Der künstlerische Kosmos der Grazerin Carola Deutsch ist ein weitgefasster – vom klassischen Tafelbild über großformatige Wandmalerei bis hin zur Tattookunst scheint er grenzenlos. Gemeinsamer Nenner: ihre flüchtig-vergängliche Malerei, die in ihrer Ästhetik an Momentaufnahmen erinnert und so zwischen moderndem Impressionismus und Realismus changiert.
© VGN | Osama Rasheed
Dass für Carola Deutsch ein Leben ohne Farben noch weit weniger denkbar ist, als vermutlich für den Großteil der Menschheit, verdeutlicht sich beim Betreten ihres Grazer Altbauateliers: Die hohen Räume im Erdgeschoß sprühen bis unter die Decke vor expressiver Farbigkeit, die sich nicht allein auf ihre Leinwandarbeiten beschränkt, sondern der Zweidimensionalität förmlich entwächst und den Raum ergreift – so sind selbst die liebevoll kuratierten Stühle und Lampen teils sorgfältigst von Hand bemalt. Ein Nuancenreichtum, der die Farbwahrnehmung der Künstlerin widerspiegelt. Denn Deutsch sieht Farben nicht einfach als solche: „Für mich ist eine weiße Tür nicht einfach weiß“, führt sie aus. „Sie enthält eine Vielzahl an Farben – von rosa über gelb bis hin zu blau und rot.“
Ihr Farbsehen ist vergleichbar mit einem Lichtstrahl, der durch ein Prisma fällt und in seine reinen, klaren Farben entlang des Farbspektrums bricht. Wie mit dem weißen Lichtstrahl verhält es sich in Deutschs Œuvre mit allen Farben – virtuos zerlegt die Künstlerin sie in ihre Untertöne, setzt diese wiederum zueinander in Beziehung und schafft so in ihren Arbeiten flächige Farbigkeit. „Für mich ist unser gesamtes Leben ein einziger großer Farbtopf – eine Welt aus Farben, die ständig miteinander in Beziehung treten“, so Deutsch. Diese farblichen Synergien erschließen sich aufmerksamen Betrachtenden auf den zweiten Blick: Mit jedem Schritt, den man sich den vermeintlich monochromen Farbflächen ihrer Arbeit nähert, tritt die Zerlegung entlang des Farbspektrums deutlicher hervor.


Impressionistisch konserviert Deutsch die Flüchtigkeit eines Augenblicks
© Beigestellt, Carola DeutschZwischen den Künsten
Was hingegen sofort ins Auge springt, ist, dass Deutschs Künstlerinnenherz nicht allein für das Tafelbild im klassischen Sinne schlägt. In ihrer Kunst geht sie über die Grenzen der Leinwand hinaus, schafft großformatige Wandbilder im öffentlichen Raum und Motive, die wortwörtlich unter die Haut gehen – sie wird zum Bildträger ihrer Tattookunst. Entsprechend weitgefasst ist ihr künstlerische Kosmos. Sich darin unterschiedlicher Ausdrucksformen zu bedienen und diese miteinander zu vereinen, war für Deutsch nie widersprüchlich: „Auch, wenn sich der Zugang unterscheiden mag, bleiben meine Kunst und mein Pinselduktus stets dieselben“, erklärt sie.
Die Entscheidung für eine Sparte stand für Deutsch, die sich bereits in jungen Jahren für Tattookunst interessierte und mit dem Entwerfen eigener Motive letztlich ihre künstlerische Genese gestartet hat, nie zur Debatte. „Mich nicht festzulegen, ist die größte Freiheit“, so Deutsch. „Obwohl der Fokus natürlich phasisch variiert, hält mich die Abwechslung davon ab, in festgefahrene Denkmuster zu verfallen. Sie ist ein großartiger Kanal, der immer wieder auch zu wechselseitiger Beeinflussung meiner unterschiedlichen künstlerischen Bereiche führt.“


Ihre an Schnappschüsse erinnernden Motive beschäftigen sich stets mit Fragen des Existenziellen – sie sind geprägt von eigenen Erfahrungen und denen anderer
© Beigestellt, Carola DeutschDie Malerei als Basis
Die Malerei ist dabei stete Konstante in Deutschs künstlerischem Schaffen – sie bildet sowohl die Grundlage ihrer Wandmalerei als auch ihrer Tattoomotive. Doch auch Konstanten unterliegen einem Wandel: „In den meisten Künstlerleben gibt es Zyklusphasen, die von einer markanten Handschrift oder einem bestimmten Thema geprägt sind“, so die Künstlerin. Eine für sie und ihre Kunst prägende Veränderung war der Umzug in das großräumige Altbauatelier im Grazer Herz-Jesu-Viertel. Für Deutsch, die bereits früh den Wunsch nach künstlerischer Entfaltung verspürte, ein besonderer Ort der Einkehr – des ruhigen Innehaltens und Reflektierens. „Den richtigen Raum für künstlerisches Schaffen zu finden, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, erinnert sie sich schmunzelnd.
Ebenso wichtig wie der Raum der Entstehung, ist jener in ihren Bildwelten: „Darin gehe ich intensiv auf die Umgebung ein, in der ich meine Protagonistinnen positioniere und stelle mir dazu Fragen wie: Woher kommt der Lichteinfall? Welche Auswirkung hat er? Welche Farben spiegeln sich wo wider und welche nehmen Bezug aufeinander?“


