Beeple: Ein Nerd als NFT-Millionär

Vor einem Jahr revolutionierte Mike Winkelmann alias Beeple die Kunstwelt. Sein Werk existiert nur digital und erzielte die Rekordsumme von fast 70 Millionen Dollar. Der Künstler fährt immer noch Toyota Corolla. Er hat das alles nicht geplant.

von NFT-Kunstwerk "Everydays: the First 5000 Days" © Bild: Shutterstock.com/mundissima

Bleibt man bei Äußerlichkeiten, weckt er kaum Assoziationen, die gesellschaftlich bis dato mit dem Begriff Enfant terrible verknüpft wurden. Mike Winkelmann trägt gern graue Pullover mit Rundhalsausschnitt, darunter Hemden in Hellblau oder Weiß. Die Brillen, die er trägt, sind ebenso unauffällig wie sein Kurzhaarschnitt. Öffentliche Auftritte oder Inszenierungen seiner Person meidet der 40-Jährige. Vom neuen Superstar der Kunstszene, der von milliardenschweren Sammlern wie Tico Mugrabi hofiert wird (800 Warhols, dazu Bedeutendes von u. a. Picasso, Rodin, Damien Hirst, Renoir, Basquiat, Jeff Koons), gibt es nicht viel mehr als eine Handvoll Fotos.

Geradezu rebellisch nimmt sich dagegen das Statement aus, das der Liebling aller Kunstfans vom Schlag der Early Adopter im Interview mit dem "New Yorker" ablieferte. Keine Ahnung habe er von Kunstgeschichte, sagte er kurz vor seinem Durchbruch.

Mike Winkelmann alias Beeple
© Wikimedia/Mike Winkelmann Mike Winkelmann zeigt sich ungern. Applaus und Lob für seine Kunst beschreibt er als "surreales" Ereignis.

"Abstrakter Expressionismus? Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wovon sie reden", so Winkelmann vor rund eineinhalb Jahren. Seine Kunstwerke, die er unter dem Künstlernamen Beeple fertigt, wurden damals schon um Millionen gehandelt. Im Dezember 2020 wechselte eine Sammlung aus 20 NFT-Bildern für 3,5 Millionen Dollar den Besitzer. Drei Monate später wurden für das Werk "Crossroads", in dem Donald Trump als Verlierer der US-Präsidentenwahl inszeniert wird, schon satte 6,6 Millionen Dollar bezahlt.

Viel Geld für "nichts": Die Revolution

Wenige Wochen danach sorgte Winkelmann alias Beeple für die größte Revolution der jüngeren Kunstgeschichte. Es war im Februar 2021, als sein Kunstwerk "Everydays: The First 5000 Days" bei Christie's um die Rekordsumme von 69,3 Millionen Dollar versteigert wurde. So viele Menschen wie nie zuvor, 22 Millionen, waren beim Finale der historischen Auktion online dabei. Im Ranking der teuersten Werke lebender Künstler schafft Beeple damit Platz drei hinter der Skulptur "Rabbit" von Jeff Koons und dem Bild "Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)" von David Hockney.

Beeples Kunst ist weder das eine noch das andere. Genau darin liegt ihre revolutionäre Kraft. "Everydays: The First 5000 Days" ist ein Werk, das physisch gar nicht existiert und deshalb einen Meilenstein als teuerstes NFT-Kunstwerk aller Zeiten markierte. Es galt als vorläufige Krönung des Hypes um Kryptokunst, Werke, die lediglich digital existieren.

Everydays: The First 5000 Days
© Copyright (c) 2021 mundissima/Shutterstock. No use without permission. Diese Collage revolutionierte die Kunstwelt: "Everydays: The First 5000 Days" erzielte vor einem Jahr die Rekordsumme von 69,3 Millionen Dollar

NFT steht für Non-Fungible Token, einen fälschungssicheren digitalen Vermögenswert, der weder austauschbar noch replizierbar ist. Virtuelle Güter werden über die sogenannte Ethereum-Blockchain in einzigartige Sammlerstücke verwandelt und können so erstmals gehandelt werden. (Während Bitcoins dagegen Fungible Tokens sind, die sich beliebig gegen jeden anderen Bitcoin zum gleichen Wert tauschen lassen.) Digitale Kopien der Werke können freilich -ähnlich wie Poster berühmter Gemälde - weiter erzeugt werden. Nur das Original besitzt, wie bei einem van Gogh, eben nur einer.

