Klimatologe: "Wir haben keine Zeit mehr"
Wenn jetzt nicht rasch Maßnahmen gesetzt werden, kann es rund um das Jahr 2050 in Österreich jährlich 6.000 Hitzetote geben, warnt der Stadtklimatologe Simon Tschannett. Er erklärt, welche Herausforderungen die steigenden Temperaturen für Städte bedeuten und wie sie sich vorbereiten können.
Wir wollten uns an einem Ort treffen, der eine gewisse Aussagekraft für das Thema hat, das wir besprechen wollen, nämlich Hitze in der Stadt. Warum, Herr Tschannett, sind wir hier im Bruno-Kreisky-Park im fünften Wiener Gemeindebezirk?
Das hat eigentlich mehrere Gründe. Einerseits ist hier gut zu spüren, dass die gefühlte Temperatur auch untertags angenehm bleiben kann, wenn man unter den Bäumen im Schatten sitzt. Selbst an einem sehr heißen Sommertag. Und in der Nacht ist das hier ein Ort, den die Kaltluft aus dem Wienerwald gerade noch erreicht. Das ist für den erholsamen Nachtschlaf ganz wichtig. Je weiter drinnen in der Stadt, desto weniger Kaltluft strömt hinein.
Es ist hier im Schatten tatsächlich erträglich, obwohl der Tag extrem heiß ist. Die Zahl der Hitzetage in Wien hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Ist die Stadt für diese Temperaturen gebaut?
Wenn es an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 30 Grad hat, spricht man von einer Hitzewelle. In den Jahren 1900 bis 1910 gab es in Wien keine einzige solche Hitzewelle. 1911 gab es eine, und dann bis 1920 keine mehr. Das ist genau die Zeit, in der in Wien extrem viel gebaut wurde. Damals hat man nicht über Hitze nachgedacht, sondern über das Heizen. Seitdem haben wir als Menschen das Klima radikal verändert und erleben jedes Jahr mehrere Hitzewellen. Daher müssen wir jetzt radikale Maßnahmen treffen.
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Welche Gegenden in Wien sind besonders betroffen?
Es gibt innerhalb der Stadt sehr große Unterschiede. Es gibt Gebiete, die in der Nacht bevorzugt sind, weil sie in Kaltluftschneisen liegen. Oder weil es Gewässer in der näheren Umgebung gibt, die aber auch nicht zu warm werden dürfen, weil sie dann Wärme abgeben, anstatt zu kühlen. Untertags hängt das Wohlbefinden stark davon ab, ob man sich unter Bäumen, die viel Schatten werfen, aufhalten kann oder ob Parks in der Nähe sind. Oder ob ich an hellen oder dunklen Fassaden vorbeikomme. Erstere reflektieren das Sonnenlicht und ich fühle mich gleich unwohler, weil ich das als heiß empfinde. Man kann also nicht sagen, es gibt die eine Maßnahme, die in der ganzen Stadt funktioniert.
Ich nehme an, in Hietzing oder Döbling - zwei reichen Außenbezirken mit relativ viel Grün - lässt es sich besser aushalten als in dem dicht verbauten Arbeiterbezirk Favoriten. Handelt es sich auch um ein soziales Problem?
Die Hotspots liegen hauptsächlich innerhalb des Gürtels, es ist also auch der erste Bezirk sehr stark betroffen, in dem viele wohlhabendere Menschen wohnen. Da wird dann halt oft durch Klimaanlagen ausgeglichen, die aber viel Energie verbrauchen und den Klimawandel erst recht wieder anheizen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber gibt es soziale Problemstellungen? Ja, natürlich. Ich bin davon überzeugt, dass Wien aufgrund des sozialen Wohnbaus, den es lange Zeit gegeben hat und immer noch gibt, in einer besonders guten Ausgangslage für das soziale Management der Klimakrise ist. Aber man muss jetzt Lösungen finden, damit auch wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen in einer heißeren Stadt noch gut leben können.
Wenn die Prognosen der Klimaforscher stimmen, wie viel Zeit haben wir noch, bis es richtig ungemütlich wird in Wien?
