News Logo
ABO

Wofür gibt es eigentlich den Friedensnobelpreis?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
11 min
Artikelbild

©IMAGO / ZUMA Press Wire

María Corina Machado: Für die einen Freiheitskämpferin, für die anderen konservative Hardlinerin. Nun bekommt sie den Friedensnobelpreis 2025. Doch was sagt diese Ehrung eigentlich aus – und für welches Verständnis von Frieden steht sie?

Von Maria Mayböck

„Hello?“ tönt es am 10. Oktober schwach aus der Aufnahme. Es ist 11 Uhr in Oslo, 5 Uhr morgens an einem unbekannten Ort in Venezuela. „In wenigen Minuten wird bekannt gegeben, dass Ihnen der Friedensnobelpreis 2025 verliehen wird.“ Die Stimme des Sekretärs des Nobelkomitees zittert – fast mehr als jene der Preisträgerin, die nur „Oh my God“ hervorbringt.

María Corina Machado, die 58-jährige Oppositionsführerin Venezuelas, gewinnt den Friedensnobelpreis 2025. Sie gilt als Überraschungssiegerin. Seit Monaten hält sie sich an einem unbekannten Ort in Venezuela versteckt, kommuniziert via Videobotschaften mit der Außenwelt. Sie gilt als Freiheitskämpferin, Oppositionelle und Demokratin. Aber auch als konservativ, ‚Eiserne Dame‘ und Freundin der Falken in den USA und rechtspopulistischer Parteien in Europa. Doch für welchen Frieden steht Machado?

Friede als Abwesenheit von Krieg

In seinem 1896 veröffentlichten Testament widmete Alfred Nobel sein Vermögen der Einrichtung von fünf Preisen in den Bereichen Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden. Der Friedensnobelpreis war für Personen vorgesehen, „die am meisten oder die beste Arbeit für die Brüderlichkeit zwischen den Nationen, die Abschaffung oder Verringerung stehender Heere sowie für die Abhaltung und Förderung von Friedenskongressen geleistet haben“.

Doch seit Alfred Nobel hat sich sowohl unsere Auffassung von Frieden als auch die Verleihung des Preises gewandelt. „Die meiste Zeit in der Geschichte sprechen wir von einem negativen Frieden. Also Friede als Abwesenheit von Krieg“, sagt Susanne Reitmair-Juárez, Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck. In Monarchien bedeutete Frieden Sicherheit und Ordnung, garantiert durch eine starke Autorität.

Friede durch Waffenstillstand

Bild

 © IMAGO / Sven Simon
Bild
 © APA-Images / Interfoto / Sammlung Rauch

Friede durch soziale Gerechtigkeit

Bild

María Corina Machado

 © IMAGO/Europa Press
Bild

 © IMAGO / Avalon.Red

Parallel dazu verschob sich der Fokus hin zu internationaler Kooperation. Die Mitbestimmung der Zivilbevölkerung wurde wichtiger. Der Friedenserhalt war bedingt durch mehr Akteure. „Was wir im 20. Jahrhundert sehen, ist die Zunahme der Bedeutung von internationalem Recht – zunächst in Form des Völkerbunds und später der Vereinten Nationen“, so Reitmair-Juárez.

Die internationale Gemeinschaft einigte sich auf eine Verrechtlichung des Zusammenlebens, auf Regeln und Gesetze wie das internationale Völkerrecht und auf Menschenrechte. Globaler Handel setzte Vertrauen und Verbindlichkeit voraus. „Es geht weniger um Frieden als Ideal, sondern das Interesse von Staaten und anderen Akteuren an einem geordneten und sicheren Zusammenleben“, so Reitmair-Juárez.

Demokratie: Voraussetzung für Friede

Auch der Gewaltbegriff weitete sich zunehmend. Gewalt meint heute nicht nur Krieg, sondern auch strukturelle Ungleichheit. Menschenrechte, Gerechtigkeit und die Bearbeitung von Gewaltstrukturen rücken ins Zentrum. „Das nennen wir positiven Frieden“, erklärt Thomas Roithner, Friedensforscher an der Universität Wien: ein Zustand, in dem nicht nur Waffen schweigen, sondern auch „Gewaltstrukturen wie ungleiche Lebenschancen oder Rassismus“ abgebaut sind.

Sind Friede und Demokratie also zwei Seiten der gleichen Medaille? Ist Demokratie eine Voraussetzung für Friede? Ja, findet das Nobelpreiskomitee. Doch die Forschung zeigt ein differenzierteres Bild: Demokratien führen zwar untereinander seltener Krieg, „aber sie sind gegenüber Nicht-Demokratien nicht friedensgeneigter“, so Roithner. Demokratie schafft Bedingungen für umfassenden Frieden – ersetzt ihn aber nicht.

Ein Demokratienobelpreis?

Auch der Friedensnobelpreis folgt diesem erweiterten Verständnis von Frieden. Machado wird laut Nobelkomitee ausgezeichnet „für ihre unermüdliche Arbeit zur Förderung der demokratischen Rechte des venezolanischen Volks und für ihren Einsatz für einen gerechten und friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie“. So wird Demokratie beinahe zum Synonym für Frieden. Ein Demokratienobelpreis, also? Nicht unbedingt, sagen Roithner und Reitmair-Juárez. Vielmehr spiegle die Auszeichnung einen Wandel wider.