Das Ausmaß des Hypes

Der Hype um NFTs hat viele Facetten, die sich auf Musik, Videos, kurz: alles, was sich digitalisieren lässt, erstrecken. So veröffentlichte die Band Kings of Leon ihr Album als NFT, der FC Bayern München lizenzierte NFT-Spielerkarten, und mit der Plattform Sorare gibt es ein digitales Panini-Fußball-Album. Als teuerste Sammelkarte wurde dort ein Exemplar des Spielers Kylian Mbappé von Paris Saint-Germain für 57.000 Dollar gehandelt.

Kunstaktivisten kauften ein Werk von Banksy, digitalisierten es und verbrannten es danach. Die digitale Version des Bildes, das nun nachweislich physisch nicht mehr existiert, wurde auf der Plattform OpenSea, dem eBay der NFTs, versteigert. Das Ausmaß des Hypes? Anfang des Jahres verzeichnete OpenSea binnen einem Monat 86,3 Millionen US-Dollar Umsatz. Weltweit schätzte das Magazin "Cryptonomist" den Umsatz der Kryptokunst nach Beeples Rekordverkauf im vergangenen Jahr auf 41 Milliarden Dollar. Dazu zählt überaus Abstraktes, wie die verpixelten Comic-Gesichter der Digitalkünstler CryptoPunk, von denen eines, Antlitz Nr. 5822, Anfang des Jahres 23,7 Millionen Dollar erzielte.

JÜNGSTES WERK. Mit Popstar Madonna schuf Beeple NFTs, die dem Wert der Natur huldigen sollen. "Mother of Nature" (u.) zeigt einen Avatar der Sängerin bei der Geburt eines Baumes:

15 Jahre bis zum Superstar

Das Rekordwerk von Mike Winkelmann mutete dagegen als aufreibender, arbeitsintensiver schöpferischer Akt an. Bevor "Everydays: The First 5000 Days" zur NFT-Kunst wurde, war es ein Projekt, mit dem der Grafikdesigner seine Fähigkeiten trainieren wollte. Der zweifache Vater aus Wisconsin mit einem Abschluss in Informatik der Purdue University, West Lafayette, arbeitete damals als gut vernetzter Visual Jockey. Seine Aufgabe war es, Popkonzerte von US-Größen wie Justin Bieber, Katy Perry oder Nicki Minaj um visuelle Komponenten wie Musikfilme und andere Visuals zu erweitern. Nebenbei experimentiert er mit digitalen Zeichnungen, Kurzfilmen und Videoloops.

Darin wollte er besser werden und stellte sich die Aufgabe, jeden Tag ein digitales Kunstwerk zu erschaffen und online zu posten. Satte 15 Jahre lang hielt er das durch. Auch an den Tagen, als seine beiden Kinder, die er mit einer Lehrerin hat, geboren wurden. Die Übung sollte seinem Perfektionismus und Zögern entgegenwirken und ergab am Ende Bilder von 5420 Tagen. Seine Instagram-Fangemeinde wuchs in dieser Zeit. Vor allem seine reißerischen, teilweise makabren Bilder als Reaktion auf die Ära der Trump-Präsidentschaft gefielen. Geld brachten sie freilich kaum, auch wenn Louis Vuitton einige der "Everyday"-Bilder für die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2019 verwendete.

Plaudern mit Musk, Lob von Hirst

Vier Monate vor dem Rekordverkauf entdeckte Winkelmann die digitale Technik, die sein Leben nachhaltig veränderte -NFTs. "Manchmal, wenn ich es laut ausspreche, klingt es heute noch surreal", sagte er der britischen "Times" anlässlich der Eröffnung seiner ersten Solo-Ausstellung in New York im März dieses Jahres. "Ich habe mich nie wirklich mit Kryptowährungen beschäftigt, und dann werde ich plötzlich der 'Krypto-Bro' genannt", wundert sich der ehemalige Webdesigner, dessen Karriere als Künstler abhob, als er seine digitalen Bilder als NFTs zum Verkauf anbot, noch ein Jahr nach dem revolutionären Akt.

Geplant hatte er diesen freilich nie. Nach zwei erfolgreichen NFT-Verkäufen hatte er "einfach die Idee", wie er sagt, die ersten 5.000 Fotos seiner täglichen Sammlung zum NFT zusammenzufassen. Und schrieb mit dem Rekordverkauf digitale Kunstgeschichte.

Sein Leben seither beschreibt Winkelmann als bizarr. Im vergangenen Jahr saß er bei Jimmy Fallon in dessen "Tonight Show", traf Elon Musk auf der Art Basel und wurde von Leonardo DiCaprio für eine Wohltätigkeitsveranstaltung kontaktiert. Damien Hirst gratulierte ihm per Nachricht und nannte ihn öffentlich einen "verdammt großartigen Künstler".

