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Seiler und Speer: „Mut hat es schon gebraucht“

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Bernhard Speer und Christopher Seiler

©Bild: Matt Observe

Als Gralshüter des Austropop feiert das deutsche Feuilleton Seiler und Speer. Dialektpop, große Melodien, eine Dosis Schmäh und Pathos sind das Erfolgsrezept, mit dem das Duo Pop aus Österreich neu belebt hat. Wie nachhaltig dies gelungen ist, zeigt ihr Rekordkonzert zum 10-Jahres-Jubiläum: Als erster heimischer Pop-Act füllen Christopher Seiler und Bernhard Speer am 19. Juli das Ernst-Happel-Stadion.

Im Managementbüro von Seiler und Speer empfängt Besucher gemütliche Geschäftigkeit zwischen Ledercouchen, Energydrinks und dem Duo in Form von Werbetestimonials aus Karton. Im gelb-roten Lebensmittelhandel sind Christopher Seiler und Bernhard Speer dank eines Deals, der einen Werbesong beinhaltet, österreichweit vertreten. Darüber, dass er sich selbst beim Einkaufen begegnet, wird Christopher Seiler später noch witzeln – so, als käme ihm dieser Hinweis auf den eigenen Erfolg seltsam vor. Es hilft, wenn man die erreichte Flughöhe selbst nicht zu ernst nimmt.

In der Kommandozentrale von Manager Fritz Strba im dritten Wiener Bezirk, unweit des Ernst-Happel-Stadions, verraten ein Stadion-Plan im XL-Format an der Tür und die Goldenen Schallplatten an der Wand, dass er ein Duo managt, das zum Inbegriff neuer Popmusik aus Österreich wurde. In München spielten Seiler und Speer vor Kurzem in der Olympiahalle vor 12.000 Menschen. In Berlin, wo heimischer Dialektpop eher als Fremdsprache durchgeht, kamen immer noch 2.000 Fans.

Es ist eine sehr Ich-bezogene Zeit gerade. Deshalb sind Menschen, die das große Ganze im Blick haben und zurückstecken können, für mich Helden

Christopher Seiler

Viel Mut und schlechte Träume

Am 19. Juli werden es 48.000 sein, die für Seiler und Speer in den Prater kommen. Als erster österreichischer Pop-Act füllt das Duo das Ernst-Happel-Stadion und schreibt damit Konzertgeschichte. Nach Schlagerstar Andreas Gabalier, dem das Kunststück 2019 gelang, sind sie der erst zweite österreichische Act im vollen Stadion überhaupt.

Ein Konzert sei ein Konzert, egal, ob Stadthalle oder Stadion, versucht Christopher Seiler der Größenordnung ihren Nimbus zu nehmen. „Ich hab aber geträumt, dass wir dort spielen und jede Minute mehr Leute heimgehen“, gibt er später unter lautem Lachen zu. „Mut vom ganzen Team hat es schon gebraucht“, ergänzt Bernhard Speer. „Den Mut, sich das zuzutrauen und es zu probieren. Hätten wir keine Karten verkauft, hätten wir zurück in den Gasometer müssen.“

Wegbereiter des Pop-Wandels

Ein Blick auf die Erfolgsbilanz der beiden Niederösterreicher entlarvt Speers Befürchtung als Koketterie. Seit der 41-jährige Speer und der 38-jährige Seiler vor zehn Jahren mit ihrem Hit „Ham kummst“ in die heimische Musikszene preschten, ist auf ihr Talente-Bündel Verlass. Da etwa der Kabarettist und Sänger Seiler, der auf der Bühne Protagonisten wie den arbeitslosen Alkoholiker in der Satire-Serie „Horvathslos“ schuf, als zeitgemäße Version des Edmund Sackbauer. Dort Produzent und Filmemacher Speer, der mit Daniel Fellner in der Band Toyhead Musik machte. (Fellner ist Seiler-und-Speer-Produzent sowie Teil der Band Aut Of Orda).

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Download von www.picturedesk.com am 26.06.2025 (12:42).  ABD0157_20210911 - WIENER NEUSTADT - ÖSTERREICH: v. l. Christopher Seiler, Bernhard Speer während des Konzertes der Band Seiler & Speer im Rahmen des Festivals "Nova Rock Encore" am Samstag, 11. September 2021 in Wiener Neustadt. - FOTO: APA/EXPA/FLORIAN SCHROETTER - 20210911_PD14121 - Rechteinfo: Rights Managed (RM)

Live-Kraft beweisen Christopher Seiler und Bernhard Speer seit zehn Jahren bei über 100 Konzerten. (2021 beim „Nova Rock Encore“ in Wiener Neustadt).

