Antisemitismus: Was gegen die Judenfeindschaft getan werden kann

Die Verfolgung und Diskriminierung von Juden und Jüdinnen hat eine lange, gewaltvolle Geschichte. In Teilen der Gegnerschaft zur staatlichen Pandemiebekämpfung erlangte der Antisemitismus in Österreich zuletzt traurige Aktualität. Helfen kann dagegen vor allem "Bildung im aufklärerischen Sinne", sagen Forschende.

von
THEMEN:
Marsch gegen Antisemitismus in Birkenau. © Bild: IMAGO/NurPhoto

Inhaltsverzeichnis

Was versteht man unter Antisemitismus?

Die europäische Geschichte blickt auf viele Jahrhunderte der Ausgrenzung und Verfolgung von Juden und Jüdinnen zurück. Während der Duden den Antisemitismus knapp als "Abneigung oder Feindschaft gegenüber den Juden" bezeichnet, umschreibt ihn Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU-Berlin laut "Antisemitismus in Österreich: ein (unvollständiger) Überblick" als "feindselige Urteile gegen die Juden als Kollektiv, in denen ihnen unveränderlich schlechte Eigenschaften sowie die Absicht zugeschrieben wird, anderen Völkern Schaden zuzufügen". Die Schädigung wird zwar auch auf religiöser Ebene gesehen (Christenfeindschaft), viel öfter aber im wirtschaftlichen Sinne "als unlautere Konkurrenz und Geldgier", als Streben nach der Weltmacht in der Politik und "Zersetzung", wenn es um kulturelle Belange geht.

Die EU-Grundrechteagentur fasst die Ausformungen des Antisemitismus als "rhetorische und physische Manifestationen" zusammen, die sich gegen jüdische oder nicht-jüdische Individuen, die Institutionen jüdischer Gemeinden oder religiöse Einrichtungen richten, können aber auch den Staat Israel betreffen, wann dieser als jüdisches Kollektiv verhandelt wird.

Warum wurden Juden verfolgt?

Aus einem anfangs vor allem religiös motivierten Anti-Judaismus entwickelte sich eine politische Judenfeindlichkeit. Diese gipfelte in negativer Hinsicht im europäischen Holocaust (Shoah), der organisierten Vernichtung von Juden und Jüdinnen in Europa durch das nationalsozialistische Terrorregime bis 1945.

Eine erste Ghettoisierung der jüdischen Gemeinde sowie Pogrome fanden in Österreich bereits im 14. Jahrhundert statt. Der Beginn des politischen Antisemitismus wird in Europa aber mit dem 19. Jahrhundert datiert und konnte bald auf eine ideologische Verankerung in der Mitte der Gesellschaft bauen. Immer wieder waren angebliche Ritualmorde und erfundene Brunnenvergiftungen Vorwand für die Judenverfolgung. Der Historiker Peter Pulzer geht davon aus, dass der "Hauptantrieb" zur Radikalisierung des Antisemitismus in Europa damals von Österreich ausgegangen war. Dementsprechend existierten hier auch Vereinigungen wie der Antisemitenbund oder der Österreichische Reformverein und pseudo-wissenschaftliche Forschung, welche sich dem Kampf gegen das Judentum auf Basis antisemitischer Weltbilder verschrieben hatten. Auch Studentenverbindungen schlossen Juden aus und schrieben dies in sogenannten Arierparagraphen in ihren Statuten fest.

Als Österreich im Jahr 1938 unter Jubel weiter Teile der Bevölkerung an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, sollte der Antisemitismus zur Staatsdoktrin werden. Die 1935 durch die NSDAP beschlossenen Nürnberger Rassengesetze entrechteten all jene, welche der Nazi-Ideologie zufolge dem Judentum zugerechnet wurden. In Österreich waren davon rund 200.000 Menschen betroffen. In Folge dessen wurden sie zum Ziel von Enteignungen und pogromartigen Übergriffen.

Bei den Novemberpogromen 1938 wurden in den meisten Landeshauptstädten Österreichs jüdisches Eigentum zerstört und 27 Menschen ermordet. Erstmals wurden tausende verhaftet und in Konzentrationslager interniert. Ab 1941 wurden Juden und Jüdinnen systematisch aus der Gesellschaft entfernt und in großer Anzahl in Konzentrationslager verschleppt. Ein Jahr später definierte das NS-Regime mit der "Endlösung der Judenfrage" ihr Ziel, alle in Europa lebenden Juden zu vernichten. In den KZs wurden Juden und Jüdinnen entweder zu schweren Arbeiten gezwungen, welchen sehr viele von ihnen zum Opfer fielen. Andere wurden systematisch ermordet, vergast oder ließen ihr Leben bei sogenannten "Todesmärschen". In Summe brachte der Nationalsozialismus mit seinem antisemitischen Völkermord rund sechs Millionen Juden den Tod. Allein 66.000 österreichischen Jüdinnen und Juden wurde bis 1945 das Leben genommen.

Die Gründung des Staates Israel war eine direkte Folge der Verfolgung des europäischen Judentums.

Antisemitismus heute: Wie ist die Lage?

Eine zentrale Kontinuität des Antisemitismus im Nachkriegs-Österreich war der sogenannte "Grundkonsens". Der Rechtsextremismusforscher Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) beschreibt damit die "implizit antisemitische Zurückweisung und Verdrängung der österreichischen Mitverantwortung am Nationalsozialismus".

