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Klimawandel: Ist der Winter bald Schnee von gestern?

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©APA-Images / AFP / JOE KLAMAR

Österreichs Tourismus lebt von der kalten Jahreszeit, aber die wird immer wärmer. Im Kampf um das weiße Wunder klammert sich der Tourismus an die Technik – und die Bevölkerung an ein Gefühl.

Von Alexandra Polič

Am Morgen ist alles weiß. Die Sonne liegt flach über dem Hang, der Schnee glitzert, die Lifte laufen an. Die ersten Skifahrer ziehen Spuren in die Piste, hart und glatt vom Frost der letzten Nacht. Es sieht aus wie immer, wie ein richtiger Wintertag in den Alpen. Aber die Idylle steht auf der Kippe.

Kein anderes Land in Europa hängt so sehr am Schnee – und kaum eines verliert ihn so rasant wie Österreich. Hinter dem Winter steckt ein Milliardenmotor. Rund 50 Millionen Ersteintritte in Gondeln und Lifte zählt Österreich jedes Jahr. Sie bringen 12,6 Milliarden Euro Umsatz und 6,7 Milliarden Euro Wertschöpfung – direkt und indirekt. Über das ganze Jahr gerechnet hat der Tourismus im Jahr 2023 6,1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen.

Im Winter arbeiten rund 282.000 Menschen in Hotellerie, Gastronomie und Seilbahnunternehmen – das sind fast sieben Prozent aller Beschäftigten des Landes. Allein in der Wintersaison 2024/25 wurden 72 Millionen Nächtigungen und mehr als 20 Millionen Ankünfte gezählt. Mit diesen Zahlen schmückt sich die Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Doch was passiert, wenn die Grundlage für all das bröckelt? Wenn unter den Skiern der Schnee schwer wird, am Pistenrand braunes Gras auftaucht, Wasser über den Hang rinnt? Wie sieht die Zukunft des Winters aus – und wie lange hält er noch durch?

Eingriffe in die Natur

Diese Frage hat sich die Wissenschaftsjournalistin Laura Anninger gestellt – und gemeinsam mit Klimaforschern und Skiliftbetreibern nach Antworten gesucht. In ihrem Buch „Schnee von morgen“ skizziert sie Skifahren in Zeiten des Klimawandels. Denn dass die Erde sich erwärmt, hat unweigerlich Einfluss auf den Wintersport – und vice versa.

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 © Verlag Anton Pustet

Aus Anningers Recherche geht hervor: Der Ausbau der Skigebiete hinterlässt tiefe Spuren. Sprengungen, Speicherteiche, Zufahrtsstraßen – all das belastet Böden und bedroht die Artenvielfalt. Auch die Beschneiung hat ihren Preis. Sie verschlingt enorme Wassermengen, oft aus eigens angelegten Speicherbecken. Mancherorts wird das Wasser knapp, anderswo steigt die Gefahr von Hochwasser – weil Wasser dorthin gepumpt wird, wo es von Natur aus nicht wäre.

„Der größte Widerspruch“, sagt Anninger, „ist, dass die Natur eigentlich das wichtigste Gut der Skigebiete ist – und man genau in diese Natur massiv eingreift, um sie wirtschaftlich zu nutzen.“

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 © Waltl&Waltl

Taut es jetzt?

Trotz der Spuren im Gelände bleibt die Hoffnung groß. Jedes Jahr warten Skifahrerinnen, Hoteliers und Liftbetreiber auf den Schnee. Der kommt vielerorts längst aus Maschinen: Mehr als drei Viertel aller Pistenflächen in Österreich sind beschneibar. Aber auch das Kunstweiß braucht Frost.

Wie der kommende Winter verlaufen wird, lässt sich laut Experten der GeoSphere Austria im November noch nicht sagen. Fest steht: In den vergangenen 70 Jahren ist die Wintertemperatur in Österreich um rund 2,5 Grad gestiegen. Kalte Winter werden seltener. Schneedecken schmelzen schneller. Milde Winter nehmen zu.