Solo-Ausstellung voll Big-Tech-Kritik

Als der Ausnahme-Sammler Tico Mugrabi zur Ausstellung in der angesagten New Yorker Galerie Jack Hanley erschien und lautstark beim Händeschütteln Anerkennung polterte -"Ich sagte doch: Sie sind ein verdammtes Genie!" -, merkte man, dass Winkelmann alles noch immer für einen Traum hielt, wie Beobachter erzählen. Die Solo-Schau trug den Titel "Uncertain Future" und zeigte Sublimationsdrucke auf Aluminium, Ölgemälde auf Leinwand und Pastellkreide auf Papier. Sie entstanden in Winkelmanns Atelier unter seiner Leitung und wurden samt NFTs geliefert.

»Es geht um Big Tech und darum, wie diese Unternehmen einen großen Teil des Landes beeinflussen«

Zu sehen sind dystopische Szenen mit riesigen abgeschlagenen Köpfen von Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. "Es geht um Big Tech und darum, wie allgegenwärtig diese Unternehmen in unserem Leben sind. Darum, wie die Dinge, die sie tun, einen großen Teil des Landes beeinflussen", erklärt der Künstler. Ein Bild, das Jeff Bezos gespickt mit X-large-Phalli zeigt, trägt den Titel "Toxische Männlichkeit".

SYSTEMKRITIK. In einer Ausstellung geht es in dystopischen Werken gegen die Macht von Big Data. Online zeigt Beeple Gesellschaftskritisches wie diesen Waffenberg unter der US-Flagge mit dem Titel "Freedom Ain't Free":

Innerhalb von 24 Stunden meldeten sich mehr als 1.100 Personen für die Vernissage. Die Galerie musste Sicherheitspersonal und Absperrungen organisieren. Die Kunstwelt, darunter der Kritiker Ben Davis von Artnet News, reagierte skeptisch. Einige von Hanley vertretene Künstler kündigten aus Protest und wollten, dass ihre Namen noch vor der Eröffnung von der Website der Galerie gestrichen werden.

Den Erfolg der Schau beeinträchtigte dies nicht. Laut Bericht der Website Artnet waren alle 13 Drucke und Gemälde mit Preisen zwischen 75.000 und 300.000 Dollar danach vergeben. Wobei das Ziel in der Platzierung der Kunst bei wichtigen Sammlern lag, nicht im Erreichen hoher Summen.

Winkelmann hat ohnehin ausgesorgt. Solang sich seine NFTs verkaufen, verdient er an jedem Weiterverkauf zehn Prozent des Wiederverkaufsgewinns. Eine der besten Eigenschaften der neuen Technologie für Künstler.

Superstar. Was nun?

Mike Winkelmann fährt noch immer einen Toyota Corolla wie vor einem Jahr. Bloß ein neues Modell hat er sich zugelegt. Als sein Anteil am Rekordverkauf, 55 Millionen Dollar, in der Kryptowährung Ethereum bei ihm eintrudelte, gönnte er sich einen Trip mit Freunden nach Miami.

Zum ersten Mal in der Businessclass. Die Kryptowährung tauschte er danach flugs in Dollar.

»Wenn man das Geld hat, gibt es keine Herausforderung. Geld wieder in Kunst zu stecken ist viel interessanter«

Luxus gibt ihm nichts. Um näher am neuen Atelier zu sein, zog er nach Charleston, South Carolina, um und versichert, es sei "kein großartiges" Haus. "Für mich ist das uninteressant, denn wenn man das Geld hat, gibt es keine Herausforderung. Das Geld wieder in die Kunst zu stecken ist viel interessanter", sagt der Künstler. Im Atelier plant er auf 50.000 Quadratmetern ein Museum mit einer großen Version seiner "Everdays" und einer Erlebnisausstellung. Seine Frau, sein Bruder und die Eltern sind nun Teil des Beeple-Unternehmens.

Seine beiden Volksschulkinder würden von allen Absurditäten gar nichts mitbekommen, versichert er. Denkt man an die drei NFTs, die Winkelmann vor Kurzem mit Popstar Madonna geschaffen hat, erleichtert diese Aussage. Es sind Videos, in denen Madonnas Avatar gleich einer Fruchtbarkeitsgöttin zum Beispiel einen Baum zur Welt bringt.

Auch wenn Beeples Verkaufsrekord mittlerweile von Paks NFT-Werk "The Merge" übertroffen wurde (es erzielte 91,8 Millionen Dollar), bleibt doch Winkelmann der "Krypto-Bro".

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/2022 erschienen.