Tina Turner: Rocklegende und Überlebenskünstlerin

Die legendäre Sängerin Tina Turner ist am 24. Mai 2023 im Alter von 83 Jahren gestorben. Sie ist friedlich nach langer Krankheit in ihrem Haus in Küsnacht bei Zürich verstorben, wie ein Sprecher gegenüber Medienvertretern mitteilte. In ihrem Leben habe das Gute das Schlechte nicht ausgeglichen, sagte Superstar Tina Turner damals in ihrer Abschiedsdokumentation. News sprach 2021 mit dem Mann, dem Turner ihre Überlebensgeschichte erzählt hat, Biograf Dominik Wichmann.

von Tina Turner © Bild: Pascal Le Segretain/Getty Images

Steckbrief Tina Turner

  • Geburtsdatum: 26. November 1939 in Brownsville, Tennessee, USA
  • Todestag: 24. Mai 2023 in Küsnacht, Kanton Zürich, Schweiz
  • Geburtsname: Anna Mae Bullock
  • Beruf: Sängerin und Schauspielerin
  • Sternzeichen: Schütze
  • Ehepartner: Erwin Bach (verh. seit 2013), Ike Turner (verh. 1962–1978)
  • Kinder: Söhne Raymond Craig Turner (1958 - 2018) und Ronnie Turner (1960 - 2022), Adoptivsöhne Ike Turner Jr. (*1958) und Michael Turner (*1959)

Tina Turner: "Es war kein gutes Leben"

"Es war kein gutes Leben", sagt die Rocklegende, die am 26. November 2022 ihren 83. Geburtstag feierte. Tina Turner. 180 Millionen verkaufte Tonträger. Acht Grammys. Ein geschätztes Vermögen von über 200 Millionen Euro. Kein gutes Leben? Das Rekordkonzert 1988 in Rio de Janeiro vor 188.000 Menschen. Die geschichtsträchtigen Nummer eins Hits und Duett Meilensteine mit David Bowie ("Tonight"), Mick Jagger ("State of Shock") und vielen mehr. Kein gutes Leben.

Wenn Tina Turner inmitten ihres Traumanwesens in Küsnacht am Zürichsee Derartiges feststellte, entsteht eine vage Ahnung davon, was diese Frau hinter sich hat. In der Villa, die einem Schloss ähnelt. An der Seite des Mannes, mit dem sie seit 35 Jahren eine große Liebe teilt. Dann macht dieser Satz deutlich, dass man viel vergeben, aber nichts vergessen kann.

»Das Gute hat das Schlechte nicht ausgeglichen«

"Es war kein gutes Leben. Das Gute hat das Schlechte nicht ausgeglichen. Ich hatte ein missbräuchliches Leben, es gibt keine andere Möglichkeit, die Geschichte zu erzählen. Es ist eine Realität", zog Tina Turner in der Dokumentation des US Senders HBO „Tina“ (2021) Bilanz über ihr Leben. Interviewanfragen beantwortete die Managerin seit Jahren fast ausschließlich mit der Auskunft, die Sängerin sei "fully retired", im Ruhestand. Die Dokumentation "Tina" der Oscar gekrönten Regisseure Dan Lindsay und T. J. Martin markierte Turners finalen Abschied aus der Öffentlichkeit. Es ist ihre Botschaft anlässlich des Rückzugs in die Stille von Küsnacht am Zürichsee.

© Dave Hogan/Hulton Archive/Getty Images Mitte der 90er hatte Turner das größte Konzert aller Zeiten hinter sich, die umsatzstärkste Tour und feierte den Film über ihr Leben (hier 1993 in New York)

Lebensbeichte am Krankenbett

Am schmiedeeisernen Tor des 5.000 Quadratmeter großen Anwesens, wo Tina Turner ihren Ruhestand genossen hat, bat ein Schild: "Vor 12 Uhr nicht läuten." Ihren Rückzugsort in der Schweiz benannte sie nach ihren indianischen Vorfahren "Château Algonquin". Tina Turner liebte es pittoresk, mit Efeuranken am Haus und einer meterhohen Pferdeskulptur, die von der Decke hängt, im Inneren sowie einem Gemälde, das die Sängerin als ägyptische Königin zeigt.

Der einzige Journalist und Autor, der Turnerin den vergangenen Jahren dort oft zu langen Gesprächen traf, ist der Münchner Dominik Wichmann. Der ehemalige Chefredakteur des Magazins der "Süddeutschen Zeitung" und des "Stern" wurde zu ihrem Biografen, nachdem er bei einer Oldtimerrallye zufällig Turners Ehemann Erwin Bach kennengelernt hatte.

