Im Sommer 2024 erfüllte sich der Lebenstraum des Schauspielers Philipp Hochmair, er wurde der Jedermann der Salzburger Festspiele. Das ausverkaufte Ereignis wird am 20. Juli wieder aufgenommen. Am 16. Juli erscheint die Biografie „Hochmair, wo bist du?“. Ein Gespräch über die Angst kreativer Menschen, Kapitalisten wie Elon Musk, René Benko und die Sehnsucht nach Fernsehen wie in vergangener Zeit
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Am Ende wird diesem Jedermann sogar das letzte Stück Rasen unter den Füßen weggezogen. Der goldene Mercedes und der goldene Anzug sind schon weg, die Frau ebenfalls. Einer, der alles hatte, dem nichts zum Glück gefehlt hat, steht plötzlich vor dem Nichts. Härter als der kanadische Opernregisseur Robert Carsen hat noch keiner bei den Salzburger Festspielen die Maßlosigkeit des Hofmannsthal’schen Prassers bestraft. Entblößt geht der Prasser in den Abgrund. Darsteller Philipp Hochmair hingegen erreichte den Olymp des deutschsprachigen Theaters.
„The sensational Hochmair“
Der 51-jährige Wiener fuhr im Vorjahr auf dem Domplatz einen Triumph ein. Die New York Times berichtete von „the sensational Philipp Hochmair“, um nur ein Kritikerlob zu nennen.
Vor zwölf Jahre nahm er sich Hofmannsthals Läuterungsbedürftigen erstmals für einen Soloabend beim Salzburger „Young Directors Project“ vor. Hochmair weitete den Auftritt zum gigantischen Spektakel „Jedermann reloaded“ aus, verkörperte alle Rollen und füllt damit die bedeutendsten Theater. Dem Salzburger „Jedermann“ verhalf er nach Michael Sturmingers Behelfsinszenierung, die sich sieben Jahre lang zum Ärgernis auswuchs, wieder zum Glanz. Die 15 Vorstellungen des bevorstehenden Festspielsommers waren wieder unverzüglich ausverkauft. Im deutschen Fernsehen wurde für den Kapazunder die Krimi-Serie „Der Geier“ geschaffen, und nun ist sein Leben in Buchform dokumentiert. Die Biografie „Hochmair, wo bist du?“ erscheint am 16. Juli bei Brandstätter. Zuvor erreichte News den Vielgefragten im Zug nach Leipzig zum Gespräch über seine „zweite Identität“, den Jedermann, seine Biografie und seine Sehnsucht nach analogem Fernsehen.
Herr Hochmair, wie blicken Sie Ihrem zweiten Sommer als Jedermann entgegen?
Mit Vorfreude. Aber ich bin auch gespannt, was passiert. Ich habe noch nie eine Wiederaufnahme in Salzburg erlebt.
Wird es Änderungen an der Inszenierung geben? Haben Sie schon mit Robert Carsen darüber gesprochen?
Gar nicht. Aber ich gehe einmal davon aus, dass es einen Schritt noch weiter in die Tiefe geht. Wir haben drei Wochen für die Proben Zeit, das ist wirklich perfekt.
Stimmt es, dass Sie zu Beginn Zweifel an der Inszenierung hatten? Wenn ja, woran ist das gelegen?
Zweifel nicht, aber ich habe einen ganz anderen Zugang als Robert Carsen. Ich musste mich erst darauf einlassen. Dieses strenge Opernregietheater, dieser Theaterrealismus, wenn man das so nennen will, steht im Widerspruch zu meiner Arbeit. Aber ich habe sehr viel daraus gelernt, und das fand ich toll, denn die Arbeitsweise hat sich auch auf meinen „Jedermann reloaded“ ausgewirkt. So eine perfekte Organisation mit so vielen Leuten auf der Bühne, so einen total sauberen Ablauf habe ich ja schon lange nicht mehr erlebt. Ich suche eher das Chaos oder will immer wieder nur einfach schauen, was passiert. Aber diese totale Organisation war für mich schon ein Erlebnis.
