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Burgtheater: Götterdämmerung im „Ferienhaus“

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Birgit Minichmayr als Caroline

©Marcella Ruiz Cruz

Simon Stone überwältigt an der Burg mit seinem Familien-Epos frei nach Henrik Ibsen.

Der Regisseur Simon Stone hat eine besondere Gabe, Geschichten am Theater zu erzählen, wie er in seinem fast vier Stunden dauerndem Epos „Das Ferienhaus“ demonstriert. Inspiriert von Henrik Ibsens Stücken „Baumeister Solness“, „Gespenster“, „Nora“ und Spurenelementen aus „Hedda Gabler“ und „Jan Gabriel Borkman“ zimmerte er bereits 2017 in Amsterdam sein „Ibsen Huis“. Das adaptierte er jetzt für das Burgtheater.

Ein gigantisches Glasfertighaus rotiert auf einer Drehbühne (Lizzie Clachan). Da beginnt schon das Doppelbödige. Denn der Blick ist frei auf das Geschehen in diesem Haus. Was aber wirklich passiert, wird von der Familie vertuscht. Im Zentrum des dreistelligen Epos, das in „Paradies – Fegefeuer – Inferno“ gegliedert ist stehen die Verbrechen des Architekten Carl Albrich.

Schichten des Grauens

Wie eine leichte Beziehungskomödie hebt Stone seine Geschichte an. Ein geschiedenes Paar versucht im Ferienhaus der Familie einen Neuanfang. Lena, eine Psycho-Therapeutin, lebt nach ihrer Scheidung mit einer Frau zusammen. Die schickt sie aber weg, weil sie es noch einmal mit ihrem Ex-Mann, einem Hochschulprofessor, probieren will. Der Versuch scheitert.

Stone zeigt die Geschichte dieser Albrichs in knappen Szenen, wie Momentaufnahmen aus mehreren Jahrzehnten, die nicht chronologisch aneinandergereiht sind, sondern nach deren Sinn. Unerbittlich legt er Schicht um Schicht des Grauens frei. Immer wenn sich der Eindruck einstellt, das Schreckliche kann nicht übertroffen werden, legt Stone noch einmal nach. Von der Beziehungskrise dieser Lena springt die Handlung in die Vergangenheit.

Niemand hält den Unhold auf

Michael Maertens tritt in Gestalt eines überstressten Architekten auf. Dass ihn die Familie für seinen Preis feiern will, nervt ihn. Nur Tochter Lena, weiß, was der Vater braucht. Ruhe und ein belegtes Brot. Die Familie aber entschuldigt Carl alles, denn er ist ein Genie. Zarte Andeutungen lassen Schlimmes vermuten, wie das Verschwinden der Nichte Karoline. Oder, wenn Thomas, Carls Bruder erzählt, wie der als Kind bei einem Urlaub in der Bretagne sich am Tod seines Hundes schuldig gemacht hat, legt Stone Spuren in dessen Abgründe. Die liegen tief.

Denn Carl hat eine Neigung für kleine Mädchen und macht auch vor seiner Nichte Karoline und seiner Enkelin Flora nicht Halt. Mindestens so schlimm wie diese Taten sind das Schweigen der Familie. Alle wissen davon. Doch niemand hält ihn auf. Lena setzt sogar ihre eigene Tochter den Verbrechen ihres Vaters aus. Das Kind nimmt sich daraufhin das Leben. Am Ende lässt sie von ihrer Lebensgefährtin das Haus in Brand stecken. Die beiden Frauen finden in den Flammen den Tod. Damit gibt sich Stone nicht zufrieden.

Tragödie und Farce

Das Zitat von Karl Marx, dass welthistorische Ereignisse und Persönlichkeiten sozusagen zweimal erscheinen, einmal als Tragödie und einmal als Farce, legt Stone auf seine Geschichte um. Karoline lässt das Haus nach Jahrzehnten wieder aufbauen und zündet den Nachbau an, weil ihr die Bürgermeisterin verboten hat, darin Flüchtlinge unterzubringen. Famos verwebt Stone Weltgeschichte (Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise, Brext, die 68er-Revolution, sind nur einige der historischen Ereignisse, die er anspricht) mit seiner Famililentragödie.

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Fabia Matuschek und Michael Wächter im Ferienhaus

 © Marcella Ruiz Cruz

Grandioses Ensemble

Alle, Brigit Minichmayr ausgenommen, im grandiosen Ensemble verkörpern mehrere Rollen. Das hat Sinn. Denn sie ist eine Art Brünnhilde, mit der die Geschichte der Albrichs untergeht. Virtuos verkörpert sie eine drogenabhängige, alkoholsüchtige Frau, die mit ihrer Vergangenheit nicht fertig wird, aber am Ende doch ins Leben zurückfindet Atemberaubend erzählt sie von dem, was ihr der Onkel angetan hat. Wenn sie gegen Ende, mit einem Benzinkanister durchs Haus rast, um es den Flammen zu übergeben wird sie zu einer Art Brünnhilde, die am Ende von Wagners „Götterdämmerung“ das reinigende Feuer entfacht.

Michael Maertens ist der Unhold Carl und dessen Neffe Vincent. Er lässt die Details in Stones präziser Personenführung sichtbar werden, die dessen Theaterkunst so unvergleichlich machen. Etwa, wenn Carl nach vollzogenem Missbrauch an seiner Nichte Karoline wie Macbeth versucht, sich das Blut von den Händen zu waschen. Caroline Peters changiert fulminant zwischen Sarkasmus als Katrin, Lenas Partnerin, und Eiseskälte als empathielose Bürgermeisterin. Roland Koch lässt die Verzweiflung und Ohnmacht seiner Figur Thomas spüren, der unfähig ist, Carl in die Schranken zu weisen. Franziska Hackl agiert famos als Lena und Carls Frau Johanna. Thiemo Strutzenberger hat eine Glanznummer als an HIV-Erkrankter Sohn. Wie von Michael Hanekes Film „Amour“ inspiriert, fleht er seine Mutter an, ihn mit einem Polster zu ersticken, um nicht elendig an Aids umzukommen.

Elisabeth Augustin, Michael Wächter, Tristan Witzel, Leonie Rabl, Fabia Matuschek formieren exzellent das restliche Ensemble.

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