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Marlene Streeruwitz: „Wir hatten mit Kurz schon früher einen Trump“

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Marlene Streeruwitz

©Bild: Matt Observe

Seit Jahren unterrichtet die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in New York. Schon Monate vor Trumps Wiederwahl hatte sich das Leben auf dem Big Apple verändert. Wie, das schildert sie im Gespräch mit News: über den Niedergang der amerikanischen Demokratie und die Notwendigkeit der österreichischen Neutralität.

Der Knall gegen die Betonkante ist alles, an das sich Nina erinnern kann. Sie tastet die Wunde an ihrem Kopf ab. „Das war dein Leben“, dachte sie. Nina ist eine Wiener Lyrikerin und zentrale Gestalt in Marlene Streeruwitz’ aktuellem Roman „Auflösungen“. Wie ihre Schöpferin hält sich Nina im März 2024 in New York auf und unterrichtet an einer Universität Poetik.

Furios schildert Streeruwitz die Zustände Monate vor Trumps Wiederwahl zum Präsidenten. Die Obdachlosen werden mehr, die Lebenskosten steigen, junge Leute brauchen oft zwei Jobs, um ihr Leben zu finanzieren, die Universität gibt vor, was „Free Speech“ ist.

Frau Streeruwitz, Ihr Roman „Auflösungen“ bildet das aktuelle Amerika ab. Wenn Nina, die zentrale Figur, durch New Yorks Straßen zieht, habe ich den Eindruck, dass Sie Erlebtes sofort zu Literatur werden lassen. Sehe ich das richtig?

Erleben und Schreiben fand ziemlich gleichzeitig statt. Gelebt und geschrieben, ließe sich sagen. Ich habe das Lebensgefühl in den Roman mitgenommen.

Sie schildern einen Überfall auf Nina, Ihre zentrale Figur. Ist Ihnen der tatsächlich so passiert?

Ich wurde nicht überfallen, ich hatte einen Unfall. Diesen Weg von diesem, du glaubst, du bist tot, bis zum dem Punkt, dass niemand ernst nimmt, was dir passiert ist, fand ich schon sehr interessant. Den wollte ich nicht verheimlichen.

Wie ist der Titel „Auflösungen“ zu verstehen? Meinen Sie damit, dass sich die freie Welt in den USA seit Trumps Wiederwahl aufgelöst hat?

Der Roman ist die Vorgeschichte zum Jetzt und erzählt auch, wie lange dieses Jetzt vorbereitet wurde. Das ist nicht von jetzt auf gleich passiert. Es entsteht immer der Eindruck, Trump hätte jetzt alles geändert, aber er rutscht nur auf einer schon vorausgezeichneten Bahn weiter und verstärkt und verbreitet die. Es ist nicht so, dass jetzt alles neu ist. Diese Entwicklungen gab es bereits nach 9/11 mit der Einrichtung der Homeland Security. Der Überwachungsstaat hat sich etabliert. Die Aufrüstung der Polizei, also deren Militarisierung, all diese Dinge beginnen sehr viel früher und treten uns jetzt in ihrer vollen Form entgegen.

Im Roman vermitteln Sie dieses Ausgeliefertsein an einen Staat, in dem ein freies Leben nicht mehr gesichert ist.

In Sicherheit sind Sie nur, solange Sie Geld haben. So einfach ist das. Der Kapitalismus herrscht jetzt in einer so rohen Form, dass das unübersehbar ist. Wenn Sie schon alles haben, bekommen Sie mehr. Wenn Sie zum Beispiel sehr gesund sind, können Sie viel machen. Wenn nicht, sind Sie doppelt gehandicapt. Es hängt von Ihren Mitteln ab, was möglich ist. Ich erinnere mich an eine Hausmeisterin in L. A.. Sie war 35 Jahre, sehr hübsch, aber sie ist fürchterlich gehinkt. Als sie sich die Zehe gebrochen hat, konnte sie diese nicht behandeln lassen. Der Mittelstand wurde ausgequetscht. Dieses Sicherheitsnetz, das wir als selbstverständlich voraussetzen, gibt es in den USA nicht. Wir sollten manchmal auch feiern, dass wir es haben.

Als Nina im Roman ihren Posten als Dozentin antritt, stellt sie fest, die Germanistik sei männlich geworden. Das klingt ganz so, als hätten Sie im Roman schon vorausgesehen, dass Trump Gleichstellung abschaffen wird und die Universitäten voraus­eilenden Gehorsam leisteten. Sind Trumps Wegbereiter auch an den Unis aktiv?

Das ist nicht so eindeutig. Aber ich würde da jetzt keine Rettung erhoffen. Wenn ich sehe, wie die Universitäten mit Trump verhandeln, um weitermachen zu können, habe ich manchmal das Gefühl, Harvard sollte einfach zusperren und sagen: Unter diesen Umständen arbeiten wir nicht mehr, das ist nicht mehr Akademia. Aber sie tun es nicht, sie schwindeln sich durch, machen Kompromisse und verraten auch einige Personen. Das ist eben ein Geschäft. Wir erwarten, dass eine Universität ein Ort ist, an dem der freie Geist tobt und sich austobt. Das ist dort jedoch nicht möglich. Die Unis sind riesige Konzerne. Es gibt ein Mission Statement in eine bestimmte Richtung, und dann müssen das alle befolgen. Das ist so, wie wenn im Miele-Konzern gesagt wird, Miele ist die beste Haushaltsgeräte-Erzeugung. Freiheit gibt es in dem Sinn gar nicht. Die Frage der freien Meinungsäußerung wird seit 30 Jahren von Rechtsradikalen bearbeitet, um genau diese Umkehr zu erzeugen. Das Gegenteil von Free Speech gilt als Free Speech. Die Umdrehung hat funktioniert. Ich erinnere mich an viele Veranstaltungen in den Nullerjahren, in denen wir besprochen haben, dass genau das passiert und die positiven Aspekte unserer demokratischen Verfassung dazu benutzt werden, die Demokratie auszubrennen.