Was hat Sie da am meisten beeindruckt?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn bei der Tischgesellschaft ein paar Gläser oder auch nur eine Gabel oder eine Serviette übergeblieben sind, fragte Carsen sofort, wo fehlt diese Gabel, wo die Serviette? Bei ihm wurde alles bis ins Detail organisiert. Das ist für mich schon etwas Neues gewesen, ich liebe es einfach, wenn etwas chaotisch ist. Aber Carsen hat alles wirklich im Griff. Das widerstrebt jetzt einem Charakter wie mir, aber wenn man dann die Qualitäten dieser perfekten Organisation sieht, ist das schon beeindruckend. Da kann man etwas mitnehmen.
Jedermann ist wie diese Global Player, ein ausbeuterischer Krieger, der vergisst, dass auch er endlich ist
In Ihrem Solo-Jedermann verkörpern Sie 20 Rollen. Man kann sagen, dass Sie es seit bald 30 Jahre gewöhnt sind, total frei zu agieren. Empfinden Sie da ein striktes Regie-Konzept nicht als Korsett?
Aber beim Spiel war es kein Korsett mehr! Ab der Premiere war das ein richtig schöner Flug.
In den nächsten Tagen erscheint Ihre Biografie mit dem Titel „Hochmair, wo bist du?“ Wo sind Sie denn? Wo sehen Sie sich?
Schwierige Frage. Aber woanders als vor zehn Jahren. Das hätte ich mir nicht gedacht.
Wo haben Sie sich denn vor zehn Jahren gesehen?
Da gab es diese ersten Jedermann-Versuche und den ersten Jedermann-Hype um meine eigene Fassung. Im Thalia-Theater erlebte ich damals einen Höhenflug. Ich spielte bis zu zwölf Hauptrollen parallel, war ausschließlich im Theaterkosmos drin. Und jetzt bin ich da definitiv raus. Ich habe zwei Krimireihen, den Domplatz und das Buch. Das sind schon tolle Etappen.
2018 sind Sie für den erkrankten Tobias Moretti bei den Salzburger Festspielen als Jedermann eingesprungen, jetzt sind Sie selbst der Haupt-Jedermann. War das der Anlass für die Biografie?
Der Verlag hatte die Idee und nach mehreren Anläufen hat es jetzt geklappt.
Sie sind erst 51. Kommt die Biografie nicht etwas früh?
Auch in 20 Jahren kann man sich verändern. Dieses Buch ist eine Bestandsaufnahme. Die Idee war, dass mich die Autorin Katharina von der Leyen begleitet, so wie Yasmina Reza Nicolas Sarkozy. Man nimmt an dieser Reise teil und macht eine Art Reisebericht. Das fand ich eine sehr reizvolle Idee, weil der Zustand, in dem ich mich tatsächlich befinde, die vielen Rollen, die vielen Städte, das ist ja schon alles schreibenswert.
Haben Sie durch das Buch einen anderen Blick auf Ihr Leben bekommen?
Auf jeden Fall. Die Autorin hat auch Puzzleteile aus meinem Berufsleben zusammengesetzt. Der Regisseur Nicolas Stemann und ich hatten uns z.B. einfach aus den Augen verloren. Durch die Recherche der Autorin haben wir wieder zusammengefunden. Er ist nur ein Beispiel. Das war schon eine große Leistung der Autorin, dass sie diese kreativen Kräfte in meinem Leben wieder gebündelt und analysiert hat.
Sehen Sie ihr Leben durch das Buch jetzt anders?
Vor allem sortierter. Man kann sich das so vorstellen: Ich sitze in einer Rakete und das fetzt halt total. Jetzt aber konnte ich Ruhe und Ordnung in mein Leben bringen. Das ist so, wie wenn jemand in eine unaufgeräumte Wohnung kommt und fragt, was gehört wie zusammen.


Das Buch
Die deutsche Journalistin Katharina von der Leyen begleitete Philipp Hochmair ein Jahr lang und dokumentierte sein Leben im Buch „Hochmair, wo bist du?“ Ab 16. Juli bei Brandstätter, € 26,95
Wie sehen Sie es, dass ausgerechnet in Ihrem 50. Lebensjahr gleich zwei ordnende Kräfte in Ihr Leben kommen? Auf der einen Seite die Autorin Katharina von der Leyen, auf der anderen der Regisseur Robert Carsen?
Richtig. Das war genau der richtige Zeitpunkt.
Hat der 50. Geburtstag rückblickend eine andere Bedeutung bekommen? Im Buch sagen sie, es gibt ein Davor und ein Danach.
Ich habe dieses Datum zunächst gar nicht so wahrgenommen. Aber es gibt mir eine Rahmung.
