EU-Staaten befürchten Druck durch billige Importe (vor allem Rinder, Geflügel und Zucker) sowie Streit um Umwelt- und Produktionsstandards. Die EU-Kommission hält dagegen, der Pakt ändere nichts an den EU-Lebensmittelstandards und gewähre nur "sehr begrenzten" Marktzugang bei sensiblen Agrarprodukten.
Politisch brisant ist derzeit vor allem der Fahrplan: Die Kommission zeigte sich zuletzt zuversichtlich, das Abkommen bis Jahresende 2025 unterschriftsreif zu bekommen. Frankreich drängt jedoch auf eine Verzögerung und knüpft seine Zustimmung unter anderem an stärkere Schutzklauseln und strengere Kontrollen. In dem Zusammenhang war auch von einer möglichen Blockade-Koalition mehrerer Länder die Rede.
Österreich in der innenpolitischen Zwickmühle
Für Österreich ist die Mercosur-Frage innenpolitisch aufgeladen. Österreich zählt – ähnlich wie Frankreich – seit Jahren zu den kritischeren Stimmen in der EU und steckt dabei in einem Interessenkonflikt zwischen exportorientierter Industrie und einer stark agrarisch geprägten Ablehnungsfront. Die Regierung ist politisch auf ein Nein auf EU-Ebene festgelegt: Maßgeblich ist eine Stellungnahme gemäß Art. 23e B-VG aus 2019. Der Nationalrat bekräftigte die Linie 2021 mit der Entschließung 'Nein zum Mercosur-Abkommen' (135/E).
Die Ablehnung reicht quer durch die politischen Lager, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Grünen argumentieren vor allem mit Klima- und Umweltschutz, die FPÖ mit Souveränitäts- und Agrarschutzargumenten. Auch die SPÖ kritisiert das Abkommen regelmäßig und verweist dabei auf Arbeitnehmerrechte und Konsumentenschutz. Die Gewerkschaften warnen vor einem Unterbietungswettbewerb.
In der ÖVP prallen Interessen besonders deutlich aufeinander: Während der Wirtschaftsflügel in Form des Wirtschaftsbunds dafür ist, ist der Bauernbund dagegen. Darüber hinaus sind Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung pro Mercosur, sie verweisen auf neue Märkte und geopolitische Effekte. Die vom Bauernbund dominierte Landwirtschaftskammer ist dagegen.
Die NEOS treten dagegen als konsequenteste Befürworter auf. Sie argumentieren mit dem Nutzen für Handel und Geopolitik und warnen vor strategischen Kosten einer Absage – etwa, dass sich Südamerika stärker China zuwenden könnte.
Österreich könnte überstimmt werden
Allerdings könnte das "Nein" des österreichischen Parlaments unterlaufen werden. So kann Österreich im Rat zwar dagegen stimmen, wäre aber bei entsprechender qualifizierter Mehrheit der übrigen EU-Staaten überstimmt. Das wäre dann der Fall, wenn mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen – das sind derzeit 15 von 27 – und diese zustimmenden Staaten mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Eine Sperrminorität braucht mindestens 4 Staaten.
Grundsätzlich ist das Abkommen in einen Handelsteil und einen politischen Teil "gesplittet". Dem politischen Teil müssen auch die nationalen Parlamente zustimmen. Würde später der politische Teil des Abkommens nicht durchgehen, bleibt der Handelsteil aber bestehen und wird zum Fixum. Sprich: Die nationalen Parlamente, darunter das österreichische Parlament, können den Handelsteil, in den viele der kontrovers diskutierten Punkte fallen, nicht kippen.






