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Festwochen: „The Second Woman“ und der hundertste Mann

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7 min

©Nurith Wagner-Strauss

24 Stunden lang dieselbe Beziehungsszene - bloß jedes Mal ein wenig anders. Pia Hierzegger als Konstante, dazu wechselnde Partner, die sie auf der Bühne im Museumsquartier das erste Mal trifft. Nach einem Konzept von Nat Randall und Anna Breckon wurde im Rahmen der Festwochen ein lückenhaftes Skript durch Improvisation ergänzt, ehe ein weiteres Gegenüber die rund fünfzehnminütige Szene erneut von vorne starten ließ: hundert Mal. Ein Kommen und Gehen - auf der Bühne wie auch im Publikum.

Ein pink beleuchteter Kubus, zwei Wände aus Glas, darin dezente Wohnzimmereinrichtung: ein Tischchen, drei Sessel, eine Stereoanlage. Neben dem Kubus werden auf einem großen Screen Nahaufnahmen des Spektakels gezeigt - alle live aufgenommen. Pia Hierzegger - Virginia - öffnet die Türe, betritt in einem enganliegenden, roten Kleid das Wohnzimmer. Sie schiebt einen Servierwagen, darauf drei Whiskeyflaschen und etliche Gläser.

Melancholische Musik ertönt, während sie Platz nimmt, für einige Zeit in die Luft starrt, sich schließlich erhebt und durch die Glaswand der Loge in die Ferne blickt. So die Ausgangssituation, wie sie alle fünfzehn Minuten wiederhergestellt wird. Von hier an ist (fast) alles möglich.

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 © Nurith Wagner-Strauss

Die Szene

Die Musik verklingt, sobald ein Mann die Bühne betritt. Er entschuldigt sich für sein Zuspätkommen, für seine Abwesenheit, für allerlei überraschende Details, die sich der Schauspieler selbst ausdenken konnte. Zu den skurrilsten Einfällen zählen wohl „Es tut mir leid, dass ich deine Katze überfahren habe“ und „Entschuldigung, dass ich gefurzt habe.“

„Wie geht es dir jetzt“, erkundigt sich die Dame. Die Antworten variieren, schließlich endet aber jedes Duo mit Drinks in der Hand. Der Whiskey ist eigentlich Tee – sonst stünde Hierzegger wohl kaum 24 Stunden lang auf der Bühne.

Ein unangenehmes Gespräch folgt: „Ich hab’ dich nicht verdient“, sagt Virginia, bekommt daraufhin zwar einige Komplimente, doch auf ihre Ergänzung „Und ich liebe dich!“ erwidert das Gegenüber nur „Das stimmt, du liebst mich.“ Auweh. Virginia wirft Fastfood - Glasnudeln - in Richtung des Mannes, erhebt sich, dreht die Stereoanlage an. Es folgt ein gemeinsamer Tanz - mal skurril, mal unterhaltsam, mal liebevoll - zur 70er-Jahre Nummer „Taste of Love“ von Aura. Nach einigen Minuten bricht Virginia den Tanz ab und streckt dem Mann mit den Worten „Es wäre besser, wenn du jetzt gehst!“ einen 50er-Schein entgegen - die versprochene Gage für den Auftritt, löst einer der Männer anschließend im Foyer die Frage nach der Bedeutung des Geldscheins auf.

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 © Nurith Wagner-Strauss

Die Szene, die von John Cassavetes 1977er Filmdrama "Opening Night" inspiriert wurde, endet mit dem Abgang der zweiten Person. Neben Männern sind auch non-binäre Personen unter den hundert Schauspielenden. Viele sagen zum Abschluss „Ich liebe dich (nicht)“. Einer verabschiedet sich mit einem Dab.

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 © Nurith Wagner-Strauss

Wiederholungen und Variationen

Virginia klaubt Glasnudeln vom Boden auf, beseitigt das Chaos im Wohnzimmer, nimmt auf dem Stuhl Platz und lässt die Szene an dieser Stelle in ihre Wiederholung münden. Bald wird ein weiterer Mann die Bühne betreten - anders als der vorherige. Das Castingteam war sichtlich um Diversität bemüht, welche auch mehr Variation in der Improvisation ermöglicht.

Dass Festwochen-Intendant Milo Rau ein Faible für variierte Wiederholungen hat - letztes Jahr stand mit „Die Rechnung“ ein vergleichbares Konzept am Programm - wird zusätzlich durch seinen eigenen Auftritt als Schauspieler unterstrichen. Seine Antwort auf die Frage „Wie geht es dir jetzt?“: Eine Klage über den Stress rund um die Festwochenorganisation. Den 50er-Schein nimmt er mit den Worten „oh, wow“ entgegen, während andere Partner das Geld gar ablehnen.

Kleine Nuancen, die zu einem großen Unterschied in der Beziehungsdynamik führen. Da das Grundgerüst der Szene nach einigen Malen bekannt ist, kann sich das Publikum auf Feinheiten in der Interaktion konzentrieren, auf Berührungen und Blickaustausch - über die Live-Übertragung noch intimer und näher zugänglich. Und genau diese Feinheiten machen die Komik des Stücks aus. Häufig wird gelacht. Viele Männer fallen dadurch aus der Rolle.

Unter ihnen sind neben Profis auch Hobbydarsteller und Laien. Für das Onlinecasting hatten sich innerhalb einer Woche bereits 1000 Interessierte gemeldet - ein Andrang wie nie zuvor. Und das, obwohl „The Second Woman“ bereits 2017 beim Liveworks Festival in Sydney seine Uraufführung feierte und seither mehrmals wiederholt wurde.

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 © Nurith Wagner-Strauss

Überraschung und Bewunderung

Und nach dieser gelungenen Wien-Premiere bleibt zu hoffen, dass „The Second Woman“ nicht das letzte Mal aufgeführt wurde. Trotz Wiederholung wird das Präsentierte nicht langweilig. Jeder neue Mann wird mit Spannung erwartet. Wird er diesmal optisch zu Virginia passen? Wird er ihr, wie im Skript vorgesehen, einen Kuss geben?

Auch bekannte Künstler wie Dirk Stermann stehen auf der Bühne und sorgen für zusätzliche Überraschungen. In den „Pausen“, in denen Virgina Nudeln aufklaubt, wird sich im Zuschauerraum lebhaft über das Gesehene ausgetauscht. Während Hierzegger die Erschöpfung zu fortschreitender Stunde kaum anzumerken ist, lässt im Publikum leider der Respekt für das Kunststück nach. Es werden Fotos gemacht, Songs shazamt, Sprachnachrichten angehört - oft mit voller Bildschirmhelligkeit. Jedoch ist all das nicht als Desinteresse zu werten.

Gegen Ende der Veranstaltung am zweiten Tag füllt sich die Halle E so sehr, dass nach Sitzplätzen Ausschau gehalten werden muss. Und nachdem der letzte Mann die Bühne verlassen hat, ertönt ein unvergleichlicher Applaus zu Standing Ovations. Hierzegger muss schließlich mit einer Geste darauf hinweisen, dass sie nun gerne schlafen würde. Nach dieser Leistung von 24 Stunden redlich verdient.

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