Eine Untersuchung der GeoSphere Austria zeigt: In Österreich liegt heute im Durchschnitt rund sechs Wochen weniger Schnee als noch vor 60 Jahren. Forschende der Universität Innsbruck rechnen damit, dass sich der Bedarf an Beschneiung bis 2050 im ungünstigsten Fall verdoppeln wird. Zwar werden die Anlagen effizienter und der Strom zunehmend erneuerbar. Aber auch der Wasserbedarf für die Beschneiung steigt damit enorm.

Bleibt die Frage, woher es kommen soll – und wer sich das noch leisten kann. Aber Zahlen allein erklären nicht, warum Österreich so schwer vom alten Winterbild lassen kann.

Das Skifahren ist in Österreich ganz stark mit unserer Identität verbunden, fast wie ein Teil des nationalen Selbstverständnisses

Anna Pribil
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Teil der Identität

„Das Skifahren ist in Österreich ganz stark mit unserer Identität verbunden, fast wie ein Teil des nationalen Selbstverständnisses“, sagt die Klimapsychologin Anna Pribil. Der Winter ist mehr als eine Jahreszeit, er ist ein Gefühl: weiße Weihnachten, Skifahren in den Ferien, Germknödel auf der Hütte. „Winter ist emotional aufgeladen – all das gehört zu unseren Kindheitserinnerungen“, erklärt Pribil.

Wenn der Schnee schwindet, trifft das also nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Selbstbild. „Wenn man merkt, dass die Winter nicht mehr so sind wie in der eigenen Kindheit, kann das Traurigkeit auslösen – oder sich wie ein kleiner Identitätsverlust anfühlen.“

Der Glaube an den ewigen Winter, sagt die Klimapsychologin, habe viel mit Verdrängung zu tun – und mit wirtschaftlichen Interessen, vor allem im Tourismus. Aber der könne auch andere Selbstverständnisse nutzen: „Vielleicht sollten wir uns stärker mit anderen Dingen identifizieren – mit dem Wandern, der Bergkultur, der regionalen Küche.“

CO2 runter

Einige dieser Ideen greifen Alpenregionen bereits auf. Denn mit den Folgen schneearmer Winter beschäftigen sie sich seit Jahren. Zugleich versuchen sie, ihre Emissionen zu senken: Immer mehr Betriebe setzen auf erneuerbare Energie, alternative Treibstoffe und eine umweltfreundlichere Anreise mit Bahn und Bus.

Die Snow Space Salzburg Bergbahnen wollen schon in der kommenden Saison klimaneutral wirtschaften. In den vergangenen Jahren haben sie ihre Emissionen im eigenen Betrieb um rund 60 Prozent reduziert. Die restlichen Treibhausgase sollen künftig durch regionale Kompensationsprojekte ausgeglichen werden.

Skiregionen rüsten auf

„Wir wissen, dass es insgesamt wärmer wird – und wir müssen alles unternehmen, um die Steigerungskurve abzuflachen. Das ist existenziell für unser Dasein und auch für den ­Wintertourismus“, sagt Leo Bauernberger, Geschäfts­führer von SalzburgerLand Tourismus.

In Salzburg dürfen Nächtigungsgäste kostenlos mit Bus und Bahn fahren, zudem setze man auf Photovoltaik und Geothermie. „Natürlich werden es kleine Skigebiete unter 900 Metern in Zukunft schwer haben. Aber der Großteil liegt höher.“ Die Frage ist wohl, was es kosten wird – die Natur und die Wirtschaft.

„Natürlich kostet es auch viel Geld, keine Frage, aber wir können es uns zum Glück leisten“, sagt Georg Bliem, Geschäftsführer der steirischen Planai-Hoch­wurzen-Bahnen. Fast 1.000 Schnee­kanonen sind in seinem Betrieb im Einsatz. In Umweltfragen verweist Bliem auf ISO-Zertifizierungen, ein eigenes Umweltmanagement und eine Nachhaltigkeitsbeauftragte, die im Sommer für Pistenpflege und Bodenerhalt zuständig ist.

Strategie: Ganzjahresdenken

Um die Abhängigkeit vom Winter zu reduzieren, wartet man in Kärnten mit Österreichs erstem ganzjährig buchbaren Weitwanderweg auf. Auf dem Nockberge-Trail ziehen im Winter Tourengeher ihre Spuren in den Schnee, im Sommer steigen Wanderinnen über die Grate.