Wie wirkt es sich denn aus? Planen Sie anders?
Es wirkt sich eher auf mein Lebensgefühl aus und auf mein Gefühl für mich selber, aber nicht auf meine Lebensplanung. Denn ich habe gar keine. Es gibt die Ebbe und Flut von Angeboten. Es gibt jetzt eine gewisse Struktur, die ich vorher nicht hatte. Auch eine gewisse Ehrfurcht vor dem Wert der Stücke. Denn ich neige dazu, in etwas hineinzuknattern und nicht darüber nachzudenken.
Die Angst, dass alles aus ist, hat jeder Mensch. Kreative bangen, dass ihre Quelle versiegt
Wie bewahren Sie sich da Ihre Unmittelbarkeit, wenn Sie das im Zaum halten?
Ich mag das ja gerne, einfach zu improvisieren und zu schauen, was passiert. Aber durch diese beiden Kräfte Carsen und Katharina ist auch so ein Respekt vor dem Tun dazugekommen.
Seit 2013 verkörpern Sie den Jedermann. Sie sagten einmal, die Figur sei Ihre zweite Identität. Hat sich das durch den Salzburger Jedermann noch verstärkt?
Das war eine intuitive Antwort, aber die trifft das sehr gut. Es ist wie ein Gehäuse, in das ich hineingehen kann und in dem ich dann zu Hause bin. So etwas hatte ich immer wieder in einem bestimmten Lebensabschnitt. Davor war es Goethes Werther. Von dem bin ich in das Jedermann-Gebäude umgezogen. Aber keine Figur, kein Stück war für mich so identitätsstiftend wie Jedermann.
Was verbinden Sie mit der Figur?
Den modernen Menschen, der in der Weltpolitik rücksichtslos agiert, der andere ausbeutet, der nur an seinen eigenen Vorteil denkt und über seine Gier vergisst, dass er erstens endlich ist und zweitens eine Verantwortung seinem Nachbarn gegenüber hat. Jedermann ist wie diese Global Player, die fast ständig im Fernsehen und am Handy in allen sozialen Kanälen auftauchen. Es gibt bei denen keine humanistischen Ansätze, nur Business. Auch Krieg ist für sie ein Business. Der Jedermann ist auch so ein kriegerischer Ausbeuter. Es ist erschreckend, wie modern, wie heutig der ist. Bei ihm sieht man auch die Rücksichtslosigkeit dieser Leute von America first oder Make America Great Again. Diese ganze rechte Entwicklung ist schon schauerlich für mich.
Ihre Beschreibung des Jedermann klingt wie eine Beschreibung von Elon Musk. War der Ihr Vorbild für den Kapitalisten im goldenen Mercedes am Domplatz?
Also Benko war auch ganz klar ein Vorbild. Diese Maßlosigkeit! Ich wohne in Hamburg in der Nähe von seinem Tower. Das ist alles so absurd, das ist so eine komische Welt!
Jedermann verliert alles was er hat. Kennen Sie diese Angst, dass alles plötzlich aus sein kann? Können Sie die als Jedermann auf der Bühne so ausleben, dass sie im wirklichen Leben keine Rolle mehr spielt?
Ich glaube, diese Angst hat jeder Mensch, aber vor allem Kreative, die darum bangen, dass ihre Quelle versiegt. Das ist ja alles kein garantiertes Gut. Das hängt von ganz viele Faktoren ab, auch von Glück. Dass Tobias Moretti bei den Salzburger Festspielen ausgefallen ist und ich einspringen konnte, das war Zufall. Aber auf so etwas kannst du gar nicht setzen. Und dass es so weitergeht, ist nicht garantiert.
Ihr Vertrag für den Jedermann in Salzburg wurde bis 2026 abgeschlossen. Würden Sie ihn danach weiterspielen wollen?
Klar, aber das hängt nicht nur von mir ab.
Wenn man sich Ihren Terminkalender ansieht, ist man schon auf den ersten Blick erschöpft. Mehr Auftritte und Dreharbeiten sind unvorstellbar. Hat der Jedermann in Salzburg die Nachfrage noch gesteigert?
