Vor 70 Jahren wurde die Wiener Staatsoper nach dem Krieg wiedereröffnet – ein moderat moderner Neubeginn für das einst umstrittene Ringstraßenhaus, das heute als Symbol österreichischer Kultur gilt.
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So sehr die Wiener die Oper lieben, das Verhältnis zu ihrem Opernhaus war lange Zeit ambivalent. Als der Monumentalbau am 25. Mai 1869 eröffnet wurde, lagen Jahre der Kritik an der Gestalt hinter dem Bau – und die beiden Architekten bereits im Grab. Knapp 76 Jahre später versanken große Teile im Kriegsfeuer – bevor die Wiener durch den symbolträchtigen Wiederaufbau und die Wiedereröffnung am 5. November 1955 "ihr" Opernhaus lieben lernten.
Erster öffentlicher Bau am Ring
Die damalige Hofoper wurde der erste öffentliche Bau an der neuen Ringstraße, die auf dem Gelände des freigeräumten Glacis, der alten Festungsanlage, entstand – finanziert durch Mittel des Stadterweiterungsfonds. Entworfen wurde der historistische Palast vom letztlich unglücklichen Architektenduo August Sicard von Sicardsburg, der primär für den Grundplan verantwortlich zeichnete, und Eduard van der Nüll, der die Innendekoration gestaltete.
Allerdings verlief das Vorhaben alles andere als glatt, strichen doch nach der Grundsteinlegung am 20. Mai 1863 bis zur Eröffnung sechs Jahre ins Land. Dass das Straßenniveau vor der im Bau befindlichen Oper um einen Meter gehoben wurde, verstärkte den Eindruck eines unproportionalen, gedrückten Baus. Es hagelte Kritik von der Presse, von Hofseite, und bald machte das Wort der "versunkenen Kiste" die Runde.
Neuer Komfort
Dass die Wiener nach der Eröffnung diese "Kiste" dann doch langsam zu schätzen lernten, da sie ungleich größeren Komfort als das alte Kärntnertortheater bot, erlebten beide Architekten nicht mehr. Der depressive Van der Nüll hatte sich am 4. April 1868 das Leben genommen, sein Gefährte Sicardsburg folgte ihm am 11. Juni 1868 mittels Lungenleiden ins Grab. Dabei hatten die beiden Baumeister ein Gebäude geschaffen, das stilistisch vorgab, aus der Frührenaissance zu stammen, technisch jedoch auf der Höhe der Zeit war.
Ein eiserner Dachstuhl, eine mittels Dampfmaschine betriebene Belüftung und 6.000 Gasflammen – versorgt durch eine eigene Gasleitung von der Gasfabrik in Gaudenzdorf – prägten den Prunkbau. So war es denn auch vornehmlich das Innere des neuen k.k. Hof-Operntheaters, das die Kritiker beeindruckte. Nicht zuletzt hatte man für den hufeisenförmigen Zuschauerraum Anleihen bei den italienischen Vorbildern Scala und La Fenice genommen.
Das Äußere bevölkert hingegen bis heute eine ganze Kohorte an traditionellen Figuren der Mythologie. Die beiden geflügelten Reiterfiguren auf der Fassade versinnbildlichen die Harmonie und die Muse der Poesie, dem Schwind-Foyer stehen Heroismus, Melpomene, Phantasie, Thalia und die Liebe vor, und um die beiden zum Ring gelegenen Brunnen tummeln sich links Musik, Tanz, Freude und Leichtsinn, während rechts Loreley, Trauer, Liebe und Rache herrschen.
Bilder vom Festakt anlässlich des 70. Jubiläums
Untergang am 12. März 1945
Diese metaphorische Gemeinschaft überlebte auch die Katastrophe des 12. März 1945. In den letzten Kriegstagen ging ein guter Teil des Prunkbaus in Flammen auf. Der monumentale Zuschauerraum und der Bühnenbereich versanken zu Asche. Erhalten blieben hingegen die Stiegen und die Eingangshalle respektive der einstige Kaisersalon, der heutige Teesalon.
Alsbald entspann sich nach dem Krieg die Debatte über Wiederaufbau, Abriss oder Neubau, die letztlich in einer moderat modernen Neufassung der verschwundenen Gebäudeteile mündete, mit der 1948 Erich Boltenstern beauftragt wurde. Das Auditorium wurde dabei von allerlei Zierrat entkleidet wiederhergestellt und das Fassungsvermögen von zuvor 2.881 auf 2.284 Plätze reduziert, wovon neben 1.709 Sitzplätzen auch 567 Stehplätze geboten werden (neben 4 Rollstuhl- und 4 Begleiterplätzen).
Neben dieser auch durch feuer- und baupolizeiliche Vorschriften bedingten Verringerung wurde der einst legendäre große Mittelluster durch einen in die Decke eingebauten Beleuchtungskranz aus Kristallglas ersetzt, der aber auch 3 Tonnen wiegt. Da man beim Neubau auf Eisenbeton zurückgriff, konnte die vierte Galerie nun freitragend errichtet und auf die einstmals sichtbehindernden Säulen verzichtet werden.
Boltensterns Synthese
Letztlich blieb die Staatsoper 2.0 stark am alten Bau orientiert, was nicht zuletzt durch den Umstand bedingt war, dass man an die durch die erhaltenen Gebäudeteile vorgegebenen Gänge und Räume anschließen konnte und wollte. Größer fielen die Veränderungen in den Pausenbereichen aus. Der einstige Kaisersaal und der Rauchsalon wurden zum Marmorsaal zusammengelegt, und anstelle der einstigen Direktionskanzlei wurde der seit 1997 als Mahler-Saal firmierende Gobelinsaal mit seinen Wandteppichen errichtet. Insgesamt lieferte Erich Boltenstern eine Synthese aus Tradition und moderatem Schritt in die Moderne, ein gewolltes Symbol im Österreich der Nachkriegszeit.
So wurde die neue Staatsoper am 5. November 1955 mit Beethovens "Fidelio" wiedereröffnet. Die größte bauliche Intervention blieb danach die zwischen 1991 und 1994 erbaute Winterverglasung der Loggia durch Hermann Czech - sieht man von den für die Zuschauer nur indirekt wahrnehmbaren technischen Adaptierungen des Bühnenbereichs in der ersten Hälfte der 1990er ab.


