Die israelfeindlichen Aussagen des österreichischen Song-Contest-Gewinners wurden zwar kritisiert, aber nicht breit debattiert. Dabei wäre eine kritische Auseinandersetzung – gerade mit heiklen Themen – enorm wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Der österreichische Song-Contest-Gewinner Johannes Pietsch alias JJ sagte in einem Interview gegenüber der spanischen Zeitung El País, dass er enttäuscht sei, dass Israel beim Song Contest noch dabei sei, er sich den Bewerb nächstes Jahr ohne Israel wünsche und dass Israel den Krieg im Gazastreifen – wie Russland jenen in der Ukraine – provoziert habe. Er stellte damit einen unzulässigen Vergleich zwischen Israel und Russland her und stimmt in eine einseitige Form der Israel-Kritik ein, die gerade für einen internationalen Vertreter Österreichs – und sei es nur auf der Bühne des Pop und Schlager – problematisch ist. Das ist kritikwürdig und diskutabel.
Kritisiert wurden seine Aussagen dann auch: von mehreren Vertretern der Jüdischen Gemeinde in Österreich, von Politikern wie der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die Pietsch ausrichtete, er sei „gefährlich schlecht beraten“ und brauche eine Geschichtslektion, von zahlreichen mehr oder weniger prominenten Meinungsmachern in diesem Land. Aber diskutiert wurden sie nicht. JJ stellte seine Aussage via Presseaussendung richtig, entschuldigte sich für den Fall, dass er missverstanden worden sei (oft ein Hinweis darauf, dass man es mit der Entschuldigung inhaltlich nicht ganz so ernst meint) und kündigte an, sich nicht mehr zu dem Thema äußern zu wollen. Und aus. Karriere beschädigt, oder vielleicht auch nicht, viel Porzellan zerschlagen, Aufregung hier wie dort riesig, Erkenntnisgewinn: null.
Was liegt, pickt
Das ist auch, aber nicht nur ein Vorwurf an einen offensichtlich überforderten 24-Jährigen, der sich in einem Interview auf politisches Glatteis begeben und jetzt anscheinend keine Lust hat, darauf noch mehr auszurutschen. Das Unbehagen rührt eher daher: So führen wir wichtige und viele Menschen in diesem Land bewegende Diskussionen – gar nicht? Zwei Seiten richten sich über Medien ihre gegensätzlichen Standpunkte aus, und dabei bleibt’s? Keine Debatte, keine Aussprache, nicht einmal der Versuch, aufeinander zuzugehen und zu verstehen? Kein Raum, um zu lernen, kein Raum, sich zu entwickeln?
So führen wir in diesem Land wichtige, viele bewegende Diskussionen – gar nicht?
Was liegt, pickt. Die Brutalität dieser Social-Media-Logik ist enorm. Sie führt dazu, dass die öffentliche Auseinandersetzung in diesem Land generell immer flacher wird. Früher befetzten sich Andersdenkende live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Heute regiert das Hinsichtl und Rücksichtl.
Ergebnis: Die öffentliche Debatte ist nichtssagend geworden. Politiker bauen vorsichtig schwindelerregende Rhetoriktürme in die Wolken, um ja nicht verstanden und verantwortlich gemacht werden zu können. Meinungen gibt es nur noch in der Anonymität des Internets, und dort zu viele davon. Im Licht der Öffentlichkeit regiert die Angst davor, etwas Falsches zu sagen, missverstanden zu werden, oder sich sonst wie in die Nesseln zu setzen. Diese Vorsicht korrespondiert aber nicht mit der Gefühlslage vieler Menschen. Das führt zu Entfremdung, einem stummen Hohlraum dort, wo eigentlich Gespräch stattfinden sollte. Und wo es hohl ist, kann’s leicht brechen.
Voneinander lernen
Zurück zu JJ und der Frage: Sollte es nicht möglich sein, sich mit seinen Positionen diskursiv auseinanderzusetzen, ganz altmodisch, wie man es früher gemacht hat, mit reden und zuhören und gegenreden und so weiter; sollte es nicht möglich sein, zu verstehen und zu erklären, anstatt ein knappes Statement mit einem anderen zu kontern und eine Debatte, die viele bewegt, damit für beendet zu erklären, bevor sie überhaupt begonnen hat? Keine Debatte über die Möglichkeit von Antisemitismus, keine Sekunde lang und keinen Millimeter weit. Nie.
Aber über die Frage, was diesen Mann und seine Generation bewegt, welche Sorgen ihn umtreiben und wie man im Miteinander-Sprechen voneinander lernen und vielleicht sogar zu gemeinsamen Positionen finden könnte. Um zu verhindern, dass im Verborgenen, abseits der öffentlichen Räume, fragwürdige Haltungen und Einstellungen heranwachsen. Das Gesprächsangebot des israelischen Botschafters in Österreich an JJ zeigt, in welche Richtung es gehen sollte.
Schweigen über Israel
Es ist nur wahnsinnig schwierig. In Österreich muss man über Israel schweigen, scheint’s. Eine Folge der jahrzehntelangen Versäumnisse bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Immer noch schimmern oft, allzu oft antisemitische Argumentationsmuster durch, wenn es angeblich darum geht, die Politik der aktuellen israelischen Regierung zu kritisieren.
Also wird einfach gar nicht darüber gesprochen. Oder nur im geschützten Raum, am Stammtisch, dort, wo es keiner hört. Während die Politiker im Fernsehen ihre Wortteppiche vorsichtig mit heißen Nadeln stricken. Auf Dauer wird das nicht funktionieren. Das Schweigen dröhnt, es schmerzt, der Hohlraum wächst. Wir müssen miteinander reden. Auch, oder vor allem, über dieses schwierige Thema.