Das Ende des Kalten Krieges markiert laut Reitmair-Juárez eine Zäsur: „Ab den 1990er-Jahren öffnet sich der Preis geografisch. Plötzlich sind alle Kontinente vertreten, außer Australien“, sagt sie. Mit globalem Informationsaustausch geraten neue Regionen und Akteure in den Blick. Während früher vor allem Abrüstungsbemühungen geehrt wurden, rücken nun innerstaatliche Konflikte, Klimaschutz, Menschen- und Frauenrechte stärker in den Mittelpunkt. Preisträger:innen wie Nelson Mandela, Rigoberta Menchú oder Malala Yousafzai stehen für diese Hinwendung zu gesellschaftlicher Gerechtigkeit als wichtige Voraussetzungen für Frieden.

Friedensherde

Rina Alluri, Friedensforscherin an der Universität Innsbruck, warnt davor, Frieden nur dort zu suchen, wo kein Krieg herrscht. Selbst inmitten von Konflikten gebe es „pockets of peace“ – kleine Inseln des Friedens, die wichtige Friedensarbeit leisten, wie Bildungsinitiativen. Denn: Bildung dürfe angesichts von Kriegen nicht aufhören. „Ansonsten haben wir Kinder, die ständig aufholen müssen oder Analphabeten bleiben. Oder Studierende, die aufgrund fehlender Jobmöglichkeiten in den Krieg ziehen.“ Lehrerinnen und Lehrer wie jene in der Ukraine, die in Bunkern oder U-Bahnstationen weiter unterrichten, stehen für eine andere Form von Friedensarbeit als jene, die am Verhandlungstisch den Waffenstillstand beschließen. Beides sei Teil von Frieden.

Blurred image background
 © Waltl&Waltl

Westlich, männlich, weiß

Der Friedensnobelpreis mag heute breiter gefasst sein, doch er bleibt stark transatlantisch und männlich dominiert: Knapp 60 Prozent der Preisträgerinnen und Preisträger stammen aus Europa und den USA, nur rund 14 Prozent sind Frauen. Diese Schieflage ist kein Zufall, sondern spiegelt wider, wer international sichtbar ist, wer Zugang zu Ressourcen hat – und wessen Arbeit überhaupt als „friedensstiftend“ wahrgenommen wird. Das wirft Jahr für Jahr die gleiche Frage auf: Wen auszeichnen – und kann eine solche Auswahl jemals objektiv sein?

Blurred image background
 © Waltl&Waltl

Kein Preis existiert in einem Vakuum. Jede Vergabe spiegelt den Zeitgeist und politische Interessen wider. „Es ist ein politisch besetztes Komitee und in den Augen vieler ein Instrument norwegischer Außenpolitik“, sagt Historikerin Susanne Reitmair-Juárez. Gleichzeitig warnt sie vor Überinterpretationen: Der Nobelpreis sei vor allem ein globaler Scheinwerfer – ein Moment großer Aufmerksamkeit für auserwählte Konflikte, Regionen und Personen. Aus der einst nüchternen Parlamentssitzung als Vergabeort ist längst ein öffentlichkeitswirksamer Akt der Inszenierung geworden. Trotz Kritik behauptet der Preis seine Bedeutung, der sich die Welt kaum entziehen kann.

Wer Frieden wirklich schafft

Friedensforscherin Alluri weist zudem darauf hin, dass der Nobelpreis überdurchschnittlich oft (künftige) Staats- und Regierungschefs prämiert. Gerade bei Personen, deren Handlungsspielräume stark von politischen Kampagnen, Machtwechseln und Wahlzyklen geprägt sind, sei „fraglich, ob der Preis so stark auf politische Führungspersonen fokussiert sein sollte“, so Alluri. Sie regt an, auch jene Friedensarbeit stärker in den Blick zu nehmen, die außerhalb staatlicher Verantwortung geleistet wird – von Menschen, die „tagtäglich unermüdlich Friedensarbeit leisten“, ohne große öffentliche Aufmerksamkeit.

Blurred image background
 © Waltl&Waltl

Auch Machado profitiert von der Auszeichnung. Zugleich müsse man die Entscheidung geopolitisch lesen, sagt Lateinamerika-Experte und Entwicklungsforscher an der Universität für Bodenkultur Wien, Johannes Waldmüller: „Der Friedensnobelpreis für Machado war eine dem Westen dienliche Verleihung.“ Venezuela verfügt über enorme Erdöl- und Rohstoffreserven und hat sich angesichts westlicher Sanktionen stärker an China und Russland gebunden. Machado als Preisträgerin spiele dem Westen in die Karten: „Käme es zu einem Regimewechsel im Land, dann ist Machado die designierte Präsidentin. Das ist dank des Friedensnobelpreises quasi geklärt“, so Waldmüller.

Zwischen Hoffnung und Risiko

Am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, soll Machado den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Es bleibt fraglich, ob sie ihr Versteck verlassen und reisen kann. Sie wäre nicht die erste Preisträgerin, für die die Auszeichnung zu einem Schutzmantel wird und sie gleichzeitig zur Zielscheibe macht.

Wie sich der Preis auf Venezuela auswirkt, ist offen. Sicher ist nur: Frieden entsteht nicht durch Auszeichnungen, sondern durch Prozesse. Der Friedensnobelpreis zeigt, wie politisch die Vergabe ist, und wie unverzichtbar die Aufmerksamkeit bleibt, die sie erzeugt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER