Die neue „Fidelio“-Inszenierung an der Wiener Staatsoper bricht mit Erwartungen, ohne die Tradition zu verleugnen. Nikolaus Habjan erzählt Beethovens Freiheitsoper geradlinig und zeitlos – und schafft Bilder, die das Publikum überzeugen.
von
Wer hätte gedacht, dass in Wien Traditionen gebrochen werden können? Und das an der Staatsoper, wo Proteststürme dem Schlussakkord von Neuproduktionen folgen wie der Donner dem Blitz. Regisseur Nikolaus Habjan demonstrierte mit seiner Inszenierung von Beethovens „Fidelio“, dass es möglich ist. Denn die Proteste blieben aus.
Die paar wenigen Buhrufe wurden von den Bravos überbrüllt. Damit war zunächst nicht zu rechnen, denn einige im Stammpublikum hatten schon Monate vor der Premiere die Messer gewetzt, weil sie „ihren“ „Fidelio“, mit dem man als Opernbesucher in Wien aufgewachsen ist, nicht hergeben wollten. Gemeint ist Otto Schenks Inszenierung aus dem Jahr 1970. 268 Vorstellungen in 55 Jahren sind davon zu verbuchen.
Keine Oper im herkömmlichen Sinn
Schon beim ersten Bild in der aktuellen Inszenierung ist klar, warum niemand Sturm gegen Habjans Produktion läuft. Von zwei Puppen und einem Setting aus der Gegenwart abgesehen, macht Habjan gar nicht so viel anders als Schenk. Er erzählt die Geschichte von Leonore, die sich unter dem Namen Fidelio in Männerkleidern in ein Gefängnis einschleust, um ihren Ehemann, den Aufdecker Florestan zu befreien, geradlinig, ohne auf die aktuelle Politik einzugehen.
Durch das Aussparen von konkreten totalitären Staaten verschafft Habjan der Staatsoper einen „Fidelio“, der über Jahrzehnte seine Gültigkeit bewahrt, und dieser trägt auch dem Rechnung, was Dirigent Franz Welser-Möst im Interview mit News erklärte: „,Fidelio‘ ist keine Oper im herkömmlichen Sinn, sondern ein idealistisch-philosophisches Statement, wie es Beethoven gerne macht.“
Beängstigende Szenen
Das wird durch die Aufdopplung der zentralen Figuren, Leonore und Florestan, noch stärker hervorgehoben. Das schafft beängstigende Szenen. Wenn Marzelline die Hand der übergroßen Fidelio-Puppe ergreift. Verstörend stark, wenn die total ausgemergelte Florestan-Puppe im Kerker sichtbar wird, synchron den Mund öffnet, wenn der Sänger David Butt Philipp dramatisch das „Gott, welch Dunkel hier“ anhebt.


Das „Fidelio“-Ensemble
© Werner KmetitschSonst sind die Unterschiede zu Schenks Inszenierung in den Grundzügen marginal. Das Gefängnis ist ein Hochsicherheitstrakt aus Beton, kein Ziegelbau. Marzelline, die Tochter des Wärters, bügelt nicht wie bei Schenk in der ersten Szene, sondern faltet die Kleider der Gefangen und legt sie in Kisten ab. In einem Wohnzimmer mit Einbauschrank wird Gugelhupf auf dem Couchtisch serviert. Wenn Leonore Rocco, den Wärter, dazu bringt, den Gefangenen etwas Luft und Sonnenlicht zu gewähren, werden die Häftlinge in den Zellen sichtbar, dürfen diese aber nicht verlassen.
Bei Schenk wurde eine Zugbrücke hochgezogen und die Gefangenen konnten heraustreten. Florestan harrt auch bei Habjan in einem Verlies artigen Keller. Der Stein, den Rocco beseitigen will, um dessen Grab auszuheben, ist eine Bodenplatte. Die wird zerstückelt und fertig. Ein Novum ist die bildlich umgesetzte Apotheose von Leonore. Wenn der Schlusschor Florestans Retterin besingt, teilt sich das Gefängnis und ein gigantisches Denkmal dieser Leonore wird sichtbar.
Intonation mit Durchschlagskraft
Malin Byström agiert ausgezeichnet mit der exzellenten Puppenspielerin. Vokal zieht sie charaktervollen Ausdruck Schöngesang vor und intoniert mit Durchschlagskraft. Das passt zu David Butt Philipp als dramatischen Florestan. Auch er agiert im Einklang mit seiner Puppe.
Glänzend sind die anderen Figuren geführt. Kathrin Zukowski zeigt Marzelline als biedere junge Frau. Daniel Jenz ist ein vokal solider Jaquino. Habjan macht klar, warum er von Marzelline abgelehnt wird. Denn er neigt zur Gewalt und lässt seinen Zorn auch an der Frau aus, die er heiraten will. Tareq Nazmi gestaltet den Gefängniswärter sympathisch. Christopher Maltman zeigt die Hinterlist des Unterdrückers Pizarro. Simonas Strazdas ist ein solider Minister. Ausgezeichnet intoniert der Chor.