Ich finde, es ist schon ungemütlich. Ich bin Mitte der 90er-Jahre aus Vorarlberg nach Wien gezogen. Damals war es noch weitaus gemütlicher. Wir haben keine Zeit mehr. Eigentlich müsste schon längst ganz viel passieren, sowohl in Sachen Klimaschutz als auch in Sachen Anpassung an den Klimawandel. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Klimaveränderungen nicht noch extremer werden.
Klimatologische Kenntage in Wien 1955 bis 2022*
*Die Klimaveränderungen in den vergangenen 70 Jahren sind auf den ersten Blick zu erkennen: In den 1960er-und 70er-Jahren gab es noch viele Frost-und Eistage, seit den 90er-Jahren nehmen die Sommer-und Hitzetage stark zu. In Innenstadtlagen gab es noch mehr Hitzetage als im hier ausgewiesenen Schnitt.
Das lässt sich mit lokalen Maßnahmen aber kaum beeinflussen, oder?
Wir haben natürlich nur eine Chance, wenn wir uns global alle gemeinsam daranmachen. Aber man soll nicht immer mit dem Finger auf die anderen zeigen. Wir stoßen in Mitteleuropa pro Kopf sehr viel CO2 aus, andere Länder sind da weit hinterher. Und wir im globalen Norden haben eine riesige historische Schuld, gerade weil CO2 Hunderte bis tausend Jahre in der Atmosphäre bleibt. China zum Beispiel hat bis 2017 knapp 13 Prozent der globalen CO2 Emissionen zu verantworten, die EU-28 aber 22 Prozent. Und ich bin auch dagegen, dass man die ganze Last dem Einzelnen oder der Einzelnen umhängt, dass man das Problem delegiert und individualisiert. Das ist viel zu kurz gegriffen. Es ist Aufgabe der Politik, gesetzliche Regelungen zu schaffen. Wir müssen radikal und schnell den CO2-Ausstoss geringer werden lassen. Sonst werden die Veränderungen auch lokal so groß, dass angenehmes Leben in der Stadt kaum mehr möglich ist.
Wie kann man sich das dann konkret vorstellen?
Es wird dann viel mehr Tage geben, an denen wir Hitze erleben. Es wird sich auch die Art und Weise verändern, wie wir kulturell leben können.
Man bleibt tagsüber eher zu Hause, wenn irgendwie möglich, und geht eher abends raus?
Wir haben ja den großen Vorteil, dass wir uns an die Beispiele der südlichen Länder anlehnen können. Siesta zum Beispiel wird sicher ein Thema. Dass man in den heißesten Stunden nicht im Freien arbeitet. Es hat natürlich auch Auswirkungen auf Ladenöffnungszeiten und Arbeitszeiten. Ganz wichtig wird auch das Thema Hitzemanagement etwa im Krankenhaus. Viele Krankenhäuser sind nicht einmal mit Klimaanlagen ausgerüstet. Von den ganz kleinen bis zu großen strategischen Maßnahmen muss man an sehr vielen Schrauben drehen. Und meiner Überzeugung nach klappt das nur dann, wenn man als Gesellschaft erkennt: Jawohl, das ist notwendig. Dann sind auch die Schritte, die Politikerinnen und Politiker setzen, akzeptiert.
Weltweite Wetterextreme in Zahlen
- 100 Löschflugzeuge und Helikopter sind in Griechenland seit Tagen im Einsatz. Dennoch gelingt es nicht, die Feuer in den Griff zu bekommen. Besonders schlimm ist die Situation auf der beliebten Ferieninsel Rhodos. Doch auch in anderen Ländern wie der Türkei, Albanien, Italien oder Tunesien wüten aktuell Waldbrände. In Algerien forderten die Flammen bereits Dutzende Todesopfer.
- 10 Prozent der Hotels auf Rhodos sind durch die Flammen beschädigt worden. 150 Quadratkilometer Wald und landwirtschaftlich genutztes Land wurden zerstört.
- 70 Prozent aller Waldbrände weltweit finden in Afrika statt. Hier brennen jedes Jahr rund 300 Millionen Hektar.