Aufs Sofa mit Tina. In ihrer Autobiografie "My Love Story"* erzählt Turner ihre Überlebensgeschichte und Rettung durch die Liebe (Penguin, 2018).

Damals wollte Turner die Deutungshoheit über ihre Lebensgeschichte erlangen. Wichmann war als Biograf des ehemaligen deutschen Außenministers Guido Westerwelle, der an Leukämie erkrankt war und starb, der Richtige. Als herausfordernde Aufgabe beschrieb er das Projekt. "Es ist eine große Verantwortung, für einen anderen Menschen in dessen Namen eine Autobiografie zu schreiben. Das erfordert von beiden Seiten viel Vertrauen und ein großes zeitliches Engagement", erzählte Wichmann, der Tina Turner über ein Dutzend Mal zu langen Gesprächen traf.

Nur mit Unterstützung der Mitgründer seiner Content Marketing Firma Looping Group und seiner US Co Autorin Deborah Davis sei es ihm möglich gewesen, dem Projekt zuzustimmen, sagte er.

© Michael Ochs Archives/Getty Images Die Adoptivsöhne Michael (li. u.) und Ike Jr. (li. o.) aus Ikes erster Ehe; Sohn Craig aus Tinas Beziehung mit Raymond Hill (re. o.) und Tinas Sohn mit Ike Ronnie Turner (re. u.)

Das Ausmaß an Verantwortung und Vertrauen wurde mit dem Wissen fassbar, dass Turner schwer krank war, als die Arbeit an der Autobiografie begann. 2013 hatte sie einen Schlaganfall erlitten. 2016 war sie an Darmkrebs erkrankt. 2017 hatte sie die Diagnose Nierenversagen erhalten. Dann begann sie mit den Autoren für "My Love Story" ihr Leben zu reflektieren. Die Gespräche mit Wichmann dauerten an, als Tina Turner von ihrem Ehemann Erwin Bach eine Spenderniere erhielt. Und auch als ihr ältester Sohn Raymond Craig im Juli 2018 Suizid beging. Wichmann begleitete sie zur Dialyse ins Spitalin Zollikon und in die Uniklinik Basel, wo die Nierentransplantation durchgeführt wurde. Und hörte vor allem zu, wie er beschrieb.

Tina Turner war schwer krank, als Sie einander trafen. Dann kam die Nierentransplantation, der Suizid des Sohnes Craig. Wie ging sie durch diese Phasen?
Tina Turner machte während unserer Zusammenarbeit aus nichts ein Geheimnis. Sie wollte, dass ich mich in ihre Situation hineinversetzen kann, und ließ es deshalb zu, dass ich sie zur Dialyse ebenso begleite wie zu den Gesprächen mit den Ärzten. Ich habe sie dabei stets als stark und auch regelrecht humorvoll erlebt. Sie akzeptierte ihre missliche Lage und versuchte mit großer Gelassenheit, das Beste daraus zu machen. Was mich aber am meisten rührte, waren die Nähe und das unermesslich große Ausmaß der Liebe der beiden Eheleute Tina und Erwin. Zwei Wochen nach dem Tod ihres Sohnes trafen wir uns in dem Landhaus der beiden und sprachen sehr lange miteinander. Die Inhalte unseres Gesprächs fanden dann in Teilen den Weg in Tinas Buch "My Love Story". Von den übrigen Teilen werde ich behaupten, sie vergessen zu haben.

Wie begegneten Sie der Situation: Sagt man jemandem wie Tina Turner Ermutigendes?
In erster Linie hört man zu, versucht zu verstehen, fragt nach. Wenn das Gegenüber es möchte, mischt man in die Nachfragen eine Einschätzung. Dann wird das Interview eher zu einem Gespräch. Ich habe mir den Versuch nie angemaßt, Tina Turner zu ermutigen. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass man als Außenstehender zumindest Fragen stellen kann, deren Antworten die Seele womöglich ein wenig zu entlasten vermögen.

Ein Soldat, der aus dem Krieg kommt

Wenn Tina Turner über ihre Vergangenheit sprach, war deren übergroßer Schatten bis zuletzt spürbar. Es sind jene Momente der Dokumentation "Tina", in denen sie innehalten und um Luft ringen muss. Da hilft es kaum, als perfekt gestylter Rockstar im schwarzen Smoking inmitten eines Barockzimmers zu sitzen.