Deutsch fotografiert und collagiert die Ergebnisse bis für sie stimmige Motive entstehen
© Beigestellt, Carola DeutschVon flüchtigen Momenten
Einer großen Analyse bedarf es zur Erfassung des Raumkonzepts keiner – „es ist mehr ein Gefühl, eine Intention, der ich ganz instinktiv folge“. Auch die Farbwahl folgt keinem Konzept. Sie passiert im Moment. Festgelegt ist hingegen die Technik: „Der Umzug in mein neues Atelier führte mich 2023 zurück zur Ölfarbe – ein Wendepunkt in meiner Kunst.“ Sie ermöglicht, in detailreiche Szenerien einzutauchen und die für Deutsch typischen komplexen Bildwelten zu erschaffen. So erinnern ihre Motive an Schnappschüsse in der Fotografie – auf geradezu impressionistische Art und Weise konservieren sie die Vergänglichkeit eines flüchtigen Augenblicks und bannen ihn in realistisch anmutender Ausführung auf den Bildträger.
Auch, wenn sich die Technik von Zeit zu Zeit wandelt, bekennt sie Treue zum Thema: Mit dem Menschen als Leitmotiv schafft sie es, die Leichtigkeit des Seins, des Lebens, einzufangen. Ihre Arbeiten vermitteln positive Unbeschwertheit und zeigen Stärke – ohne aber verletzliche Seiten zu verstecken. Kurzum: Sie transportieren Emotion und geben damit den Facettenreichtum des Lebens wieder. „Meine Bilder sind Spiegel vieler Seelen – teils geprägt von meinen eigenen Erfahrungen, teils inspiriert von den Leben anderer“, so Deutsch. „Das können Menschen aus meinem näheren Umfeld sein, aber genauso Figuren aus dem Fernsehen, das Weltgeschehen sowie die Denkmuster unterschiedlicher Generationen.“
Der Weg zum Bild
Deutschs gegenständliche Bildwelten entstehen Schritt für Schritt: „Manchmal ist die Idee klar in meinem Kopf manifestiert, manchmal beginne ich einfach draufloszumalen – ohne zu wissen, wohin die Reise führt. Diese Freiheit im kreativen Prozess ist ein unglaublich schönes Gefühl.“ Auch die Umsetzung der Ideen variiert: „Häufig arbeite ich mit mehreren Fotos gleichzeitig, die ich im Arbeitsprozess als eine Art Collage arrangiere“, so Deutsch. „Dazu fotografiere ich Menschen, die mich inspirieren, in meinem Atelier und setze sie so in Szene, wie ich das Bild in meinem Kopf sehe. Manchmal ergänze ich die Komposition um Fotos von Fernreisen – Orte oder Personen, die mir etwas mitgegeben haben. Ein Haus. Eine Palme. Eine Person, die in die Weite der offenen See blickt.“
Von Stillstand kann in Deutschs künstlerischer Genese somit keine Rede sein. Sich immer wieder neu zu erfinden, ist für sie selbstverständlich. Bei Betrachtung ihres Œuvres wird deutlich, dass die Frau mit der Zeit eine immer zentralere Stellung einnimmt: „Sie dient mir als Sprachrohr meiner Botschaften“, so die Künstlerin. Nicht etwa aus politisch-orientiertem Kalkül, sondern aus dem Motiv persönlicher Artikulation: „Dass mir das Frauenbild heute die größte Plattform bietet, um mich auszudrücken, war eine intuitive Entwicklung, die über Jahre stattgefunden hat – kein radikaler Entschluss.“ Ihre Bildwelten entstehen letztlich für jederfrau und jedermann. „Die Betrachtenden spielen eine wesentliche Rolle in meiner Kunst“, so Deutsch. Grundsätzlich geht es ihr darin um das „Sich-selbst-Spüren“: „Um den Dialog zwischen mir, der Kunst und den Betrachtenden – eine fortwährende Reflexion über die Welt, in der wir leben.“ Die Fragen, die sich ihr während der Entstehung ihrer Bilder stellen, dienen als Wegweiser im Prozess – sie im Vorfeld zu klären, ist jedoch nicht ihre Absicht. „Ich möchte Betrachtende dazu einladen, selbst in die Bildwelten einzutauchen, diese in ihren eigenen Kontext zu setzen und die Menschen dazu anregen, sich selbst zu befragen. Jede Antwort, die sich ergibt, ist richtig. Auch zu mir sprechen die Bilder noch lange nach der Entstehung und halten immer wieder neue Antworten parat.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.