Mit veralteten Holzflugzeugen, ohne Funk und ohne Fallschirme flogen sie nachts über deutsches Gebiet und wurden zu einer der gefürchtetsten Einheiten der Wehrmacht: die Nachthexen. Vor 80 Jahren ehrte die Sowjetunion diese außergewöhnlichen Pilotinnen – heute geraten ihre Taten fast in Vergessenheit.
Vor 80 Jahren, im Herbst 1945, verlieh der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets einer Gruppe junger Frauen den Orden ‚Heldin der Sowjetunion‘ – die höchste Auszeichnung der UdSSR. Nur 29 Frauen der Sowjet-Armee bekamen diese Ehrung, unter ihnen 23 Pilotinnen des 588. Nachtbomber-Regiments. „Das sind die Nachthexen“, raunte es ehrfurchtsvoll durch den Saal.
Freiwillige
Im Oktober 1941 beauftragte die Armeeführung die bekannte Pilotin Marina Raskowa, eine neue Einheit aufzubauen, die nur aus Frauen bestehen sollte. Die Sowjet-Armee war wenige Monate nach dem Überfall der Wehrmacht in einer verzweifelten Situation. Es fehlten Waffen, Panzer, Kampfflugzeuge, Soldaten und Piloten. Raskowa suchte in der Armee nach Freiwilligen. Die beiden Freundinnen Polina Gelman und Galja Dokutowitsch meldeten sich sofort.
Raskowa bekam den Befehl, die dreijährige Ausbildung in Engels an der Wolga auf drei Monate zu konzentrieren. Raskowa warnte vor den möglichen Folgen, doch man konfrontierte sie mit der nächste Überraschung – die Armee hatte zu wenig Flugzeuge. Die Pilotinnen und Navigatorinnen sollten auf alten, hölzernen Po-2-Doppeldeckern eingeschult werden, die beim Versprühen von Pestiziden einsetzt worden waren. Die Flugzeuge hätten keine Waffen, Funkgeräte oder Fallschirme an Bord. Jeder freie Raum müsse für die Ladung von Bomben genutzt werden. Die Einheit bestand aus 400 Frauen, alle zwischen 17 und 25 Jahre alt – Pilotinnen, Navigatorinnen, Mechanikerinnen und Bodenpersonal. Weltweit die erste weibliche Kampfflug-Truppe. Im Jahr 1943 bekam sie den ehrenvollen Titel 46. Garderegiment.
Doppeldecker
Die harmlosen Doppeldecker wurden zu tödlichen Waffen. Eine Polikarpov Po-2 war leise, konnte per Funk nicht geortet werden und zu klein, um sie auf Infrarotgeräten zu erkennen. Pilotinnen saßen in offenen Cockpits, oft bei minus 40 °C. Mit maximaler Geschwindigkeit von 150 km/h flogen sie nachts über deutsches Gebiet, stellten die Motoren ab, näherten sich im Gleitflug den Zielen und warfen die Bomben ab. Die hölzernen Flugzeuge erinnerten an Hexenbesen – die Deutschen nannten sie Nachthexen. Ihre Angriffe waren so erfolgreich, dass die Wehrmacht eine Sonderprämie für jeden Abschuss zahlte.
Die Historikerin Ljuba Winogradowa: „Alle vier Minuten startete ein Flugzeug. Die Pilotinnen waren so erschöpft, dass eine am Hinflug, die andere am Rückflug schlief. Sie waren verrückt nach Fliegen, auch wenn 30 ihrer Kameradinnen abgeschossen wurden. Manche flogen mehr als zehn Einsätze pro Nacht. Im Mai 1945 standen sie auf dem Flugfeld, bereit zum Einsatz, als das Ende des Krieges verkündet wurde. Die Einheit wurde aufgelöst, an der Siegesparade durften sie nicht teilnehmen, ihre alten Doppeldecker aus Holz und Stoff passten nicht zu Stalins Triumphzug.“
Gelman starb 2005, nach einer Karriere an der Militärakademie in Moskau. Sie nannte ihre Tochter Galja, in Erinnerung an ihre Freundin, die nach einem Einsatz nicht mehr zurückkam. Eine neue Folge des BBC-Podcasts ‚History’s Secret Heroes‘ widmet sich den vergessen Nachthexen.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/2025 erschienen.