 © EXPA / APA / picturedesk.com

Seilers Texte, die der Volksseele in ihre Abgründe schauen, und Speers Gefühl für eingängige Popmelodien begeisterten in den vergangenen zehn Jahren 750.000 Zuseher bei über 100 Konzerten, verdienten ihnen über 100.000 verkaufte Alben und Singles, rund zwei Dutzend Gold- und Platin- und etliche Amadeus-Auszeichnungen. Ihr Erfolg befeuerte einen tiefgehenden und anhaltenden Wandel in Österreichs Musikszene.

Die „Rotzn“ ohne Scham

„Wanda hin, Bilderbuch her, sie sind die wahren Gralshüter des Austropop“ schrieb die Süddeutsche Zeitung über Seiler und Speer. Bei all deren „Vokuhilaproleten-Klamauk“ aus „Ham kummst“Zeiten dürfen man ihren „ausgeprägten Hang zum klassischen, zum ehrlichen Songwriting, wie man es von Veteranen wie Wolfgang Ambros oder Georg Danzer kennt“ nicht übersehen, so das deutsche Feuilleton.

Dialektpop, der ungeschönt die kleinen Siege und die großen Täler dazwischen sowie die Liebe und den Suffin nachfühlbare, unverkopfte Refrains packt, ist zum Markenzeichen von Seiler und Speer geworden. Ihr Credo, alles ernst, aber nicht zu ernst zu nehmen – vor allem sich selbst – gibt den Ton an. „Ja, mia san obn und bleiben bis uns daschlogn. Jo mia san Rotzn, jo mia san Bücha, owa mia geniern uns ned“, betrachten sie die eigene Karriere im Lied „Bis uns daschlogn“ auf ihrem aktuellen, vierten Album „Hödn“. Wie zu erwarten, stieg es im Juni auf Platz 1 der Charts ein. „Die Zukunft hinta uns, gwinnan ka Option, sondan Pflicht“, singen sie über eine der großen Lehren aus ihrer Karriere. Es beziehe sich auf den Moment vor dem Auftritt, „wo du abliefern musst“, erklärt Seiler. „Das haben wir nicht immer getan“, blickt Speer zurück. „Aber die Menschen bezahlen viel Geld für die Konzertkarte. Die haben vielleicht gespart dafür, also müssen wir liefern. Das haben wir gelernt.“

Der Lernprozess Mainstream

Auf ihren Konzerten vereinen sich Jung und Alt quer durch alle sozialen Schichten. „Wir sind im Mainstream angekommen. Ja. Aber dort sind wir noch immer die Unangepassten“, ordnet Seiler den Status quo ein. Sich nicht vereinnahmen zu lassen, nicht an ein neues Leben als „Star“ anpassen zu müssen, ist ihm wichtig. Die Freunde von früher gehören dazu und die Feststellung, dass man bei ihm zu Hause nicht erkennen würde, dass hier jemand wohnt, der schon mal Sechsfach-Platin kassiert hat.

Verändert habe sich trotzdem einiges, stellen die beiden fest. „Diesen Beruf kannst du ja nicht lernen. Dafür gibt es kein Skript. Du kannst nur darin wachsen“, sagt Seiler. Das betrifft Professionalität und Qualität in der Musik. Aber auch den Umgang mit der Bekanntheit. „Dieses öffentliche Leben mit dem Privatleben zu vereinbaren, war ein Lernprozess. Nach zehn Jahren wissen wir, welche Sager ins Private gehören und was man öffentlich sagt.“

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Der eine oder andere Skandal war den beiden Lehrmeister. Dazu gehörten Morddrohungen gegen das Duo, nachdem sich Seiler 2016 auf Facebook kritisch mit einem Norbert-Hofer-Wähler auseinandergesetzt hatte und die Absage einer Tournee nach Speers Autounfall 2017.

Fehlende Debattenkultur

„Zu realisieren, dass man eine Person der Öffentlichkeit ist und dass unsere Aussagen plötzlich mehr auf eine Waagschale geworfen werden als die von an-

deren, hat gedauert. Das haben wir gelernt. Auch, wenn du es nicht wahrhaben möchtest – es ist besser, wenn du es akzeptierst“, sagt Seiler heute. Gerade für zwei Typen, die gern „frei Schnauze“ reden, sagt Speer, sei es wichtig, zu sehen, dass man Dinge auch anders formulieren kann.