Ein Kristallisationspunkt der Debatte war die Waldheim-Affäre. Der ranghohe ÖVP-Politiker und spätere Bundespräsident, Kurt Waldheim, hat jahrzehntelang seine Mitgliedschaft bei zwei Nazi-Organisationen und seinen Militärdienst im Dienste der Nationalsozialisten "verschwiegen bzw. darüber bewusst die Unwahrheit gesagt", wie es in "Antisemitismus in Österreich: ein (unvollständiger) Überblick" heißt. Als dies bekannt wurde, erntete Österreich harsche Kritik aus dem Ausland und Waldheim war vorübergehend politisch isoliert.

Der Antisemitismus jedoch hält sich bis heute in Österreich hartnäckig. Nicht nur hegen weite Teile der Bevölkerung Vorurteile gegen Juden, weit verbreitet sind auch Verschwörungserzählungen, in deren Zentrum Juden stehen. Ein Drittel der in Österreich lebenden Menschen stimmten in einer Befragung folgendem Satz zu: Juden würden "Vorteile daraus ziehen, Opfer während der Nazi-Zeit gewesen zu sein". Nur aus der Gruppe der türkisch- und arabischsprachigen Befragten erhielt diese Aussage noch mehr Zustimmung, so die im Auftrag des österreichischen Parlaments in Auftrag gegebene Studie "Antisemitismus 2022".

Eines der aktuell größten Feindbilder des zeitgenössischen Antisemitismus ist der US-amerikanische Investor und Philanthrop George Soros, oft steht er im Zentrum von Verschwörungserzählungen. Sie dienen dazu, in einer als überkomplex empfundenen Welt einen "Sündenbock" auszumachen.

Aufwind bekamen derlei Erzählungen insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie. Einerseits stilisiertem sich Impfgegner und Impfgegnerinnen zu den staatlich Verfolgten (die "neuen Juden") hoch, andererseits wurde hinter der staatlichen Pandemiebekämpfung eine Verschwörung oder ein größerer Plan vermutet. Stets im Zentrum stehen Juden und Jüdinnen und ihre Institutionen.

Was besagt der Antisemitismusbericht Österreich?

Der jährliche Bericht der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien zeigte für das Jahr 2021 eine beinahe Verdoppelung der antisemitischen Vorfälle auf 965 in ganz Österreich. Für den Anstieg seien in erste Linie die Aktivitäten der Gegner und Gegnerinnen der Coronaschutz-Maßnahmen verantwortlich, so der Bericht. Mit einer Entspannung ist nach ersten Zahlen auch für das Jahr 2022 nicht zu rechnen. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler sprach in dem Zusammenhang insbesondere die FPÖ an: "Wir sehen auch Politiker, die sich nicht von der Verharmlosung der Shoah distanzieren und sich feige auf die Meinungsfreiheit herausreden." Tatsächlich ist der Forschung zufolge die Wählerschaft der FPÖ deutlich antisemitischer als jene anderer Parteien.

Wie kann Antisemitismus bekämpft werden?

Der deutliche Anstieg antisemitischer Vorfälle gereichte der österreichischen Bundesregierung im Jahr 2021 zum Anlass, eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus zu bestimmen, um jüdisches Leben in Österreich längerfristig abzusichern und zu fördern. "Jede Form von Antisemitismus soll bekämpft werden", heißt es dazu in einer Aussendung des Innenministeriums. Umfassen sollte der Aktionsplan Sensibilisierungs-Workshops mit Jugendlichen, Multiplikator:innen und Geflüchteten. In Zukunft soll das Holocaust-Gedenken gefördert und eine Neugestaltung der Österreich-Ausstellung im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Polen vorgenommen werden. An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde ein Zentrum für Antisemitismusforschung einrichtet und in der polizeilichen Ausbildung soll die Sensibilisierung auf Judenfeindlichkeit Thema werden.

Nach einem Jahr veröffentlichte die österreichische Bundesregierung ihren Umsetzungsbericht mit der Feststellung, "ein großes Problem sei noch größer geworden" (Verfassungsministerin Karoline Edtstadler). Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien lobte zwar die Nationale Strategie, sagte aber "Es ist noch viel zu tun" und kritisierte die FPÖ, die sich "kontinuierlich antisemitisch" betätige.

Wo kann man antisemitische Vorfälle melden?

Antisemitische Vorfälle - auch online - können bei der Meldestelle Antisemitismus der Israelitischen Kultusgemeinde oder den Meldestellen des Vereins Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit angezeigt werden.

Antisemitismus bei Jugendlichen: Wie geht man damit um?

Untersuchungen zeigen, dass keine Altersgruppe besonders antisemitisch ist, vielmehr haben verschiedene Altersstufen spezifische Themen, die sie mit Antisemitismus in Verbindung bringen.

Andreas Peham vom DÖW zufolge sei Antisemitismus in jedem Fall vor allem mit Bildung zu begegnen. Er fordert "eine umfassende Bildung im aufklärerischen oder humanistischen Sinne". Die Wurzeln des Antisemitismus seien in den Verursachern, nicht in den Opfern zu finden, heißt es in einem mit der Politikwissenschafterin Elke Rajal gemeinsam verfassten Aufsatz. Zentral sei dafür der "stabilisierenden Bedeutung" für die Antisemiten nachzugehen, um Funktionen und Wirkungsweisen des Antisemitismus erkenntlich zu machen.

Sei dies nicht zielführend, müsse in Extremfällen auch auf Repression als eine "entschiedene Reaktionen der staatlichen Autoritäten" zurückgegriffen werden. Auf Delikte wie Verhetzung oder die Glorifizierung des Holocaust stehen in Österreich hohe Strafen.