- 10 Millionen Hektar Wald verbrannten bis Mitte Juli in Kanada - eine Fläche größer als Österreich. 500 Waldbrände wüten aktuell in Kanada. Die Hälfte davon ist außer Kontrolle. 100 Millionen Menschen sind von den Rauchwolken betroffen. 600 Millionen Tonnen Kohlendioxid setzten die Feuer in Kanada bis Ende Juni frei.
- 1,4 m wird der Meeresspiegel laut aktuellen Klimamodellen bis zum Jahr 2150 ansteigen.
- 5 °C wärmer als gewöhnlich war das Meer rund um Irland im Juli. Die Temperatur im Nordatlantik lag im Juni 0,9 Grad über dem langjährigen Durchschnitt.
- 36,1 °C erreichte die Meerestemperatur bei Johnson Key nahe Florida.
- 0,5 °C über dem Schnitt lag die weltweite Temperatur im Juni. Laut europäischem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus war der Juni 2023 weltweit der bisher heißeste Monat seit Aufzeichnungsbeginn.
- 60.000 Opfer forderte die Hitze in Europa im Jahr 2022.
- 41,8 °C erreichte die Temperatur am 18. Juli in Rom. In Mallorca und Katalonien wurden mit 44,5 bzw. 45,4 Grad neue Rekorde gemessen.
- 3 Billionen Tonnen Eis sind seit 1996 alleine in der Amundsensee an der Westküste der Antarktis geschmolzen.
- 4 Mal schneller als im globalen Durchschnitt stiegen die Temperaturen in der Arktis in den vergangenen 40 Jahren.
- 15 °C mehr könnte es in der Arktis bis Ende des Jahrhunderts haben. Optimistischere Prognosen gehen von einem Plus von sechs Grad aus.
Wie wäre es, wenn sich einfach alle Klimaanlagen einbauen lassen?
Das geht nicht. Wir hätten nicht annähernd genug Strom.
Wer bestimmt dann eines Tages, wer eine Klimaanlage haben darf und wer nicht?
Das wird gesellschaftlich zu diskutieren sein. Wir sollten etwa vulnerable Gruppen bevorzugen. Wobei es ja auch andere Möglichkeiten gibt, zu kühlen. Mit Lüftung und Beschattung kommt man ebenfalls weit. Die Fenster untertags schließen und die Rollos herunterziehen, frühmorgens lüften. Aber auch die Frage der Kühlung ist natürlich eine soziale Frage: Wer hat eine Klimaanlage? Eher die, die wirtschaftlich gut gestellt sind. Es ist ein riesiges Fragezeichen, ob Wien es in den nächsten Jahren schaffen wird, den Klimawandel auch für jene gut abzufedern, die wirtschaftlich schlechter gestellt sind.
Und die, die es sich leisten können, ziehen aufs Land?
Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein Comeback der Sommerfrische gibt. Wer kann, verbringt den Sommer auf dem Land. Auch das wird eine gesellschaftliche Diskussion sein: Wie kann man es wirtschaftlich schlechter gestellten Menschen ermöglichen, sich an Orte zurückzuziehen, wo sie sich während der ärgsten Hitzewellen im Sommer ein wenig erholen können? Es kommt ja auch zu enormen Leistungseinbußen, was für die Wirtschaft wiederum ein großes Thema ist. Wir möchten ja, dass die Leute fit und konzentriert bei der Arbeit sind, damit keine Fehler passieren.
Die Wirtschaftsleistung Österreichs könnte leiden?
Sie wird leiden, wenn wir das nicht besser in den Griff bekommen.
Ist dieses Szenario unausweichlich oder tritt es nur ein, wenn bestimmte Klima-Kipppunkte überschritten werden?
Meiner Meinung nach ist es jetzt schon unausweichlich. Wir müssen jetzt schon Hitzemaßnahmen für soziale Einrichtungen treffen. Wir brauchen viel mehr Bäume in der Stadt. Die Parkplätze an den Oberflächen in der Stadt müssen weg, damit wir Platz für Anpassungsmaßnahmen haben und auch mehr Platz für klimaschonende Mobilität. Das alles müsste man eigentlich jetzt radikal angehen.
