Der Amoklauf von Graz hat zu Entgleisungen und Dammbrüchen nicht nur von Boulevard- und Pseudo-Medien geführt. Die notwendige Brandmarkung der Grenzüberschreitungen funktioniert besser denn je. Ein gemeinsames Branchenorgan dafür fehlt aber immer noch.
Pressefreiheit bedeutet auch, dass vieles erlaubt ist. Ein bloß auf Publikumsmaximierung angelegtes Ausreizen der von Straf- und Zivilrecht gesetzten Grenzen widerspricht dem Ursprung der privilegierten Arbeitsbedingungen für Journalismus. Diese Wurzel liegt in der gesellschaftlichen Verantwortung von Medien als Kontrollinstrumenten der Demokratie. Sie sind public watchdogs – öffentliche Wachhunde.
Ein Preis der Pressefreiheit muss deshalb ein besonders hoher ethischer Anspruch an Medienvertreter sein. Nur wenn sie dieser Forderung genügen, wird die Bevölkerung die Vorrechte der Journalisten unterstützen. Das bedeutet für die Verantwortlichen in nachrichtlich orientierten und redaktionell organisierten Print-, Radio-, Fernseh- und Online-Angeboten oft Verzicht. Wenn sie alles rechtlich Mögliche ausreizen, um ihre Nutzerzahlen zu erhöhen, sind sie nicht mehr wert als von Algorithmen getriebene Social-Media-Dreckschleudern zur ausschließlich gewinnorientierten Klick-Generierung.
Eigene Instanzen für Print und ORF
Da Masse Medien wichtig macht, sind Reichweiten aber auch für sie immer ein Maßstab – vor allem im Tagesgeschäft. Um diese Zwickmühle von Qualitätsauftrag und Quotenzwang besser bewältigen zu können, gibt es den Presserat. Als Organ zur freiwilligen Selbstkontrolle hat er Grundsätze für die publizistische Arbeit erstellt. Sie dienen auch als Leitplanken zur Tempojagd auf dem Info-Highway. Angesichts des Amoklaufs von Graz häufen sich die Beschwerden wegen Verstößen gegen diesen Kodex. Es wird wohl mehr als 100 solche Hinweise geben. Beim Terroranschlag in Wien 2020 waren es 1.500.
Zu den üblichen Verdächtigen vom Wiener Boulevard gesellen sich nun Ausreißer wie die FPÖ-nahe Propaganda-Plattform AUF1, für die Kategorien wie Medien und Journalismus tunlichst zu vermeiden wären. Es gibt aber auch Vorwürfe gegen das renommierte Nachrichtenmagazin profil. Für das Publikum wird es durch dieses breite Beschwerde-Spektrum eher schwieriger als leichter, zwischen Spreu und Weizen zu unterscheiden. Zumal der Presserat nur für Printmedien und ihre Online-Angebote zuständig ist. Für Fernsehen und Radio insgesamt gibt es nichts Vergleichbares. Der ORF hingegen verfügt neben dem Redaktionsstatut noch über einen eigenen Ethik- und Verhaltenskodex.
Langsamkeit verstärkt Ohnmacht
Die Beratungen zu den aktuellen Beschwerden sind erst im Juli. Die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse wird noch länger dauern. Der Presserat nimmt sich viel Zeit zur Urteilsfindung. Dies verstärkt aber seine Ohnmacht. Vielleicht ist das ein Mitgrund, warum er nun weniger Anzeigen erhält als beim Rekord von 2020. Ein anderer liegt in Besserung der Branche. Bei Vorfällen wie dem Amoklauf berichten immer mehr Medien über die Berichterstattung insgesamt. Das hilft dem Publikum bei der Einordnung.
Noch mehr wäre ihm geholfen, wenn alle wahren Medien ein gemeinsames, schnell handlungsfähiges Organ zur freiwilligen Selbstkontrolle schüfen. In diesen Wochen läuft erstmals eine gemeinsame Werbekampagne von ORF, Privatsendern und Zeitungen. Dann sollte auch eine Kooperation zur inhaltlichen Abgrenzung von Journalismus möglich sein. Für Medienfreiheit und Demokratie.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25/2025 erschienen.