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Spitzentöne: Kunstfeinde im Namen der Kunst

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Heinz Sichrovsky

©Bild: Matt Observe

Katastrophenintendanten verlassen kaputtgespielte Theater und finden eine Stufe höher Quartier, weil die Blase sie nicht verkommen lässt. Ebenso gefährlich sind Opportunisten, die sich Korrektheitsdiktaten unterwerfen. So wie gerade in Hamburg, wo man sich für eine Jahrhundertaufführung entschuldigt.

Es wird jetzt relativ rasch gehen mit dem Theater. Nur die Richtung ist noch nicht festgelegt, und das beunruhigt, denn von ihr hängt nichts Geringeres als der mittelfristige Fortbestand des geliebten Mediums ab.

Dabei scheint die Entscheidung prinzipiell schon gefallen. Die Theaterverwüster, die seit der Jahrtausendwende sprachraumweit das Kommando übernommen hatten, werden von ihrem Publikum zusehends aus den Ämtern boykottiert. An den Münchner Kammerspielen war das etwa der Intendant Matthias Lilienthal, der das berühmte Haus zügig Richtung Zusperren gemanagt hatte.

In Zürich belobigte sich der Intendant Nicolas Stemann anlässlich seines Zwangsabgangs ann0 2024 dafür, dass er zum Abschied die Auslastung von 48 auf 53 Prozent hochgerissen hatte. In Wien empfahl sich zum selben Termin der Volkstheaterdirektor Kay Voges, der das Haus zwischen­zeitlich an 14 von 30 Tagen komplett geschlossen und den Rest nach dem Prinzip des verdeckten Schließtags meist mit Pop-Konzerten und Hausvermietungen bestritten hatte. An den bespielten neun Abenden war der oberste Rang oft wegen Publikumsmangels geschlossen.

Noch immer kein Blasenriss

Sie alle hatten abgemeldet, was sich ein kundiges Publikum vom Theater erhofft: Statt großer, purer Texte in der Interpretation herausragender Schauspieler dominierte diversitätspolitisch getriebenes Stückehäckseln mit Performance und Diskursgequatsche.

Gut, dass sie alle ihre Posten räumen mussten, werden Sie jetzt sagen. Leider haben alle diese Biografien ihre Pointen: Voges hat im September das Schauspiel Köln übernommen, wofür man lokalpatriotisch dankbar sein muss, denn die ihn erfunden habende Wiener Kulturstadträtin hätte ihn gern im Amt verlängert. Sie hätte gern auch Lilienthal als Intendanten der Wiener Festwochen gesehen. Wache Journalisten konnten das verhindern, aber was tut Gott?

Lilienthal übernimmt dafür 2026 die im Chaos versunkene Berliner Volksbühne, an der geniale Vordenker wie Frank Castorf einst das sogenannte „postdramatische Theater“ erfunden – damit aber dilettierenden Epigonen katastrophal die Türen aufgerissen haben. Und Stemann? Wird 2027 Intendant in Bochum, wo Peter Zadek und Claus Peymann Geschichte schrieben. Er folgt Johan Simons, der, bei allen Verdiensten, das Publikum schon fast vertrieben hat.

Deshalb wurde das Bochumer Schauspielhaus von der Fachpublikation Theater heute auch mehrfach zur Sprechbühne des Jahres gewählt, unmittelbar vor dem leergespielten Volkstheater.

Die Theaterverwüster führen ihr letztes Gefecht. Jetzt stehen Nazi-Opfer unter Verdacht

Wie es scheint, tobt das letzte Gefecht zwischen dem Theater und einer Blase aus einzelnen Intendanten, Dramaturgen, Kritikern und Kulturpolitikern, die keinen der Ihren verkommen lassen, und sei es um den Preis von Schließung und Subventionsentzug.

Denn lang wird in Zeiten der Wirtschaftskrise namens des aufgehetzten „Steuerzahlers“ nicht mehr gefackelt werden. Und was der Kunst blüht, wenn die Habererparteien AfD und FPÖ an die Macht kommen, können wir gerade am Beispiel der Steiermark studieren.

Zadek, der Rassist

In diese bangen Überlegungen wettert eine Meldung aus Hamburg, die mir das verbliebene Haupthaar zu Berge treibt: Karin Beier, Intendantin des dortigen Schauspielhauses, „entschuldigt sich für Blackfacing-Aufnahmen“. Wie das? Während einer Feier zum 125-jährigen Bestehen des Instituts wurden zwei aufführungshistorische Bilder projiziert, die als „nicht eingeordnete Präsentation von schwarzgeschminkten weißen Darstellern“ einen „offenen Brief von Kulturschaffenden“ zur Folge hatten.

Bilder aus zwei „Othello“-Produktionen wurden hier aggressiv beeinsprucht. Wobei es mir tendenziell gleichgültig ist, wen der Regisseur Stefan Pucher 2006 wie bemalen hat lassen.

Aber Peter Zadeks „Othello“ aus dem Jahr 1976! Mit Ulrich Wildgruber und Eva Mattes im Stand vollkommener Selbstentäußerung hat das nicht nur Stürme der Empörung entfesselt, sondern schlicht die Theatermoderne mitbegründet. Zur Erinnerung: „Othello“ handelt von einem schwarzen Feldherrn, der von einem schlauen Rassisten in den Eifersuchtswahn gegen seine schuldlose weiße Gattin getrieben wird.

Kein nicht von allen guten Geistern Verlassener hat das je anders verstanden. Nicht Laurence Olivier, Orson Welles und Anthony Hopkins. Auch nicht Gert Voss, dem 1990 unter George Taboris Anleitung eine szenische Metapher mit Unsterblichkeitspotenzial gelang: Je näher er und Julia Stemberger einander körperlich kamen, desto mehr färbte die schwarze Schminke ab. Bis Desdemona fast schwarz und Othello halb weiß war.

Theaterfeinde sind fehl am Platz

Dass die genannten Giganten nun per offenem Brief aus dem Verkehr zu ziehen wären, erscheint bloß albern. Aber die Intendantin hat sich nicht etwa gegen den geschichts- und kunstvergessenen Stumpfsinn gewendet. Sondern sich für den „schwerwiegenden Fehler“, eine der größten Aufführungen in der Geschichte des ihr anvertrauten Hauses gewürdigt zu haben, entschuldigt.

Da sind wir wieder am Beginn: Theaterfeinde sind in Intendanzen fehl am Platz, auch wenn sie bloß Abducker sind. Denn so kann es in der Tat nicht weitergehen: dass die überlebensgroßen Nazi-Vertriebenen Zadek und Tabori posthum namens des Linksseins unter Verdacht gestellt werden. Während sich aus ideologisch verwandter Ecke zusehends offener Judenhass erbricht.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.

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