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1 Jahr #eXit: Die moralische Niederlage der Politik

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Peter Plaikner

©Bild: Matt Observe

Ein Jahr nach dem konzertierten Abschied von Corinna Milborn, Florian Klenk, Armin Wolf und Co. von X ist der Zuzug in ihr digitales Exil auf Bluesky stagniert. Denn die Politiker haben den Boykott der Journalisten nicht nachvollzogen. Doch was quantitativ richtig wirkt, ist qualitativ falsch.

Am 17. November jährt sich der #eXit. Dieser gemeinschaftliche Umzug des Großteils der stärksten heimischen Journalisten-Accounts von X zu Bluesky war ein Misserfolg. Er hat lediglich den politischen Diskurs in Österreich weiter zersplittert.

Der Versuch, mit diesem Beispiel auch parteiliche Akteure zum Rückzug vom einstigen Twitter zu bewegen, ist gescheitert. Sie zwitschern durchwegs munter weiter auf dem unter Elon Musk zu X verkommenen einstigen Twitter. Die meisten spiegeln nun bloß ihre Postings auf Bluesky, wo sie im Schnitt nur ein Zehntel so viele Follower und deutlich weniger Interaktivität erreichen.

Fazit: Durch den #eXit wurde die Reichweite seiner Proponenten verringert.

Die unerfüllte Wachstumshoffnung

Dieser oberflächlichen formalen Analyse stehen allerdings exemplarisch positivere gegenüber. Ein Schnelldurchlauf der Accounts von #eXit-Rädelsführer Armin Wolf bestätigt zwar die 1:10-Quote der Follower auf Bluesky und X, doch bei Likes und Kommentaren gibt es ein viel geringeres Missverhältnis.

Die dennoch unbefriedigende Quantität wird durch höhere durchschnittliche Qualität der Reaktionen kompensiert. Das liegt nur zum Teil am vergeblichen vereinzelten Wunsch nach rechten Positionen. Ösi-Diskussionen haben dort so linksliberale Schlagseite wie einst Austro-Twitter. Doch das Anstandsniveau liegt um Welten über X. Das gilt für die Nutzer und die Hartnäckigkeit des abschaltbaren Algorithmus.

Das Beharren der Politik auf X – global über alle Parteigrenzen hinweg – stellt ihr das denkbar schlechteste moralische Zeugnis aus

Die Schwäche von Bluesky besteht darin, dass es die Wachstumshoffnungen nicht erfüllt. Sie wurden durch die global viertmeisten Mobile-Downloads der App von September bis November 2024 genährt – hinter Open AI, Threads aus dem Instagram-Imperium und Gauthmath, dem KI-Hausübungsassistenten des Konzerns hinter TikTok.

Rund um den #eXit stieg die Nutzerzahl in nur sechs Tagen von 15 auf 20 Millionen. Nun brauchte es sechs Monate für den Sprung von 35 auf 40 Millionen. Die Verdoppelung innerhalb eines Jahres wird getrübt durch die Stagnation des Zuwachses. Am stärksten war er infolge des Umzugs der Austro-Twitterati. Eine solche Bagatelle ist kein guter Ausweis für globale Angebote.

Musk droht schon mit Grokipedia

Das Glas lässt sich aber auch halbvoll sehen. Der #eXit, den nur wenige Teilnehmer durch weitere X-Postings revidiert haben, ist ein Symbol für den Stellenwert von Anderssein. Eine solche Attitüde wirkt für Journalismus, der diese Bezeichnung verdient, im Verhältnis zu Social Media existenziell. Das sollte für Politik, die gesellschaftliches Miteinander im Zweifel über parteilichen Wettbewerb stellt, ebenso wichtig sein. Weil sie sich sonst nicht unterscheidet von den Brandlegern an der Demokratie.

Das Beharren der Politik auf X – global über alle Parteigrenzen hinweg – stellt ihr das denkbar schlechteste moralische Zeugnis aus. Typen wie Musk nutzen diese Haltungsschwäche. Er hat soeben Grokipedia auf den Markt gebracht. Der reichste Mann der Welt will mit KI die von unentgeltlich schreibenden Freiwilligen erstellte Online-Enzyklopädie Wikipedia zerstören.

Wem trotzdem die Reichweite via X wichtiger bleibt als seine gesellschaftliche Mitverantwortung, der gibt auch ein Zeichen – über sich. Mit einem schwachen Trost: Das wird alles überschätzt. Nur 3,9 Prozent der Österreicher nutzen täglich X – weniger als die Presse. Und Bluesky ist zu klein, um in den Marktstudien vorzukommen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: pp@plaikner.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/2025 erschienen.

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