Es ist nicht mehr geworden, aber meine Arbeitsweise ist noch ernsthafter und inhaltlich fokussierter geworden. Ich habe jetzt auch ein besseres Team um mich herum und muss nicht mehr alles selber machen. Dazu gibt es auch ein schönes Kapitel im Buch, „Team Hochmair.“ Wie sich dieses System und diese mobile Künstlerfamilie formiert hat, die sich an alle Umstände adaptiert. Ich hatte erst kürzlich in einer Woche vier Vorstellungen in unterschiedlichen Bandkonstellationen. Je nach Verfügbarkeit der Musiker. Es gibt zwei Jedermann-Versionen, eine mit dem Musiker Kurt Razelli und eine mit meiner Band Elektrohand Gottes, die waren früher in einer Art Konkurrenz zueinander. Aber jetzt verbinden sie sich. Auch die Geigerin Lidia Baich ist dazugekommen.
Was sind für Sie die bisherigen Höhepunkte Ihres Berufslebens?
Meine Aufführung auf der Burg Clam, wo alle, die jemals bei meinem „Jedermann“ dabei waren, mit mir auf der Bühne waren, der „Faust“-Marathon und der Jedermann auf dem Domplatz.


Burg Clam: Im August 2024 vereinte Hochmair sämtliche Künstler, die jemals bei einer Vorstellung von „Jedermann reloaded“ aufgetreten sind, zu einer Performance auf der Burg Clam in Oberösterreich.
© (c) Stephan BrücklerWas wünschen Sie sich?
Dass ich weiter international arbeiten kann. Ich möchte mal wieder ein bisschen mehr ausschwärmen.
Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde eine französische Serie mit Ihnen vorgestellt. Sie spielen auf Französisch. Was ist denn das?
Die Serie heißt „Deep“. Ich spiele einen Nazi-General in einem U-Boot. Ich weiß nicht, ob die in Österreich ausgestrahlt wird.
Ihre Thriller-Serie „Der Geier“ wird fortgesetzt, sie wurde für Sie konzipiert. Wie wechseln Sie zwischen diesen Identitäten?
Man muss ja sowieso total trennen zwischen Film und Theater. Das würde ich überhaupt nicht verbinden. Es gibt aber Rollen, die einander inspirieren. Zum Beispiel Joachim Schnitzler in „Vorstadtweiber“ und der Mephisto in „Faust“. Diese beiden Rollen kann man in einem Atemzug nennen.
In der nächsten Spielzeit haben Sie eine Konzertreihe für Kinder mit dem Titel „Der Zauberlehrling“ im Musikverein. Stellen Sie Goethes Ballade als Warnung vor der Künstlichen Intelligenz dar?
Das ist ein Balladen-Abend, so etwas habe ich schon in Schulen gemacht. Es ist immer gut angekommen. Aber was mit diesen Wellen der KI los ist, das ist schon ein Kampf. Das ist ein Dschungel, wo man gar nicht mehr durchblickt. Es ist unermesslich, was da passiert. Ich halte das oft gar nicht aus, was da alles in diesen Streaming-Welten los ist. Manchmal sehne ich mich nach der anderen Zeit zurück, wo es klare Fernsehprogramme gab, wo alle wussten, zu einer bestimmten Zeit ist ein Film zu sehen und alle konnten das Erlebte teilen. Das Angebot an Serien ist übervoll. Ich bin mir nicht sicher, ob „Vorstadtweiber“ heute noch so stark wahrgenommen würde oder in diesem Ozean an Streamingserien untergehen könnte.
Was empfinden Sie kurz vor einem Auftritt?
Extreme Vorfreude und Freude, dass man das machen darf, und dann auch noch in der Fülle, in der Unterschiedlichkeit. Das ist schon sehr beglückend.
Philipp Hochmair
Philipp Hochmair wurde am 16. Oktober 1973 als Sohn einer Ärztin und eines Ingenieurs in Wien geboren. Am Reinhardt-Seminar wurde er von Klaus Maria Brandauer ausgebildet. Von 2003 bis 2006 war er im Ensemble des Burgtheaters, von 2009 bis 2014 war er Ensemble-Mitglied des Thalia Theaters in Hamburg. 2018 sprang er als Jedermann bei den Salzburger Festspielen ein.
In der Fernsehserie „Blind ermittelt“ verkörpert er den Kommissar Alexander Haller. In der ORF-Serie „Vorstadtweiber“ den Politiker Joachim Schnitzler. Mit „Jedermann reloaded“, seiner Version von Hugo von Hofmannsthals Prasser, gastiert er an den bedeutendsten Theatern. Philipp Hochmair lebt in Wien und Berlin.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.