Gestärkter Präsident

Van der Bellen steht vor seiner größten Herausforderung: Was tun, wenn die FPÖ mit Kickl bei der Nationalratswahl Erste wird? Er weiß schon, warum er zurückhaltend geworden ist.

von Johannes Huber - Gestärkter Präsident © Bild: Privat

ANALYSE

Man könnte meinen, es gebe einen neuen Bundespräsidenten: Vor einem Jahr machte Alexander Van der Bellen klar, dass er Herbert Kickl nach der kommenden Nationalratswahl nicht als Kanzler ernennen möchte. Und zwar auch dann nicht, wenn dessen FPÖ auf Platz eins landet. Eine antieuropäische Partei werde er durch sein Handeln nicht befördern, ließ er in einem ORF-Interview wissen. Und heute: In seiner Neujahrsansprache blieb Van der Bellen staatstragend-allgemein. Man sollte mehr miteinander als übereinander reden, meinte er und äußerte gegenüber allen Parteien einen entsprechenden Wunsch: Mögen sie Argumente austauschen statt Anschuldigungen.

Zu glauben, der Bundespräsident, der am 18. Jänner 80 Jahre alt wird, gebe sich geschlagen und werde Kickl den Weg zum Kanzleramt freimachen, wäre naiv. Er hat vielmehr gelernt: Die Äußerungen vom Jänner 2023 waren kontraproduktiv. Kickl bedankte sich dafür und nützte sie, um seine Anhänger umso mehr zu mobilisieren. Botschaft: "Der höchste Vertreter des Systems grenzt mich aus, weil ich für euch bin. Das ist eine Bestätigung dafür, dass es einen Volkskanzler braucht."

Schaut man sich Umfragewerte an, erkennt man zweierlei: Kickls FPÖ hat in den vergangenen zwölf Monaten von durchschnittlich rund 27 auf durchschnittlich knapp 30 Prozent zugelegt. Van der Bellens Persönlichkeitswerte hingegen haben sich ausgehend von einem sehr hohen Niveau leicht, aber doch verschlechtert: Vertrauten ihm vor etwas mehr als einem Jahr 63 Prozent, so waren es zuletzt 56. Das hat das Meinungsforschungsinstitut OGM bei Erhebungen für die Austria Presseagentur (APA) festgestellt.

Zusammenfassend gilt für den Präsidenten: Er hilft eher nur Kickl, wenn er ohne Not erklärt, wie er mit einem allfälligen Wahlsieger Kickl umgehen würde. Die Frage wird sich abgesehen davon früh genug stellen. Vor allem aber hat er einen guten Grund gewonnen, nach außen hin zurückhaltend zu werden: Es gibt Entwicklungen, die ihm nur gefallen können.

Damit Kickl Kanzler werden kann, ist nicht nur sein Zutun nötig. Kickl braucht auch eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene. Und eine solche ist alles andere als gewiss: Die SPÖ schließt schon lange eine Koalition mit seiner Partei aus, die ÖVP seit geraumer Zeit eine Regierungszusammenarbeit mit ihm. Ihr Chef, Kanzler Karl Nehammer, betreibt das mit seinen Leuten mit einer solchen Intensität, dass sie es nach der Wahl nicht mir nichts, dir nichts aufgeben können. Und selbst wenn sie oder allfällige Nachfolger es tun wollten, würden sie sich damit Widerstände vor allem von proeuropäischen Wirtschaftsvertretern aus den eigenen Reihen einhandeln, die Kickls Anti-EU-Politik ablehnen. Das ist ganz im Sinne Van der Bellens: Es wird nicht nur für ihn schwierig, sondern auch für den FPÖ-Chef.

ZAHL

Begrenzte Toleranz

Anders als die Mehrheit zu sein, ist in Österreich eher ein Problem als in den meisten übrigen EU-Ländern. Sprich: Man muss damit rechnen, auf größere Vorbehalte zu stoßen und diskriminiert zu werden. Das zeigt eine Eurobarometer-Umfrage, die im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführt worden ist.

Allein hierzulande sind 1.012 Frauen und Männer befragt worden. Zum Beispiel, wie sie sich fühlen würden, wenn eine Person zum Staatsoberhaupt gewählt werden würde, die der Gruppe der Roma angehört. 32 Prozent gaben an, dass ihnen "unwohl" wäre, weitere 18 Prozent, dass ihnen nur "mäßig wohl" wäre. Summa summarum sind das 50 Prozent. Zum Vergleich: In allen EU-Ländern zusammen handelt es sich um 43 Prozent, also deutlich weniger.

Überdurchschnittlich sind in Österreich auch die Anteile bei einem fiktiven Staatsoberhaupt, das lesbisch, schwul oder bisexuell ist (42 Prozent), eine andere Hauptfarbe als die Mehrheit hat (ebenfalls 42 Prozent) oder über ein anderes Religionsbekenntnis oder eine andere ethnische Herkunft verfügt (jeweils 41 Prozent).

Das erklärt einiges. Vertreter bestimmter Minderheiten werden etwa kaum für eine Wahl aufgestellt werden. Jedenfalls nicht von einer Großpartei, die einen potenziellen Gewinner ins Rennen schicken möchte.

Die erwähnten Werte sind insofern glaubwürdig, als sie sich mit Einstellungen decken, die bei der Eurobarometer-Befragung zu persönlichen Lebensbereichen erhoben wurden: 55 Prozent wäre "unwohl" oder nur "mäßig wohl", wenn ihr Kind eine Liebesbeziehung mit einem Muslimen oder einer Muslimin hätte. Bei einem Buddhisten oder einer Buddhistin wären es 35 Prozent, bei einem Juden oder einer Jüdin mit 34 Prozent kaum weniger. Bei einer Person mit schwarzer Hautfarbe würde es sich um 47 Prozent handeln und bei einem gleichgeschlechtlichen Partner, einer gleichgeschlechtlichen Partnerin um 43 Prozent.

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BERICHT

Worum es beim Pendlerstreit geht

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist irritiert: Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Freiheitliche werfen ihr und ihrer Partei vor, einen "Feldzug" gegen Autofahrer zu führen und die Pendlerpauschale abschaffen zu wollen. Davon könne keine Rede sein, so Gewessler.

Das hat was. Wie die APA festhält, ist die Debatte indirekt von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ausgelöst worden. Er habe sich einer niederländischen Initiative angeschlossen, fossile Subventionen abzubauen. In Österreich zählt die Pendlerpauschale dazu. Sie begünstigt das Inkaufnehmen längerer Arbeitswege mit dem Auto und wird vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO als klimaschädliche Förderung betrachtet. Darüber hinaus handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, sodass Besserverdienende stärker davon profitieren.

Mikl-Leitner reagiert empfindlich, wenn es auf die Tagesordnung kommt. Zumal sie aber nicht gut ihren Parteikollegen Brunner angreifen kann, weicht sie auf Grüne aus. Diese fordern zumindest eine Ökologisierung und soziale Staffelung der Förderung. Auch das wäre für Mikl-Leitner tabu: Hunderttausende Niederösterreicher müssten mit einer Kürzung rechnen. Schlimmer aus Sicht der Landeshauptfrau und ÖVP-Politikerin: In der Regel würde es sich um Angehörige der Mittelschicht handeln, die aus Sorge um den Wohlstand in der Teuerungskrise ohnehin schon von der Volkspartei zur FPÖ tendieren. Siehe niederösterreichische Landtagswahl vor einem Jahr. Da war es ein Grund für die massiven ÖVP-Verluste.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at