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 © Bild: Matt Observe

Oder aufzulösen, wie es im Titel des Romans heißt?

Es wäre schon schön, wenn es eine wirkliche Koalition zwischen Kunstschaffenden und Publikum gäbe und nicht diese Oberflächlichkeit, mit der wir jetzt gerade beschäftigt sind, weil wir ja hier, in unserer säkularisierten Welt das Leben nicht sehr ernst nehmen. In Amerika muss das aber schon sehr ernst genommen werden, weil das soziale Sicherheitsnetz fehlt. Deshalb spielt auch Religiosität so eine große Rolle.

Stimmt es, dass Pilnacek das Vorbild für Ninas Ex-Mann Georg ist?

Das ist er nicht, aber so habe ich ihn mir vorgestellt. Das ist eine sagenhafte Figur auch für mich. Aber wir kennen diese ÖVP-Polliitker, diese narzisstisch aufgestellten Burschen, die sich in einer Gruppe nach oben bewegen und auch sehr viel Alkohol konsumieren. Wenn wir Alkoholismus eine Krankheit nennen, dann sind das schwerkranke Personen, die nicht über uns bestimmen sollten. Langweilige, gemütliche, pflichterfüllte Personen, die kein großes Theater machen, wären mir in der Politik am liebsten.

Was hat sich von Kurz zu Stocker verändert?

Da lache ich. Nein, der Unterschied ist nur in der Figur. In gewisser Weise haben wir Aufschub bekommen. Wir sehen doch ein paar Leute, die die Politik machen. Ich würde sagen, von der SPÖ-Seite sehen wir guten Willen, von der ÖVP-Seite die Festhalte-, Klebe-, Vorgänge. Und die NEOS lachen sich schief, ohne dass sie etwas beitragen. Großartig ist das nicht. Ich nehme aber an, dass die Umstände der Welt doch irgendetwas hervorbringen werden, wo sich ein klareres Profil abzeichnen wird und wir eine bessere Wahl haben.

Werden Sie auf Ihr Handbuch des Friedens und Ihr Handbuch der Liebe ein drittes folgen lassen?

Ich arbeite jetzt an der Prinzessinnenkunde, und das heißt, ich arbeite darüber, was es bedeutet, dass Trump als König auftritt, unverblümt,. Und was das bedeutet für alle anderen. Das heißt, jede andere Person ist entmachtet, kastriert, zugerichtet, weil, und das sehen wir ja an seinen Aktionen, weil er in der Königshaltung alles machen kann. Und das tut er auch. Und deswegen ist es so frappant und verstörend, dass das nun da passiert. Aber es scheint ja nun so zu sein, dass bestimmte Kreise denken, dass es immer noch im Rahmen der Verfassung der US-amerikanischen Revolution ist und die werden das entscheiden. Ich glaube es nicht. Aber dass jetzt nun die Hälfte der US-amerikanischen Personen sich einem König unterwirft, ist ein Ergebnis, das wahrscheinlich aus den Widersprüchen, aus den kapitalistischen Widersprüchen herauskommt. Und dann sehen wir, Kapitalismus richtet sich eben immer. Und jetzt ist halt ein König da, der da bestimmt und nicht mehr die schwierige und umständliche Zusammensetzung der Institutionen einer Demokratie.

Die Neutralität ist eine Chance und ein Vertrag, der uns an nichts hindert, aber gut beschützt

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 © Bild: Matt Observe

Sie vergleichen Trump mit Kurz und Kickl, alle drei wollen die Menschenrechte begrenzen.?

Das ist doch so, oder? Wir haben ja mit Kurz schon früher einen Trump gehabt, oder einen Trump-Willigen, der das mit seiner Jugend überdeckt hat, die totale Message Control, das Regieren über Edikte und nicht über das Parlament, das genaue Überprüfen, welche Personen in den Ministerien sitzen. So ist das alles ziemlich ähnlich, nur weil wir so herzig und klein sind, schaut es nicht so schlimm aus. Schüssel hat damit begonnen, aber der Schüsselschüler Kurz hat das dann nochmal in einer dichten Form implementiert.

Kommt Kurz wieder?

Ich weiß nicht, was für ihn interessanter ist, einen Staat führen oder Geld machen. Trump zeigt uns, dass beides zusammen gemacht werden kann. Schauen wir mal.

Beunruhigt Sie das Aufrüsten in Deutschland?

Das ist Kriegsbegeisterung, und Krieg ist eine Psychose, in die treten einfach Leute ein und dann sind sie dort und nicht mehr erreichbar.

Könnten die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen unsere Freiheit einschränken?

Zunächst müssen wir über die Neutralität ganz anders sprechen. Das ist eine Chance und ein Vertrag, der uns an nichts hindert, aber gut beschützt. Das sollten wir wirklich mehr zur Kenntnis nehmen, dass ja alle europäischen Staaten zugestimmt haben, dass wir so sind, wie wir sind.

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 © S. Fischer Verlag

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 27/25 erschienen.

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