„Es gibt ja, wenn es um Meinungen geht, nur noch schwarz oder weiß. Wenn du etwas sagst, das dem anderen nicht passt, wird auf dich eingeprügelt“, konstatiert Seiler emotional. „Das ist eigentlich das Ende einer Gesellschaft. Da implodiert die G’schicht, wie damals das Römischen Reich. Ich fürchte, wir haben als Gesellschaft unser Peak längst überschritten. Leider.“ Es wäre nicht Seiler, würde er nicht nachschieben: „Aber wir haben gute Jahre gehabt!“

Ich kann mich nur darauf konzentrieren, dass in meiner kleinen Welt die richtigen Werte gelebt werden. Dass es Herzlichkeit gibt und Respekt

Bernhard Speer

Bernhard Speer ist verheiratet und dreifacher Familienvater. Wenn er mit den Kindern Hausaufgaben macht, sei die Bühne weit weg, beschreibt er. Fragt man ihn, wie er mit dem komplexen Spannungsfeld der öffentlichen Meinung und fehlenden Debattenkultur umgeht, sagt er:

„Ich kann mich nur darauf konzentrieren, dass in meiner kleinen Welt und meiner Familie die richtigen Werte gelebt werden. Dass es dort Herzlichkeit gibt und Geradlinigkeit und gegenseitigen Respekt. Wenn du versuchst, an der Außenwelt zu kratzen, etwas zu verändern, kommt so viel Gegenwind, dass es dich depressiv macht.“

„Man spürt Endzeitstimmung“

An der Außenwelt, oder zumindest deren glatter Fassade, kratzen sie dennoch. Auf ihre Art. Herz und Respekt gegenüber den strauchelnden Existenzen, den Gepeinigten und den Kämpfenden sind Seiler und Speer geblieben, wie ihr Händchen für Pathos. „A waun ihr Ehemau ihr Leben lang sie schikaniert hat, und manchmoi nochn Wirtshaus, bsoffn sie fost dawiagt hod, hod sie nur gmahnt: Des wiard scho, weu es geht um die Klaanen, drei klaane Kinda, und bei Gott, de soin’s moi schena hom“, skizzieren sie in „Mama Leone“ ein Frauenschicksal.

„Hödn“, der Titel ihres neuen Albums, ist kein Zufall. „Helden sind für mich selbstlose Menschen, die in unserer Zeit immer seltener werden“, erklärt Seiler, dessen Texte aus Alltagsbeobachtungen und gesellschaftlichen Themen entstehen, gemischt mit Humor, Bitterkeit und Ehrlichkeit. Seiler: „Es ist eine sehr Ich-bezogene Zeit. Man spürt immer mehr Endzeitstimmung. So, als würde der Überlebensinstinkt einsetzen. Jedem geht es nur noch um sich. Deshalb sind Menschen, die das große Ganze im Blick haben und zurückstecken können, für mich Helden.“

Kleine Auszeiten zum Erfolg als Duo

So einig sich die beiden im Blick auf die Welt meistens zu sein scheinen, so fremd ließen sie sich auch eine Zeit lang sein. Sechs Jahre sind seit dem letzten Album vergangen. Seiler tritt seitdem mit Ernst Molden als Die zwidan Zwa mit Wienerlied, Blues und Folk auf. Von 2023 bis August 2024 war Seiler Teil der Supergroup Aut of Orda mit Paul Pizzera und Daniel Fellner. Speer veröffentlichte solo Musik, wurde 2023 Late-Night-Talker der Joyn-Show Monte Grillo Club und Podcaster mit Musikkollege Josh. „Wir haben uns in der Zeit auch ein halbes Jahr nicht gesehen. Das war eine Art Therapie“, sagte Speer. Eine Trennung sei nie im Raum gestanden, sagen beide. „Wir wollten uns einfach ausprobieren, andere Sachen machen. Dabei ist es nie darum gegangen, den Erfolg von Seiler und Speer zu wiederholen. Das haben viele nicht verstanden“, präzisiert er.

Der gemeinsame Erfolg erreicht im Ernst-Happel-Stadion seinen vorläufigen Zenit. Angst davor, diese Größenordnung nicht toppen zu können, plagt das Duo nicht. „Es geht vielleicht nicht größer, aber anders. Es gibt noch Möglichkeiten für Dinge, die so noch nicht da waren in unserem Land“, formuliert Seiler überzeugend. „Was das betrifft, haben wir noch immer diesen Pioniergeist, den wir seit Tag eins mitgebracht haben.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.

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