Die Stadt Wien hat sich einen Klimaschutzfahrplan bis zum Jahr 2040 vorgenommen. Geht da genug weiter?
In dem Fahrplan ist nicht festgehalten, welche Maßnahmen wann genau passieren sollen. Das kann man natürlich kritisieren. Andererseits bedeutet er auch einen großen Schritt, nämlich dass bestimmte Dinge endlich festgeschrieben worden sind. Und jetzt müssen natürlich Taten folgen.
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Das Gefühl vieler Wienerinnen und Wiener ist, dass die Stadt ein eher gemächliches Tempo einschlägt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Mir geht es auch viel zu wenig schnell. Man setzt zwar Schritte in die richtige Richtung, aber die Problematik ist noch zu wenig angekommen. Denn: Selbst wenn wir in Österreich den CO2-Ausstoss von heute auf morgen stoppen könnten, würde es trotzdem noch ein paar Jahre lang wärmer werden. Das ist eine der Schwierigkeiten beim Erklären der Klimakrise. Wenn wir jetzt radikale Maßnahmen setzen, wird es in naher Zukunft nicht so viel anders sein, als wie wenn wir keine Maßnahmen setzen würden. Aber ab 2040 oder 2050 kommen die ganz großen Veränderungen. Und das betrifft dann unsere Kinder und Kindeskinder. Und auch uns selbst, wenn wir älter sind. Ich bin in 20 Jahren 66 Jahre alt. Ich werde das also noch erleben.
Ältere Menschen sind von der Hitze besonders betroffen.
Ich muss sagen, ich fühle mich auch jetzt schon betroffen, obwohl ich keiner besonders vulnerablen Altersgruppe angehöre. Aber natürlich: Die Übersterblichkeit ist bei Kleinkindern und älteren Personen höher. Um 2050 kann es 6.000 Hitzetote pro Jahr in Österreich geben, wenn wir keine Maßnahmen setzen. Das bedeutet, Maßnahmen zu setzen ist kein Nice-to-have, kein Luxus, um das Leben in der Stadt ein bisschen angenehmer zu gestalten, sondern es ist überlebenswichtig.
Trotzdem gibt es große Widerstände gegen Veränderungen. Wie löst man das auf?
Es ist auf der einen Seite eine hochpolitische Frage, wie wir als Gesellschaft mit dem Klimawandel umgehen, die entsprechend diskutiert gehört. Auf der anderen Seite haben wir aber eigentlich keine Zeit mehr, um lange herumzuplänkeln. Das ist eine Riesenherausforderung für Politik und Gesellschaft.
Und es fällt schwer, alte Gewohnheiten aufzugeben.
Ich verstehe das. Über Jahrzehnte gab es das Versprechen, wir sind im Wirtschaftswachstum, wir bauen das Land nach dem Zweiten Weltkrieg neu auf, das Beste ist, wenn die Wirtschaft wächst und wir uns etwas leisten können. Und jetzt ist das auf einmal kontraproduktiv. Mir ist schon klar, dass das eine große Herausforderung für viele ist. Darum finde ich auch, dass wir es miteinander machen müssen und dass es entsprechende Angebote braucht, damit möglichst viele Menschen erkennen können, warum das jetzt anders gedacht werden muss. Aber man kann eigentlich nicht mehr sagen, dass alles besser wird in Zukunft. Dieses Mindset muss man sich ganz klar veranschaulichen und internalisieren. Es geht nicht mehr darum, besser zu leben, sondern klimafit zu leben. Also angepasst an die neuen Umweltbedingungen.
Das Thema Mobilität ist ein großes Streitthema. Hat jeder das Recht, mit dem Auto überallhin zu fahren?
Es geht auch hier darum, bewusste Lebensentscheidungen zu treffen. Wo lebe ich und was bedeutet das für meine Mobilität? Fahre ich mit dem Auto in die Stadt, weil ich keine andere Möglichkeit habe, oder lebe ich in der Nähe öffentlicher Verkehrsmittel? Was nicht geht, ist, dass man alles hat. Stadt und ländlicher Speckgürtel und dort soll dann überall ein Bus vorbeifahren.