„Unsere Strategie heißt Ganzjahresdenken und Angebotsvielfalt“, sagt Klaus Ehrenbrandtner, Geschäftsführer der Kärnten Werbung. Gleichzeitig verweist er auf die ökonomische Komponente des ewigen Winters: „Jeder Euro, der im Skibetrieb erwirtschaftet wird, löst bis zu sieben Euro an zusätzlicher Wertschöpfung in den nachgelagerten Bereichen wie Hotellerie, Gastronomie, Handel und Infrastruktur aus.“

Kampf um Klimaschutz

Um den Winter so lange wie möglich zu erhalten, müssen viele an einem Strang ziehen. Die meisten Initiativen in Österreich stammen aus der Branche und der Zivilbevölkerung. Es gibt Zusammenschlüsse von Skigebieten wie die Global Sustainability Ski Alliance oder Vereine wie Protect Our Winters, die sich politisch engagieren.

Seitens politischer Verantwortungsträger wartet Österreich weiter auf ein Klimaschutzgesetz. Die Regierung hat sich zwar vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu werden – aber der erste Gesetzesentwurf, der im Sommer durchsickerte, streicht dieses Ziel. Und: Klimaneutralität bezieht sich ohnehin nur auf Emissionen, nicht auf andere Eingriffe in die Natur, wie etwa das Bauen von Speicherteichen.

Umweltminister Norbert Totschnig kündigte an, das Gesetz im Herbst ins Parlament zu bringen. Geschehen ist seither nichts. Konkrete Maßnahmen zum Schutz der Natur oder zur Anpassung der Wintersportregionen sind bisher nicht bekannt. Im Regierungsprogramm steht lediglich, man wolle die Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus untersuchen.

Anpassung und Schutz

Im politischen Raum bleibt das Klimaziel vage – in den Bergen aber drängt die Zeit. Welche Wege führen also aus der Abhängigkeit vom Schnee? Die Wissenschaftsjournalistin Laura Anninger glaubt nicht an einfache Lösungen: „Es gibt keine Blaupause – jede Region muss ihren eigenen Weg finden. Wichtig ist, auf Daten zu schauen, mit Forschenden zusammenzuarbeiten und externe Partner einzubeziehen, um vorherrschende Dynamiken auszugleichen.“

Hoffnung machen ihr vor allem Projekte, die von unten entstehen. „Ich finde es schön, dass es viele Forschungsprojekte gibt, die ‚bottom-up‘ funktionieren – also mit den Gemeinden gemeinsam. Zum Beispiel MountResilience oder BeyondSnow – da sind auch Seilbahnbetreiber eingebunden“, sagt Anninger.

Ohne radikalen Klimaschutz hilft uns Anpassung irgendwann nicht mehr

Laura Anninger

Lösungsansätze in der Praxis

BeyondSnow will Skiregionen helfen, widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu werden. Gemeinsam mit Gemeinden werden neue Wege entwickelt, wie Orte auch ohne Schneesicherheit attraktiv bleiben können – für Einheimische wie für Gäste. Das umfasst zum Beispiel Sommer- oder Ganzjahresangebote.

MountResilience verfolgt ein ähnliches Ziel: In neun europäischen Gebirgsregionen werden dort konkrete Lösungen getestet, wie sich Gemeinden besser an die Folgen des Klimawandels anpassen können. „Und es gibt Gemeinden, die schon umgestellt haben, etwa St. Corona am Wechsel“, ergänzt Anninger, „da sind neue, ganzjährige Arbeitsplätze entstanden – nicht nur saisonale.“

Trotzdem müsse man die Projekte in Relation setzen. „Ohne radikalen Klimaschutz hilft uns Anpassung irgendwann nicht mehr. Wenn wir, wie aktuell prognostiziert, auf 2,8 Grad Erwärmung oder mehr zusteuern, dann werden wir am Ende des Jahrhunderts Probleme wie Wasserknappheit und Waldbrände haben – da wird Tourismus keine Priorität mehr sein“, sagt die Wissenschaftsjournalistin.

Am Ende gehe es in ihrem Buch trotzdem nicht um Verbote, sondern um Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel steht: „Ich wollte aufzeigen, dass wir etwas verlieren, was uns allen wichtig ist.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2025 erschienen.

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