Die Justiz ist digital, aber bei KI vorsichtig: Warum Algorithmen keine Urteile sprechen dürfen – und wie neue Technologien trotzdem sinnvoll helfen können.
Im Interview spricht der Oberösterreicher Werner Gschwandtner, seit Dezember 2024 oberster Personalvertreter der Justiz, über Digitalisierung, KI und warum die Justiz attraktiver werden muss.
Herr Gschwandtner, Sie sind leitender Justizbeamter des Oberlandesgerichtes Linz und Vorsitzender der österreichischen Justizgewerkschaft sowie neu und einstimmig gewählt oberster Personalvertreter der Justiz. Was können sich unsere Leser unter Ihrem Jobtitel vorstellen?
WERNER GSCHANDTNER: Im Wesentlichen vertrete ich alle Bediensteten der Justiz, der Gerichte und Staatsanwaltschaften und auch des Justizministeriums. Das heißt vom Portier bis zum Sektionschef, mit Ausnahme der Richter und Staatsanwälte. Die haben eine eigene Vertretung. Momentan reden wir hier von ca. 6700 Personen.
Wo liegt Ihre Hauptaufgabe aktuell?
Die Justiz muss in ihren Jobs attraktiver werden. Wir sind im Wettbewerb um die besten Bewerber und da hat die Justiz ordentlich Nachholbedarf. Wir haben uns über viele Jahre bemüht, mehr Planstellen zu bekommen. Die haben wir jetzt, aber nun können wir sie schwer besetzen. Dasselbe Thema wie in der Privatwirtschaft: Man findet sehr schwer gutes Personal.
Wo müsste man ansetzen, um die Justiz als Arbeitsplatz interessanter zu machen?
In erster Linie geht es darum, dass man in den Wertigkeiten Verbesserungen findet. Durch die Digitalisierung sind mittlerweile Aktenarbeiter zu IT-Spezialisten geworden. Jetzt wird es Aufgabe sein, diesen Sachverhalt zwischen Daumen und Zeigefinger nachzuschärfen. Im Klartext muss die Bezahlung angepasst werden. Dazu brauchen wir allerdings neben einer neuen Resortleitung in der Jusitz auch in der Bundesregierung eine neue Kompetenz, die sich um den öffentlichen Dienst kümmert. Es muss im öffentlichen Dienst das Budget dringend in Ordnung gebracht werden. Wir haben jetzt schon zu wenig Leute und wenn wir nicht bald reagieren, werden wir über kurz oder lang durch die demografische Entwicklung allein bleiben. Fakt ist, dass wir in zehn Jahren durch Pensionierungen 50 Prozent unserer Leute verlieren. Aber es gibt auch andere wichtige Parameter, bei denen angesetzt werden kann und muss.
Die da wären?
Ich bin Unterstützer unser Lehrlingsoffensive, denn die Lehrlinge sind mir ein besonderes Anliegen. Wir müssen versuchen, die Unterstützungsmöglichkeiten neben den Lehrlingsentschädigungen so attraktiv zu gestalten, dass wir auch gute Lehrlinge finden. Weiters geht es um die Berufsgruppe der Diplomrechtspfleger. Das sind Entscheidungsorgane ohne Studium, die allerdings völlig frei und eigenverantwortlich entscheiden können. Das ist in keinem anderen Beruf so möglich. Umso wichtiger ist es, dass wir hier den Bachelor nachziehen. Es versteht niemand, warum eine Hebamme einen Bachelor braucht, aber ein Diplomrechtspfleger, der über Schicksale, Unterhalte von Kindern etc. entscheidet, braucht das nicht. Obwohl die Ausbildung sicher gleichwertig, wenn nicht sogar höherwertig ist. Und genau das muss jetzt anerkannt werden. Das ist Zukunftsmusik – derzeit fehlt mir der Verhandlungspartner, Stichwort: Regierungsbildung.
Sie haben zuerst das Thema Digitalisierung angesprochen, wie kann man sich diese in Ihrem Bereich vorstellen?
Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, dass die Justiz zur Gänze digitalisiert wurde. Wir haben das System des papierfreien Aktes umgesetzt, welches ich maßgeblich unterstützt habe und unterstütze. Für mich hat sich nie die Frage gestellt, ob es eine Digitalisierung gibt; die Frage war, wann sie kommt. Das Gleiche gilt auch für die KI. Wir diskutieren nicht das Ob, sondern das Wann. Man muss aufpassen, dass man die Chancen der Veränderung wahrnimmt.
Stichwort KI – wird diese in der Justiz schon verwendet?
Wir sind an der Schwelle und noch sehr vorsichtig mit dem Begriff. Aber wie heißt es so schön: Berge, die man nicht versetzen kann, muss man besteigen. Wir werden jetzt schauen, wie man KI sinnvoll einbringen und sie zugunsten der Menschen einsetzen kann. Unvorstellbar für mich wäre allerdings, dass gerichtliche Entscheidungen nur allein von KI ausgefertigt werden. Die KI darf niemals eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Bei uns geht es in der Justiz um Menschen, um Karrieren, um Schicksale. Da kann es nicht sein, dass eine Software darüber entscheidet. Man kann Vorschläge erarbeiten lassen, aber unterm Strich brauchen wir bei der finalen Entscheidung die Absicherung der menschlichen Arbeitskraft.