Sind die Menschen bereit für Klimaschutzmaßnahmen, die ihre bisherigen Lebensgewohnheiten in Frage stellen?
Ich schreibe eine Kolumne für die "Vorarlberger Nachrichten", und die Zuschriften, die ich da bekomme, sind überraschenderweise meistens sehr positiv. Ich glaube, dass großen Teilen der Bevölkerung sehr klar ist, was notwendig wäre, aber dass die Politik sich zu wenig traut. Ich bin überzeugt davon, dass viele mitgehen würden, wenn man die Sachen klar benennt und konsequent durchzieht.
Was müsste in Wien jetzt ganz konkret passieren?
Viele gesetzliche Rahmenbedingungen sind noch nicht angepasst. Die Bauordnungsnovelle, die im Herbst beschlossen werden soll, ist eine Riesenchance. Und es stehen Dinge an wie der Stadtentwicklungsplan 2035, der nächstes Jahr beschlossen werden soll und in dem hoffentlich die richtigen Schritte gesetzt werden, denn die nächste Chance gibt es dann erst wieder in zehn Jahren. Mir kommt vor, Wien ist jetzt gerade dabei, die Tragweite des Problems zu verstehen, diese ersten Schritte passieren noch im Hintergrund. So richtig losgehen müsste es dann in den nächsten ein, zwei, drei Jahren.
Sind Sie optimistisch, dass das etwas wird?
Ich wäre nicht mehr im Klimarat, wenn ich nicht optimistisch wäre. Ich wäge andauernd ab, ob es etwas bringt, was ich da tue, oder ob eigentlich Greenwashing betrieben wird. Das Gefühl habe ich aber nicht. Es gibt ja jetzt auch einen eigenen Klimadirektor mit weitreichenden Durchgriffsrechten.
Nutzt er die auch?
Das ist die große Frage. Wie weit kommt man mit Soft Power und wann muss man wirklich auf den Tisch hauen? Das ist eine Gratwanderung, die sehr schwierig ist. Ich möchte nicht in der Haut des Klimadirektors stecken. Aber er ist einer, der das kann.
Wien gilt in vielen Hinsichten als Musterstadt. Warum geht sie nicht auch in Sachen Klimamaßnahmen in die Offensive und versucht, weltweit führend zu sein?
Das frage ich mich auch manchmal. Bitte die Politikerinnen und Politiker fragen, das wäre wirklich wichtig. Ich finde, dass es auch Aufgabe von Medien ist, den Klimawandel nicht als einzelnes Thema zu sehen, sondern als Dimension, die in allen Ressorts vorkommt. Dann wäre das Bewusstsein noch größer. Das ist ein Wandel, den auch Medien durchmachen müssen. Politik braucht auch den Rückenwind, um Dinge durchsetzen zu können. Ich denke an die Zollergasse im siebenten Bezirk: Dort tobt das Leben seit der Umgestaltung. Solche Beispiele muss man herzeigen.
Wie halten Sie es persönlich mit dem Autofahren und Fliegen?
Wir haben kein eigenes Auto. Manchmal können wir das meiner Eltern borgen, was wir aber selten tun. Ich bin meistens öffentlich, zu Fuß oder mit Fahrrad unterwegs. Geflogen bin ich jahrelang nicht. Die nächste Stadtklimakonferenz findet in Sydney statt. Wenn man dort nachfragt, ob man auch online zuschauen könnte, sind alle ganz erstaunt. Die Sensibilisierung ist also auch bei Menschen, die sich mit dem Thema viel befassen, noch nicht ausreichend vorhanden, weil sie so sehr in diesen Strukturen drinstecken. Das ist für mich faszinierend. Wir fliegen natürlich nicht nach Sydney.
Darf man überhaupt noch fliegen?
Eigentlich nicht. Österreich stößt pro Jahr zwischen 70 und 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus. Wenn wir das Eineinhalb-Grad-Limit nicht überschreiten wollen, haben wir noch für zwei Jahre Budget und müssten 2025 CO2-neutral sein. Das ist schon sehr extrem und den meisten nicht bewusst.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 30/2023 erschienen.