Ihr spirituelles Vermächtnis schrieb sie in "Happiness. Mein spiritueller Weg"* nieder: Die Buddhistin teilt ihre Erfahrungen mit Meditation, Chanten u. a. (Knaur, 2020).

Ihr Überlebensweg begann mit der lieblosen Kindheit in Nutbush, Tennessee, mit einem Vater, der die Mutter schlug. Es folgte das Aufwachsen bei der Großmutter, nachdem die Eltern das Mädchen verlassen hatten. Die Mutter kehrte zurück, als Tina ein Star war. Die Sängerin schenkte der Mutter ein Haus und bekam doch nie Liebe: "Sie wollte mich nicht, sie wollte nicht in meiner Nähe sein (...). Aber ich tat für sie alles, so als würde sie mich lieben."

Der Missbrauch setzte sich in Tina Turners von häuslicher und sexueller Gewalt geprägter Ehe mit Ike Turner fort. Tina Turner war 19 Jahre alt, als sie den acht Jahre älteren Musiker traf. Sie brachte Sohn Raymond Craig mit in die Ehe, Ike zwei Söhne aus erster Ehe, Michael und Ike Jr., gemeinsam hatten sie Sohn Ronald Renelle.

»Die Lady genießt in vollen Zügen ihren Ruhestand und es geht ihr gut«

"Abhängig von Ike, ständig zu seiner Verfügung, von ihm beherrscht und von ihm misshandelt", beschreibt sie in der Autobiografie "My Love Story" diese Zeit. Ihr Schicksal teilte sie mit Ikes Geliebten, die teilweise im ehelichen Haus wohnten. Mehrmals versuchte sie sich in dieser Zeit das Leben zu nehmen.

Bis zuletzt verfolgten sie die Erlebnisse von damals, erzählte sie in der Doku. "Es ist wie bei Soldaten, die aus dem Krieg kommen und nicht mehr an diese Zeiten erinnert werden wollen", beschrieb ihr Ehemann Erwin Bach das andauernde Trauma. Tina Turner war 37 Jahre alt, als ihr 1976 die Flucht aus der Ehe gelang. Mit 36 Cent in der Tasche fing sie von vorne an. Acht Jahre später wurde sie mit dem Album "Private Dancer" zum Superstar. Sie war 47, als sie dem Deutschen Erwin Bach, der Liebe ihres Lebens, begegnete.

© Jacopo Raule/Getty Images for Giorgio Armani DIE GROSSE LIEBE. Sie waren seit 1986 ein Paar, seit 2013 verheiratet: Tina Turner und Erwin Bach (hier bei Giorgio Armanis 40. Geburtstag 2015 in Mailand)

Der Bildband "Tina. That's My Life"* bündelt Sammlerstücke wie Fotos von u. a. Annie Leibovitz, Peter Lindbergh, Herb Ritts, Briefe von Mick Jagger, Giorgio Armani, u. a. und Designerillustrationen (Rizzoli, 2020).

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Wenn Tina Turner über ihren verstorbenen Ex Mann Ike sprach, konzentrierte sie sich auf Vergebung: "Es schmerzt. Aber dann nimmt Vergebung das Heft in die Hand. Nicht zu vergeben, damit tut man sich selbst weh." Die Bitterkeit, mit der sie ihr Leben als "kein gutes" beschrieb, bleibt. Biograf Wichmann hat einen relativierenden Blick darauf.

"Es war kein gutes Leben" heißt die PR-Botschaft zum Film. Zur Negativbilanz zählt auch das als distanziert beschriebene Verhältnis, das Tina Turner zu ihren Söhnen hat. Hat sie als Mutter Fehler gemacht?
Die Botschaft ist komplexer, als Sie es hier darstellen. Es gab viel Schatten und viel Licht. Aber eben beides und nicht nur den Schatten. Das gilt auch für das Verhältnis zu ihren Söhnen. Es steht mir aber nicht zu, die angeblichen Fehler einer Mutter zu benennen. Denn angesichts von Tina Turners dramatischer Lage damals alleinerziehend mit vier Jungs, mittellos und von ihrem Ex Mann Ike Turner terrorisiert empfände ich das als anmaßend. Ich weiß jedoch, dass sie selbst das eine oder andere Mal darüber nachgedacht hat, was seinerzeit in der Beziehung zu ihren Söhnen besser hätte laufen können. Einen zentralen Faktor aber sollten Sie dabei nicht vergessen: Ein verantwortungsvoll handelnder Vater und Ehemann wären dafür die Voraussetzungen gewesen. Voraussetzungen aber, die die Mutter Tina Turner nicht hatte.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/2021 erschienen.