Es sind harte Worte, die Eltern nicht erwarten. Weder von einem Kindergartenkind noch von einem Schüler. Wenn man das erste Mal "Ich hasse dich" von den Kleinen hört, schmerzt es nicht nur, sondern es macht sich auch Hilflosigkeit breit. Welche Reaktion ist angebracht? Die klinische Psychologin Dr. Sabine Völkl-Kernstock gibt fundierte Ratschläge und Erziehungstipps, die dabei helfen, mit der Situation richtig umzugehen.
- 1. "Ich hasse dich" - Wie soll ich darauf reagieren?
- 2. Was steckt hinter "Ich hasse dich"?
- 3. Die denkbar schlechtesten Reaktionen
- 4. Welche Belehrung, welche Reaktion ist erlaubt?
- 5. Warum sagen Kinder "Ich hasse dich"?
- 6. Was tun, wenn solche Aussagen immer wieder kommen?
- 7. Warum über Gefühle sprechen so wichtig ist
1. "Ich hasse dich" - Wie soll ich darauf reagieren?
Wenn das Kind diese verbale Ohrfeige austeilt, sind Eltern oft erst einmal überfordert. Trotzdem sollten sie versuchen, die Fassung zu bewahren und weder gekränkt noch verärgert zu sein. "In dieser Situation in einen Machtkampf mit dem Kind einzutreten, ist nicht die beste Lösung", sagt Psychologin Dr. Sabine Völkl-Kernstock gegenüber "News.at".
Dem Erwachsenen muss es stattdessen gelingen - trotz Ausnahmesituation - völlig ruhig zu bleiben und einen Schritt auf das Kind zuzugehen. Zum Beispiel einfach nachfragen, was das Kind denn gerade so wütend macht. Zum Beispiel: "Was war denn heute los?". "Hat dich jemand gekränkt?" oder "Hast du dich über jemanden geärgert?".
Denn hinter besagter Aussage stecken Gefühle, die es zu ergründen gilt, und dies sei die oberste Priorität. "Der plötzliche Ausruf 'Ich hasse dich' heißt nicht, dass ihr Kind Sie hasst", beruhigt Völkl-Kernstock. Das müssen sich Eltern bewusst machen.
2. Was steckt hinter "Ich hasse dich"?
Alles zu analysieren bringe nichts, deshalb sollte man diesen Satz auch keinesfalls persönlich nehmen. Der Satz sollte dennoch immer ernst genommen werden. Vielleicht wurde gerade ein Verbot ausgesprochen, dann steht eine Kränkung dahinter. Oder ein Ziel wurde nicht erreicht.
Zum Beispiel, wenn das Kind etwas nicht bekommen hat, was es wollte. Dann wird eine Enttäuschung ausgedrückt. Es kann sich auch um eine tiefe Kränkung und Verzweiflung handeln. "Die umsichtige Vorgehensweise der Eltern ist stets gefragt."
3. Die denkbar schlechtesten Reaktionen
Schimpfen, Weggehen, Überreagieren oder mit Wut zurückschießen. Das alles sei hier völlig unangebracht. Dass für andere Menschen "Ich hasse dich" oder, noch schlimmer, "Ich will sterben" eine viel tiefere Bedeutung hat, versteht der Nachwuchs noch nicht. Die Aussage: "Das sagt man nicht!" sei für Kinder nicht hilfreich.
Reaktionen wie "Ich rede überhaupt nicht mehr mit dir, wenn du so bist" oder "In dem Ton reden wir nicht miteinander" seien ebenfalls keine gute Lösungen. Stattdessen sollten Eltern laut Psychologin Dr. Sabine Völkl-Kernstock klare Aussagen machen.
4. Welche Belehrung, welche Reaktion ist erlaubt?
Wichtig dabei: Für die Belehrung (Grenzen aufzeigen) und Klärung der Situation müssen die Gemüter abgekühlt sein. Dann könnten es Eltern so probieren: "Ich mag diesen Satz nicht, weil für mich heißt das, dass man jemanden überhaupt nicht mehr ausstehen kann oder mit dem nicht mehr zusammen sein will." Oder: "Ich kann verstehen, dass du es nicht magst, wenn ich dir das nicht erlaube. Aber das heißt nicht, dass du mich als Person hasst. Du magst meine Handlung nicht." Dasselbe gilt freilich auch im Umkehrschluss für die Eltern. Man mag die Handlung oder Wortwahl des Kindes nicht, aber das Kind an sich mag man immer. "Genau diese Differenzierung muss man dem Kind vermitteln. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe der Eltern", sagt die Psychologin.
5. Warum sagen Kinder "Ich hasse dich"?
Diese Frage lasse sich nur schwer beantworten. Fakt sei, dass Kinder versuchen, ein Gefühl auszudrücken, das sie nicht anders benennen können, außer in dieser Weise. Und sie bekommen damit extra Aufmerksamkeit von ihren Eltern. "Wer diese Worte öfter zu hören bekommt, sollte sich als Elternteil darüber Gedanken machen, wie gewaltvoll die eigenen Sprache ist", so die Psychologin. Hat das Kind das irgendwo aufgeschnappt? Wie reden und streiten die Eltern miteinander? Kinder müssten erst differenzieren lernen.
6. Was tun, wenn solche Aussagen immer wieder kommen?
"Einfach dran bleiben und nach den Ursachen forschen", rät Dr. Sabine Völkl-Kernstock. Hilfreich dabei sei, sich zu trauen in der Familie über Gefühle zu sprechen und diese (vor allem bei kleineren Kindern) auch zu benennen. Kinder würden sich ihren Eltern nur anvertrauen, wenn sie sich ihnen nahe fühlen (gilt auch für Jugendliche in der Pubertät). Ein gemeinsames Familienritual, zum Beispiel beim gemeinsamen Abendessen über den Tag und das Erlebte zu sprechen, sei nützlich. Eltern, die gar nicht mehr weiter wissen, können bei ihrem Kinderarzt nachfragen oder sich eine Beratungsstunde bei einem Psychologen ausmachen.
7. Warum über Gefühle sprechen so wichtig ist
Zudem sei es wichtig, Emotionen in die Sprache einfließen zu lassen. Auch im positiven Sinn, dies könnte so klingen: "Ich finde das toll, du wirkst heute so glücklich auf mich." Oder wenn es mal nicht so Rund läuft: "Du bist heute so eine Kratzbürste. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?" Wichtig sei es auf die Nuancen zu achten, die unsere Sprache uns bietet, um Gefühle auszudrücken. "Es ist wichtig darauf zu achten, wie wir miteinander kommunizieren", sagt die Expertin. Denn zwischen "Ich liebe dich" und "Ich hasse dich" gibt es noch so viel.
Steckbrief
Sabine Völkl-Kernstock
Dr. Sabine Völkl-Kernstock ist Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin sowie allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für das Fachgebiet Familien-, Kinder- und Jugendpsychologie.
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